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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Schreiben schien Toni auch in Berlin nicht gelernt zu
haben.

Niemand freute sich sonderlich auf Tonis Kommen. Die
Geschwister hatten sie schon so gut wie vergessen. Man wun¬
derte sich höchstens, wo sie das Geld zu der weiten Reise
hernehme.

Eines Tages, in der letzten Woche vor dem Feste, kam
Therese von Wörmsbach nach Halbenau herüber. Sie suchte
Gustav und Pauline auf, und erzählte, Tonis Kind sei am
Tage zuvor gestorben. Sie war hauptsächlich nach Halbenau
gekommen, um bei den Familienmitgliedern eine Beisteuer für
das Begräbnis zu erbitten.

Man empfand es allgemein als Segen, daß das Würm¬
chen gestorben.

Ernestine und Pauline gingen mit zum Begräbnis. Sie
waren beide noch nicht bei den Geschwistern in Wörmsbach
gewesen. Als sie zurückkamen, konnten sie nicht genug davon
erzählen, wie traurig es dort sei. Das Haus: eine Hütte
die jeden Augenblick einzustürzen drohte, die Kinder, elend
und zerlumpt, Karl dem Trunke ergeben und schlecht gegen
seine Frau, Therese völlig herunter von dem Jammer¬
leben!

Die Schwägerin war nie beliebt gewesen bei den Büttners,
ihres streitbar zufahrenden Wesens wegen. Aber jetzt beklagte
man sie allgemein. Was war aus der rüstigen, thatkräftigen
Frau geworden! --

Toni kam kurz vor dem Feste mit dem Postwagen an.
Sie begab sich ohne weiteres nach dem Elternhause.

Aber der alte Bauer, der eine Frauensperson in städti¬
scher Kleidung, gefolgt von einem Burschen, welcher den Koffer
trug, auf den Hof zuschreiten sah, schloß die Hausthür ab, und
zog sich in die Dachkammer zurück, aus der er so bald nicht
wieder zum Vorschein kam. Er hatte in dem ,Fräulein' die
Tochter nicht wieder erkannt.

Toni war darauf zu Frau Katschner gegangen, wo sie
Pauline und Ernestine traf.

Schreiben ſchien Toni auch in Berlin nicht gelernt zu
haben.

Niemand freute ſich ſonderlich auf Tonis Kommen. Die
Geſchwiſter hatten ſie ſchon ſo gut wie vergeſſen. Man wun¬
derte ſich höchſtens, wo ſie das Geld zu der weiten Reiſe
hernehme.

Eines Tages, in der letzten Woche vor dem Feſte, kam
Thereſe von Wörmsbach nach Halbenau herüber. Sie ſuchte
Guſtav und Pauline auf, und erzählte, Tonis Kind ſei am
Tage zuvor geſtorben. Sie war hauptſächlich nach Halbenau
gekommen, um bei den Familienmitgliedern eine Beiſteuer für
das Begräbnis zu erbitten.

Man empfand es allgemein als Segen, daß das Würm¬
chen geſtorben.

Erneſtine und Pauline gingen mit zum Begräbnis. Sie
waren beide noch nicht bei den Geſchwiſtern in Wörmsbach
geweſen. Als ſie zurückkamen, konnten ſie nicht genug davon
erzählen, wie traurig es dort ſei. Das Haus: eine Hütte
die jeden Augenblick einzuſtürzen drohte, die Kinder, elend
und zerlumpt, Karl dem Trunke ergeben und ſchlecht gegen
ſeine Frau, Thereſe völlig herunter von dem Jammer¬
leben!

Die Schwägerin war nie beliebt geweſen bei den Büttners,
ihres ſtreitbar zufahrenden Weſens wegen. Aber jetzt beklagte
man ſie allgemein. Was war aus der rüſtigen, thatkräftigen
Frau geworden! —

Toni kam kurz vor dem Feſte mit dem Poſtwagen an.
Sie begab ſich ohne weiteres nach dem Elternhauſe.

Aber der alte Bauer, der eine Frauensperſon in ſtädti¬
ſcher Kleidung, gefolgt von einem Burſchen, welcher den Koffer
trug, auf den Hof zuſchreiten ſah, ſchloß die Hausthür ab, und
zog ſich in die Dachkammer zurück, aus der er ſo bald nicht
wieder zum Vorſchein kam. Er hatte in dem ‚Fräulein‘ die
Tochter nicht wieder erkannt.

Toni war darauf zu Frau Katſchner gegangen, wo ſie
Pauline und Erneſtine traf.

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[382/0396] Schreiben ſchien Toni auch in Berlin nicht gelernt zu haben. Niemand freute ſich ſonderlich auf Tonis Kommen. Die Geſchwiſter hatten ſie ſchon ſo gut wie vergeſſen. Man wun¬ derte ſich höchſtens, wo ſie das Geld zu der weiten Reiſe hernehme. Eines Tages, in der letzten Woche vor dem Feſte, kam Thereſe von Wörmsbach nach Halbenau herüber. Sie ſuchte Guſtav und Pauline auf, und erzählte, Tonis Kind ſei am Tage zuvor geſtorben. Sie war hauptſächlich nach Halbenau gekommen, um bei den Familienmitgliedern eine Beiſteuer für das Begräbnis zu erbitten. Man empfand es allgemein als Segen, daß das Würm¬ chen geſtorben. Erneſtine und Pauline gingen mit zum Begräbnis. Sie waren beide noch nicht bei den Geſchwiſtern in Wörmsbach geweſen. Als ſie zurückkamen, konnten ſie nicht genug davon erzählen, wie traurig es dort ſei. Das Haus: eine Hütte die jeden Augenblick einzuſtürzen drohte, die Kinder, elend und zerlumpt, Karl dem Trunke ergeben und ſchlecht gegen ſeine Frau, Thereſe völlig herunter von dem Jammer¬ leben! Die Schwägerin war nie beliebt geweſen bei den Büttners, ihres ſtreitbar zufahrenden Weſens wegen. Aber jetzt beklagte man ſie allgemein. Was war aus der rüſtigen, thatkräftigen Frau geworden! — Toni kam kurz vor dem Feſte mit dem Poſtwagen an. Sie begab ſich ohne weiteres nach dem Elternhauſe. Aber der alte Bauer, der eine Frauensperſon in ſtädti¬ ſcher Kleidung, gefolgt von einem Burſchen, welcher den Koffer trug, auf den Hof zuſchreiten ſah, ſchloß die Hausthür ab, und zog ſich in die Dachkammer zurück, aus der er ſo bald nicht wieder zum Vorſchein kam. Er hatte in dem ‚Fräulein‘ die Tochter nicht wieder erkannt. Toni war darauf zu Frau Katſchner gegangen, wo ſie Pauline und Erneſtine traf.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/396>, abgerufen am 01.06.2024.