er bestellte für die ganze Gesellschaft noch einen Korn zum "Rachenputzen!"
Als man den Kretscham verließ, schloß Häschke sich Gustav an. Sobald sie ohne Zeugen waren, begann der Handwerks¬ bursche zu klagen, wie schlecht es ihm gehe. Seit vierzehn Tagen sei er in kein vernünftiges Bett gekommen. Die letzten Sparpfennige waren in den Pennen draufgegangen. Die Kleider fingen an zu zerreißen und die Füße schmerzten in dem elenden Schuhwerk. Er sah in der That abgerissen genug aus. Er fragte Gustav, ob er ihm nicht aus alter Kamerad¬ schaft etwas vorschießen könne. Dann wolle er die Eisenbahn benutzen oder -- wie er sich in der Kundensprache ausdrückte -- "mit dem Feurigen walzen", und ihm von seiner Heimat aus das Erborgte zurückerstatten.
Gustav hatte das Gewissen bereits gepeinigt wegen der heutigen Zeche. Das war von den Ersparnissen gegangen, die er für die Hochzeit bestimmt hatte. Es wurde ihm schwer, dem alten Kameraden die Bitte abzuschlagen, aber, es ging nicht anders! Er war nicht mehr ganz nüchtern, wie er jetzt erst merkte, wo er sich in freier Luft befand, aber er fand noch soviel Überlegung, dem anderen zu erklären, daß er nichts ausleihen könne, er sei selbst nicht in der besten Lage und wolle nächstens heiraten.
Häschke bat, daß er ihm dann wenigstens Unterkunft für ein paar Tage verschaffen möge. Er wolle sich seine Sachen in Stand setzen und seine Füße ausheilen lassen. Wenn er sich wieder etwas herausgemacht haben würde, werde er seine Straße weiterziehen.
Diese Bitte konnte Gustav unmöglich abschlagen. Er überlegte: bei den Eltern war ja Platz. Häschke behauptete, mit jedem Fleckchen, und sei es auf dem Boden oder im Schuppen, zufrieden zu sein, und wenn es nur eine Bucht wäre von Heu. Gustav erklärte, es werde sich wohl noch ein Bett für ihn finden.
Er brachte also den Fremden mit nach Haus. Dort saß die Familie bereits beim Abendbrot. Die Angetrunkenheit
er beſtellte für die ganze Geſellſchaft noch einen Korn zum „Rachenputzen!“
Als man den Kretſcham verließ, ſchloß Häſchke ſich Guſtav an. Sobald ſie ohne Zeugen waren, begann der Handwerks¬ burſche zu klagen, wie ſchlecht es ihm gehe. Seit vierzehn Tagen ſei er in kein vernünftiges Bett gekommen. Die letzten Sparpfennige waren in den Pennen draufgegangen. Die Kleider fingen an zu zerreißen und die Füße ſchmerzten in dem elenden Schuhwerk. Er ſah in der That abgeriſſen genug aus. Er fragte Guſtav, ob er ihm nicht aus alter Kamerad¬ ſchaft etwas vorſchießen könne. Dann wolle er die Eiſenbahn benutzen oder — wie er ſich in der Kundenſprache ausdrückte — „mit dem Feurigen walzen“, und ihm von ſeiner Heimat aus das Erborgte zurückerſtatten.
Guſtav hatte das Gewiſſen bereits gepeinigt wegen der heutigen Zeche. Das war von den Erſparniſſen gegangen, die er für die Hochzeit beſtimmt hatte. Es wurde ihm ſchwer, dem alten Kameraden die Bitte abzuſchlagen, aber, es ging nicht anders! Er war nicht mehr ganz nüchtern, wie er jetzt erſt merkte, wo er ſich in freier Luft befand, aber er fand noch ſoviel Überlegung, dem anderen zu erklären, daß er nichts ausleihen könne, er ſei ſelbſt nicht in der beſten Lage und wolle nächſtens heiraten.
Häſchke bat, daß er ihm dann wenigſtens Unterkunft für ein paar Tage verſchaffen möge. Er wolle ſich ſeine Sachen in Stand ſetzen und ſeine Füße ausheilen laſſen. Wenn er ſich wieder etwas herausgemacht haben würde, werde er ſeine Straße weiterziehen.
Dieſe Bitte konnte Guſtav unmöglich abſchlagen. Er überlegte: bei den Eltern war ja Platz. Häſchke behauptete, mit jedem Fleckchen, und ſei es auf dem Boden oder im Schuppen, zufrieden zu ſein, und wenn es nur eine Bucht wäre von Heu. Guſtav erklärte, es werde ſich wohl noch ein Bett für ihn finden.
Er brachte alſo den Fremden mit nach Haus. Dort ſaß die Familie bereits beim Abendbrot. Die Angetrunkenheit
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er beſtellte für die ganze Geſellſchaft noch einen Korn zum
„Rachenputzen!“
Als man den Kretſcham verließ, ſchloß Häſchke ſich Guſtav
an. Sobald ſie ohne Zeugen waren, begann der Handwerks¬
burſche zu klagen, wie ſchlecht es ihm gehe. Seit vierzehn
Tagen ſei er in kein vernünftiges Bett gekommen. Die letzten
Sparpfennige waren in den Pennen draufgegangen. Die
Kleider fingen an zu zerreißen und die Füße ſchmerzten in
dem elenden Schuhwerk. Er ſah in der That abgeriſſen genug
aus. Er fragte Guſtav, ob er ihm nicht aus alter Kamerad¬
ſchaft etwas vorſchießen könne. Dann wolle er die Eiſenbahn
benutzen oder — wie er ſich in der Kundenſprache ausdrückte —
„mit dem Feurigen walzen“, und ihm von ſeiner Heimat aus
das Erborgte zurückerſtatten.
Guſtav hatte das Gewiſſen bereits gepeinigt wegen der
heutigen Zeche. Das war von den Erſparniſſen gegangen, die
er für die Hochzeit beſtimmt hatte. Es wurde ihm ſchwer,
dem alten Kameraden die Bitte abzuſchlagen, aber, es ging
nicht anders! Er war nicht mehr ganz nüchtern, wie er jetzt
erſt merkte, wo er ſich in freier Luft befand, aber er fand
noch ſoviel Überlegung, dem anderen zu erklären, daß er nichts
ausleihen könne, er ſei ſelbſt nicht in der beſten Lage und
wolle nächſtens heiraten.
Häſchke bat, daß er ihm dann wenigſtens Unterkunft für
ein paar Tage verſchaffen möge. Er wolle ſich ſeine Sachen
in Stand ſetzen und ſeine Füße ausheilen laſſen. Wenn er
ſich wieder etwas herausgemacht haben würde, werde er ſeine
Straße weiterziehen.
Dieſe Bitte konnte Guſtav unmöglich abſchlagen. Er
überlegte: bei den Eltern war ja Platz. Häſchke behauptete,
mit jedem Fleckchen, und ſei es auf dem Boden oder im
Schuppen, zufrieden zu ſein, und wenn es nur eine Bucht wäre
von Heu. Guſtav erklärte, es werde ſich wohl noch ein Bett
für ihn finden.
Er brachte alſo den Fremden mit nach Haus. Dort ſaß
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/246>, abgerufen am 24.11.2024.
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