Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Anstandsgefühl genug, das nicht zuzulassen. Sie suchten den
Tobenden zu beruhigen, der sich inzwischen schon ganz heiser
geschrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬
sammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieselben Schimpf¬
worte immer und immer wieder, schien kaum mehr zu wissen,
was er schrie. Die älteren Leute nahmen sich seiner an, führ¬
ten ihn nach seinem Hause. --

Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte
wohl, daß der Bauer unwirsch und einsilbig sei, noch mehr
als sonst. Aber das Unglück der letzten Zeiten war so groß
gewesen, ein Schicksalsschlag hatte den anderen übertroffen,
daß sie schon gar nicht mehr nach Neuem fragte.

Die alte Frau war schwer mit Elend geschlagen. Ihr
Mann hatte doch wenigstens seine Arbeit; er konnte den
Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber sie lag hier
oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder
waren nun alle aus dem Hause, in der Fremde. Keine
Menschenseele hatte sie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬
mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu sehen. Dann
hatte sie wenigstens für kurze Zeit jemanden, mit dem sie
weinen konnte; das war ihr einziges Labsal. Zu ihrer Gicht
war noch Wassersucht getreten, die sie gänzlich bewegungslos
machte. Sie sehnte sich aufrichtig nach dem Tode.

Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig schlief, traute
ihren Sinnen kaum, als sie in der auf diesen Sonntag folgen¬
den Nacht plötzlich den Bauern aufstehen und sich ankleiden
sah. Wo er zu dieser Stunde hin wolle, fragte sie ihn. Eine
Kuh sei krank, erwiderte er, und ging.

Sie verfolgte seine Schritte und vernahm mit ihrem,
durch das lange Stilleliegen geschärften Gehör, in der tiefen
Nachtstille, daß er sich unten mit den Geschirren zu schaffen
machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre sie ihn
mit einem Gespanne den Hof verlassen.

Was sollte alles das vorstellen? Mitten in der Nacht
aufzustehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer
am Ende gar übergeschnappt?

Anſtandsgefühl genug, das nicht zuzulaſſen. Sie ſuchten den
Tobenden zu beruhigen, der ſich inzwiſchen ſchon ganz heiſer
geſchrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬
ſammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieſelben Schimpf¬
worte immer und immer wieder, ſchien kaum mehr zu wiſſen,
was er ſchrie. Die älteren Leute nahmen ſich ſeiner an, führ¬
ten ihn nach ſeinem Hauſe. —

Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte
wohl, daß der Bauer unwirſch und einſilbig ſei, noch mehr
als ſonſt. Aber das Unglück der letzten Zeiten war ſo groß
geweſen, ein Schickſalsſchlag hatte den anderen übertroffen,
daß ſie ſchon gar nicht mehr nach Neuem fragte.

Die alte Frau war ſchwer mit Elend geſchlagen. Ihr
Mann hatte doch wenigſtens ſeine Arbeit; er konnte den
Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber ſie lag hier
oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder
waren nun alle aus dem Hauſe, in der Fremde. Keine
Menſchenſeele hatte ſie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬
mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu ſehen. Dann
hatte ſie wenigſtens für kurze Zeit jemanden, mit dem ſie
weinen konnte; das war ihr einziges Labſal. Zu ihrer Gicht
war noch Waſſerſucht getreten, die ſie gänzlich bewegungslos
machte. Sie ſehnte ſich aufrichtig nach dem Tode.

Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig ſchlief, traute
ihren Sinnen kaum, als ſie in der auf dieſen Sonntag folgen¬
den Nacht plötzlich den Bauern aufſtehen und ſich ankleiden
ſah. Wo er zu dieſer Stunde hin wolle, fragte ſie ihn. Eine
Kuh ſei krank, erwiderte er, und ging.

Sie verfolgte ſeine Schritte und vernahm mit ihrem,
durch das lange Stilleliegen geſchärften Gehör, in der tiefen
Nachtſtille, daß er ſich unten mit den Geſchirren zu ſchaffen
machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre ſie ihn
mit einem Geſpanne den Hof verlaſſen.

