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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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war, das neue Pferd. Er hatte sich die Stute auch schon ins
Freie hinausführen lassen, um ihre Gänge zu beobachten; aber
ein Urteil über das Pferd hatte er noch immer nicht abgegeben,
obgleich er ganz genau wußte, daß der Alte darauf wartete.
Gustav sagte auch jetzt noch nichts, obgleich er prüfend mit
der Hand über die Sehnen und Flechsen aller vier Beine ge¬
fahren war.

Die Büttners waren darin eigentümliche Käuze. Nichts
wurde ihnen schwerer, als sich gegen ihresgleichen offen auszu¬
sprechen. Oft wurden so die wichtigsten Dinge wochenlang
schweigend herumgetragen. Jeder empfand das als eine Last,
aber der Mund blieb versiegelt; bis endlich die eherne Not¬
wendigkeit, oder irgend ein Zufall, die Zungen löste. -- Es
war fast, als schämten sich die Familienmitglieder unter ein¬
ander Dinge zu besprechen, die sie jedem Fremden gegenüber
offener und leichteren Herzens geäußert haben würden. Viel¬
leicht, weil jedes die innersten Regungen und Stimmungen des
Blutsverwandten zu genau kannte, und seine eigenen Gefühle
wiederum von ihm gekannt wußte.

Vater und Sohn traten, nachdem man das Pferd genügend
geklopft und gestreichelt und ihm die Streu frisch aufgeschüttelt
hatte, wieder auf den Hof hinaus. Hier verweilte sich Gustav
nicht erst lange. Es hatte sich in der Wirtschaft sonst nichts
weiter verändert, seit er das letzte Mal auf Urlaub gewesen
war. Die neu aufgestellten Ferkel und die angebundenen Kälber
hatte er schon vor der Kirche mit der Bäuerin besehen. Man
schritt nunmehr unverweilt zum Hofe hinaus.

Das Gut bestand aus einem langen schmalen Streifen,
der vom Dorfe nach dem Walde hinauslief. Am unteren Ende
lag das Gehöft. Im Walde, der zu dem Bauerngute gehörte,
entsprang ein Wässerchen, das mit ziemlich starkem Gefälle zum
Dorfbach hinabeilte. An diesem Bächlein lagen die Wiesen
des Büttnerschen Grundstückes. Zwischen den Feldern zog sich
der breite Wirtschaftsweg des Bauerngutes, mit alten, tief ein¬
gefahrenen Gleisen, holperig und an vielen Stellen von Rasen
überwachsen, vom Gehöft nach dem Walde hinauf.

war, das neue Pferd. Er hatte ſich die Stute auch ſchon ins
Freie hinausführen laſſen, um ihre Gänge zu beobachten; aber
ein Urteil über das Pferd hatte er noch immer nicht abgegeben,
obgleich er ganz genau wußte, daß der Alte darauf wartete.
Guſtav ſagte auch jetzt noch nichts, obgleich er prüfend mit
der Hand über die Sehnen und Flechſen aller vier Beine ge¬
fahren war.

Die Büttners waren darin eigentümliche Käuze. Nichts
wurde ihnen ſchwerer, als ſich gegen ihresgleichen offen auszu¬
ſprechen. Oft wurden ſo die wichtigſten Dinge wochenlang
ſchweigend herumgetragen. Jeder empfand das als eine Laſt,
aber der Mund blieb verſiegelt; bis endlich die eherne Not¬
wendigkeit, oder irgend ein Zufall, die Zungen löſte. — Es
war faſt, als ſchämten ſich die Familienmitglieder unter ein¬
ander Dinge zu beſprechen, die ſie jedem Fremden gegenüber
offener und leichteren Herzens geäußert haben würden. Viel¬
leicht, weil jedes die innerſten Regungen und Stimmungen des
Blutsverwandten zu genau kannte, und ſeine eigenen Gefühle
wiederum von ihm gekannt wußte.

