Flaschenhals. Dann legte sie den Kleinen wieder aufs Bett dessen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten Flasche strebten. Nun endlich steckte sie dem Schreihals den Zulp zwischen die Lippen. Sofort verstummte das Gezeter und machte behaglich glurksenden Lauten Platz.
Gustav atmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte etwas Beklemmendes für ihn gehabt. Während Pauline voll Wonne und Stolz war, konnte er sich einer gewissen Gedrückt¬ heit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie sie nur eine Mutter hat, beugte sich das Mädchen über das kleine Wesen, dessen ganze Kraft und Aufmerksamkeit jetzt auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die Kissen.
Erst nachdem der Kleine völlig glücklich zu sein schien, kam Gustav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wischte ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, sich zu setzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen ge¬ äußert; jetzt nötigte sie ihn geradezu, sich auszusprechen.
Er meinte, das Kind sehe ja soweit ganz gesund und kräftig aus. Aber das genügte ihrem mütterlichen Stolze nicht. Sie begann, ihrerseits das Lob des Jungen zu singen, wie wohlgebildet er sei und stark. Ja, sie behauptete sogar, er sei ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige seiner kleinen Streiche an. Groß sei er für sein Alter, wie kein anderes Kind, schon bei der Geburt sei er solch ein Riese gewesen. Und sehr viel Not habe er ihr gemacht, beim Kommen, setzte sie etwas leiser mit gesenktem Blicke hinzu. Dann erzählte sie, daß sie ihn bis zum sechsten Monate selbst genährt habe.
Er hörte diesem Berichte von Dingen, die für sie von größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem Ohre zu. Er hatte seine eignen Gedanken bei alledem. Was sollte nun eigentlich werden, fragte er sich. Er hatte sich zu diesem Kinde bekannt. Als anständiger Mensch mußte er nun auch dafür sorgen. Burschen, die ein Kind in die Welt setzen, und dann Mädel und Kind im Stiche ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einstmals hatte
Flaſchenhals. Dann legte ſie den Kleinen wieder aufs Bett deſſen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten Flaſche ſtrebten. Nun endlich ſteckte ſie dem Schreihals den Zulp zwiſchen die Lippen. Sofort verſtummte das Gezeter und machte behaglich glurkſenden Lauten Platz.
Guſtav atmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte etwas Beklemmendes für ihn gehabt. Während Pauline voll Wonne und Stolz war, konnte er ſich einer gewiſſen Gedrückt¬ heit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie ſie nur eine Mutter hat, beugte ſich das Mädchen über das kleine Weſen, deſſen ganze Kraft und Aufmerkſamkeit jetzt auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die Kiſſen.
Erſt nachdem der Kleine völlig glücklich zu ſein ſchien, kam Guſtav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wiſchte ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, ſich zu ſetzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen ge¬ äußert; jetzt nötigte ſie ihn geradezu, ſich auszuſprechen.
Er meinte, das Kind ſehe ja ſoweit ganz geſund und kräftig aus. Aber das genügte ihrem mütterlichen Stolze nicht. Sie begann, ihrerſeits das Lob des Jungen zu ſingen, wie wohlgebildet er ſei und ſtark. Ja, ſie behauptete ſogar, er ſei ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige ſeiner kleinen Streiche an. Groß ſei er für ſein Alter, wie kein anderes Kind, ſchon bei der Geburt ſei er ſolch ein Rieſe geweſen. Und ſehr viel Not habe er ihr gemacht, beim Kommen, ſetzte ſie etwas leiſer mit geſenktem Blicke hinzu. Dann erzählte ſie, daß ſie ihn bis zum ſechſten Monate ſelbſt genährt habe.
Er hörte dieſem Berichte von Dingen, die für ſie von größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem Ohre zu. Er hatte ſeine eignen Gedanken bei alledem. Was ſollte nun eigentlich werden, fragte er ſich. Er hatte ſich zu dieſem Kinde bekannt. Als anſtändiger Menſch mußte er nun auch dafür ſorgen. Burſchen, die ein Kind in die Welt ſetzen, und dann Mädel und Kind im Stiche ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einſtmals hatte
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Flaſchenhals. Dann legte ſie den Kleinen wieder aufs Bett
deſſen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten
Flaſche ſtrebten. Nun endlich ſteckte ſie dem Schreihals den
Zulp zwiſchen die Lippen. Sofort verſtummte das Gezeter
und machte behaglich glurkſenden Lauten Platz.
Guſtav atmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte
etwas Beklemmendes für ihn gehabt. Während Pauline voll
Wonne und Stolz war, konnte er ſich einer gewiſſen Gedrückt¬
heit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie
ſie nur eine Mutter hat, beugte ſich das Mädchen über
das kleine Weſen, deſſen ganze Kraft und Aufmerkſamkeit jetzt
auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die
Kiſſen.
Erſt nachdem der Kleine völlig glücklich zu ſein ſchien,
kam Guſtav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wiſchte
ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, ſich zu
ſetzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen ge¬
äußert; jetzt nötigte ſie ihn geradezu, ſich auszuſprechen.
Er meinte, das Kind ſehe ja ſoweit ganz geſund und
kräftig aus. Aber das genügte ihrem mütterlichen Stolze nicht.
Sie begann, ihrerſeits das Lob des Jungen zu ſingen, wie
wohlgebildet er ſei und ſtark. Ja, ſie behauptete ſogar, er ſei
ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige ſeiner kleinen
Streiche an. Groß ſei er für ſein Alter, wie kein anderes
Kind, ſchon bei der Geburt ſei er ſolch ein Rieſe geweſen. Und
ſehr viel Not habe er ihr gemacht, beim Kommen, ſetzte ſie
etwas leiſer mit geſenktem Blicke hinzu. Dann erzählte ſie, daß
ſie ihn bis zum ſechſten Monate ſelbſt genährt habe.
Er hörte dieſem Berichte von Dingen, die für ſie von
größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem
Ohre zu. Er hatte ſeine eignen Gedanken bei alledem.
Was ſollte nun eigentlich werden, fragte er ſich. Er hatte
ſich zu dieſem Kinde bekannt. Als anſtändiger Menſch
mußte er nun auch dafür ſorgen. Burſchen, die ein Kind
in die Welt ſetzen, und dann Mädel und Kind im Stiche
ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einſtmals hatte
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/26>, abgerufen am 21.11.2024.
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