Was ſollte alles das vorſtellen? Mitten in der Nacht
aufzuſtehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer
am Ende gar übergeſchnappt?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="300"/>
An&#x017F;tandsgefühl genug, das nicht zuzula&#x017F;&#x017F;en. Sie &#x017F;uchten den<lb/>
Tobenden zu beruhigen, der &#x017F;ich inzwi&#x017F;chen &#x017F;chon ganz hei&#x017F;er<lb/>
ge&#x017F;chrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬<lb/>
&#x017F;ammenbrechen bewahrte. Er wiederholte die&#x017F;elben Schimpf¬<lb/>
worte immer und immer wieder, &#x017F;chien kaum mehr zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was er &#x017F;chrie. Die älteren Leute nahmen &#x017F;ich &#x017F;einer an, führ¬<lb/>
ten ihn nach &#x017F;einem Hau&#x017F;e. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte<lb/>
wohl, daß der Bauer unwir&#x017F;ch und ein&#x017F;ilbig &#x017F;ei, noch mehr<lb/>
als &#x017F;on&#x017F;t. Aber das Unglück der letzten Zeiten war &#x017F;o groß<lb/>
gewe&#x017F;en, ein Schick&#x017F;als&#x017F;chlag hatte den anderen übertroffen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;chon gar nicht mehr nach Neuem fragte.</p><lb/>
          <p>Die alte Frau war &#x017F;chwer mit Elend ge&#x017F;chlagen. Ihr<lb/>
Mann hatte doch wenig&#x017F;tens &#x017F;eine Arbeit; er konnte den<lb/>
Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber &#x017F;ie lag hier<lb/>
oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder<lb/>
waren nun alle aus dem Hau&#x017F;e, in der Fremde. Keine<lb/>
Men&#x017F;chen&#x017F;eele hatte &#x017F;ie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬<lb/>
mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu &#x017F;ehen. Dann<lb/>
hatte &#x017F;ie wenig&#x017F;tens für kurze Zeit jemanden, mit dem &#x017F;ie<lb/>
weinen konnte; das war ihr einziges Lab&#x017F;al. Zu ihrer Gicht<lb/>
war noch Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ucht getreten, die &#x017F;ie gänzlich bewegungslos<lb/>
machte. Sie &#x017F;ehnte &#x017F;ich aufrichtig nach dem Tode.</p><lb/>
          <p>Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig &#x017F;chlief, traute<lb/>
ihren Sinnen kaum, als &#x017F;ie in der auf die&#x017F;en Sonntag folgen¬<lb/>
den Nacht plötzlich den Bauern auf&#x017F;tehen und &#x017F;ich ankleiden<lb/>
&#x017F;ah. Wo er zu die&#x017F;er Stunde hin wolle, fragte &#x017F;ie ihn. Eine<lb/>
Kuh &#x017F;ei krank, erwiderte er, und ging.</p><lb/>
          <p>Sie verfolgte &#x017F;eine Schritte und vernahm mit ihrem,<lb/>
durch das lange Stilleliegen ge&#x017F;chärften Gehör, in der tiefen<lb/>
Nacht&#x017F;tille, daß er &#x017F;ich unten mit den Ge&#x017F;chirren zu &#x017F;chaffen<lb/>
machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre &#x017F;ie ihn<lb/>
mit einem Ge&#x017F;panne den Hof verla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Was &#x017F;ollte alles das vor&#x017F;tellen? Mitten in der Nacht<lb/>
aufzu&#x017F;tehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer<lb/>
am Ende gar überge&#x017F;chnappt?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0314] Anſtandsgefühl genug, das nicht zuzulaſſen. Sie ſuchten den Tobenden zu beruhigen, der ſich inzwiſchen ſchon ganz heiſer geſchrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬ ſammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieſelben Schimpf¬ worte immer und immer wieder, ſchien kaum mehr zu wiſſen, was er ſchrie. Die älteren Leute nahmen ſich ſeiner an, führ¬ ten ihn nach ſeinem Hauſe. — Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte wohl, daß der Bauer unwirſch und einſilbig ſei, noch mehr als ſonſt. Aber das Unglück der letzten Zeiten war ſo groß geweſen, ein Schickſalsſchlag hatte den anderen übertroffen, daß ſie ſchon gar nicht mehr nach Neuem fragte. Die alte Frau war ſchwer mit Elend geſchlagen. Ihr Mann hatte doch wenigſtens ſeine Arbeit; er konnte den Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber ſie lag hier oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder waren nun alle aus dem Hauſe, in der Fremde. Keine Menſchenſeele hatte ſie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬ mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu ſehen. Dann hatte ſie wenigſtens für kurze Zeit jemanden, mit dem ſie weinen konnte; das war ihr einziges Labſal. Zu ihrer Gicht war noch Waſſerſucht getreten, die ſie gänzlich bewegungslos machte. Sie ſehnte ſich aufrichtig nach dem Tode. Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig ſchlief, traute ihren Sinnen kaum, als ſie in der auf dieſen Sonntag folgen¬ den Nacht plötzlich den Bauern aufſtehen und ſich ankleiden ſah. Wo er zu dieſer Stunde hin wolle, fragte ſie ihn. Eine Kuh ſei krank, erwiderte er, und ging. Sie verfolgte ſeine Schritte und vernahm mit ihrem, durch das lange Stilleliegen geſchärften Gehör, in der tiefen Nachtſtille, daß er ſich unten mit den Geſchirren zu ſchaffen machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre ſie ihn mit einem Geſpanne den Hof verlaſſen. Was ſollte alles das vorſtellen? Mitten in der Nacht aufzuſtehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer am Ende gar übergeſchnappt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/314
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/314>, abgerufen am 21.11.2024.