Vater und Sohn traten, nachdem man das Pferd genügend
geklopft und geſtreichelt und ihm die Streu friſch aufgeſchüttelt
hatte, wieder auf den Hof hinaus. Hier verweilte ſich Guſtav
nicht erſt lange. Es hatte ſich in der Wirtſchaft ſonſt nichts
weiter verändert, ſeit er das letzte Mal auf Urlaub geweſen
war. Die neu aufgeſtellten Ferkel und die angebundenen Kälber
hatte er ſchon vor der Kirche mit der Bäuerin beſehen. Man
ſchritt nunmehr unverweilt zum Hofe hinaus.

Das Gut beſtand aus einem langen ſchmalen Streifen,
der vom Dorfe nach dem Walde hinauslief. Am unteren Ende
lag das Gehöft. Im Walde, der zu dem Bauerngute gehörte,
entſprang ein Wäſſerchen, das mit ziemlich ſtarkem Gefälle zum
Dorfbach hinabeilte. An dieſem Bächlein lagen die Wieſen
des Büttnerſchen Grundſtückes. Zwiſchen den Feldern zog ſich
der breite Wirtſchaftsweg des Bauerngutes, mit alten, tief ein¬
gefahrenen Gleiſen, holperig und an vielen Stellen von Raſen
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[21/0035] war, das neue Pferd. Er hatte ſich die Stute auch ſchon ins Freie hinausführen laſſen, um ihre Gänge zu beobachten; aber ein Urteil über das Pferd hatte er noch immer nicht abgegeben, obgleich er ganz genau wußte, daß der Alte darauf wartete. Guſtav ſagte auch jetzt noch nichts, obgleich er prüfend mit der Hand über die Sehnen und Flechſen aller vier Beine ge¬ fahren war. Die Büttners waren darin eigentümliche Käuze. Nichts wurde ihnen ſchwerer, als ſich gegen ihresgleichen offen auszu¬ ſprechen. Oft wurden ſo die wichtigſten Dinge wochenlang ſchweigend herumgetragen. Jeder empfand das als eine Laſt, aber der Mund blieb verſiegelt; bis endlich die eherne Not¬ wendigkeit, oder irgend ein Zufall, die Zungen löſte. — Es war faſt, als ſchämten ſich die Familienmitglieder unter ein¬ ander Dinge zu beſprechen, die ſie jedem Fremden gegenüber offener und leichteren Herzens geäußert haben würden. Viel¬ leicht, weil jedes die innerſten Regungen und Stimmungen des Blutsverwandten zu genau kannte, und ſeine eigenen Gefühle wiederum von ihm gekannt wußte. Vater und Sohn traten, nachdem man das Pferd genügend geklopft und geſtreichelt und ihm die Streu friſch aufgeſchüttelt hatte, wieder auf den Hof hinaus. Hier verweilte ſich Guſtav nicht erſt lange. Es hatte ſich in der Wirtſchaft ſonſt nichts weiter verändert, ſeit er das letzte Mal auf Urlaub geweſen war. Die neu aufgeſtellten Ferkel und die angebundenen Kälber hatte er ſchon vor der Kirche mit der Bäuerin beſehen. Man ſchritt nunmehr unverweilt zum Hofe hinaus. Das Gut beſtand aus einem langen ſchmalen Streifen, der vom Dorfe nach dem Walde hinauslief. Am unteren Ende lag das Gehöft. Im Walde, der zu dem Bauerngute gehörte, entſprang ein Wäſſerchen, das mit ziemlich ſtarkem Gefälle zum Dorfbach hinabeilte. An dieſem Bächlein lagen die Wieſen des Büttnerſchen Grundſtückes. Zwiſchen den Feldern zog ſich der breite Wirtſchaftsweg des Bauerngutes, mit alten, tief ein¬ gefahrenen Gleiſen, holperig und an vielen Stellen von Raſen überwachſen, vom Gehöft nach dem Walde hinauf.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/35>, abgerufen am 23.11.2024.