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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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in tiefster Seele. -- So ein kleines Ding, mit solch winzigen
Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger
Mensch, würde ein Mann sein -- sein Sohn! Pauline und
er hatten es hervorgebracht; aus seinem und ihrem Gebein
stammte dieses neue Wesen. Das ewige Wunder des Werdens
trat vor ihn in seiner ganzen unheimlichen Größe. --

Gustav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten,
es würgte ihn im Halse, es kitzelte ihn an der Nase. Er biß
die Zähne fest aufeinander und schluckte die Rührung hin¬
unter; weinen wollte er um keinen Preis.

Pauline eilte derweilen geschäftig auf und ab im Zimmer.
Sie hatte den schwarzen Hut mit den rosa Blumen abgelegt,
die Ärmel ihres Kleides aufgeknöpft und bis an die Ellebogen
zurückgeschlagen und eine weiße Schürze vorgesteckt. Ohne Hut
sah sie noch hübscher aus. Ihr blondes Haar, von selten schöner
Färbung, kam jetzt erst zur Geltung, sie trug es nach Art der
Landmädchen, schlicht in der Mitte gescheitelt und hinten zu
einem Nest von vielen kleinen Flechten verschlungen. Das
schwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Aus¬
lassen und Ansetzen hatte sie es zu Wege gebracht, daß es ihre
frauenhaft entwickelte Fülle auch jetzt noch faßte.

Jetzt eilte sie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge
habe nun genug geschlafen, er müsse die Flasche bekommen.
Sie weckte den Kleinen, indem sie ihn sanft aus den Kissen
hob und ihn auf die Stirn küßte. Das Kind schlug ein Paar
große dunkle Augen auf, sah sich verwundert um, und be¬
gann sofort zu schreien. Der Vater, der an solche Töne noch
nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdutztes Gesicht
hierzu.

Pauline meinte, das sei nicht so schlimm, das Kind habe
nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das
Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, sondern nur eine Kachel¬
wand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt
wurde. In der Blechkanne befand sich ein Fläschchen Milch.
Pauline, auf dem einen Arm das Kind, führte die Flasche zum
Munde, kostete schnell, stülpte einen Gummizulp über den

in tiefſter Seele. — So ein kleines Ding, mit ſolch winzigen
Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger
Menſch, würde ein Mann ſein — ſein Sohn! Pauline und
er hatten es hervorgebracht; aus ſeinem und ihrem Gebein
ſtammte dieſes neue Weſen. Das ewige Wunder des Werdens
trat vor ihn in ſeiner ganzen unheimlichen Größe. —

Guſtav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten,
es würgte ihn im Halſe, es kitzelte ihn an der Naſe. Er biß
die Zähne feſt aufeinander und ſchluckte die Rührung hin¬
unter; weinen wollte er um keinen Preis.

Pauline eilte derweilen geſchäftig auf und ab im Zimmer.
Sie hatte den ſchwarzen Hut mit den roſa Blumen abgelegt,
die Ärmel ihres Kleides aufgeknöpft und bis an die Ellebogen
zurückgeſchlagen und eine weiße Schürze vorgeſteckt. Ohne Hut
ſah ſie noch hübſcher aus. Ihr blondes Haar, von ſelten ſchöner
Färbung, kam jetzt erſt zur Geltung, ſie trug es nach Art der
Landmädchen, ſchlicht in der Mitte geſcheitelt und hinten zu
einem Neſt von vielen kleinen Flechten verſchlungen. Das
ſchwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Aus¬
laſſen und Anſetzen hatte ſie es zu Wege gebracht, daß es ihre
frauenhaft entwickelte Fülle auch jetzt noch faßte.

Jetzt eilte ſie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge
habe nun genug geſchlafen, er müſſe die Flaſche bekommen.
Sie weckte den Kleinen, indem ſie ihn ſanft aus den Kiſſen
hob und ihn auf die Stirn küßte. Das Kind ſchlug ein Paar
große dunkle Augen auf, ſah ſich verwundert um, und be¬
gann ſofort zu ſchreien. Der Vater, der an ſolche Töne noch
nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdutztes Geſicht
hierzu.

Pauline meinte, das ſei nicht ſo ſchlimm, das Kind habe
nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das
Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, ſondern nur eine Kachel¬
wand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt
wurde. In der Blechkanne befand ſich ein Fläſchchen Milch.
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[11/0025] in tiefſter Seele. — So ein kleines Ding, mit ſolch winzigen Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger Menſch, würde ein Mann ſein — ſein Sohn! Pauline und er hatten es hervorgebracht; aus ſeinem und ihrem Gebein ſtammte dieſes neue Weſen. Das ewige Wunder des Werdens trat vor ihn in ſeiner ganzen unheimlichen Größe. — Guſtav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten, es würgte ihn im Halſe, es kitzelte ihn an der Naſe. Er biß die Zähne feſt aufeinander und ſchluckte die Rührung hin¬ unter; weinen wollte er um keinen Preis. Pauline eilte derweilen geſchäftig auf und ab im Zimmer. Sie hatte den ſchwarzen Hut mit den roſa Blumen abgelegt, die Ärmel ihres Kleides aufgeknöpft und bis an die Ellebogen zurückgeſchlagen und eine weiße Schürze vorgeſteckt. Ohne Hut ſah ſie noch hübſcher aus. Ihr blondes Haar, von ſelten ſchöner Färbung, kam jetzt erſt zur Geltung, ſie trug es nach Art der Landmädchen, ſchlicht in der Mitte geſcheitelt und hinten zu einem Neſt von vielen kleinen Flechten verſchlungen. Das ſchwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Aus¬ laſſen und Anſetzen hatte ſie es zu Wege gebracht, daß es ihre frauenhaft entwickelte Fülle auch jetzt noch faßte. Jetzt eilte ſie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge habe nun genug geſchlafen, er müſſe die Flaſche bekommen. Sie weckte den Kleinen, indem ſie ihn ſanft aus den Kiſſen hob und ihn auf die Stirn küßte. Das Kind ſchlug ein Paar große dunkle Augen auf, ſah ſich verwundert um, und be¬ gann ſofort zu ſchreien. Der Vater, der an ſolche Töne noch nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdutztes Geſicht hierzu. Pauline meinte, das ſei nicht ſo ſchlimm, das Kind habe nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, ſondern nur eine Kachel¬ wand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt wurde. In der Blechkanne befand ſich ein Fläſchchen Milch. Pauline, auf dem einen Arm das Kind, führte die Flaſche zum Munde, koſtete ſchnell, ſtülpte einen Gummizulp über den

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/25>, abgerufen am 21.11.2024.