Das Erstaunen der beiden über Tonis Aufzug war nicht gering. Wenn jemand bäuerisch ausgesehen hatte, so war es Toni gewesen; jetzt kam sie als Stadtdame wieder.
Dick schien sie immer noch zu sein, aber die rotbraune Farbe war von ihren Wangen gewichen. Das Haar war ge¬ pflegt und zu einer hohen Frisur aufgesteckt, über die Stirne fiel es in vereinzelten Fransen, fast bis auf die Augenbrauen herab. Ihr Mieder mußte ziemlich eng sein, nach der Art zu schließen, wie sie sich steif bewegte. Sie hatte den mit Seide gefütterten Mantel, den Hut mit Straußenfeder, Muff, Handschuhe und Schirm abgelegt, und ließ diese Pracht nun von den Frauen bewundern. Von jedem Stücke nannte sie bereitwilligst den Preis.
Frau Katschner war auch hinzugekommen. Es wurde Kaffee gekocht. Toni bildete den Mittelpunkt des Interesses.
Man erzählte ihr, daß ihr Kindchen gestorben sei. Zeichen allzu großer Bestürzung gab sie nicht zu erkennen. Einige Thränen hatte sie wohl dafür übrig. Dann meinte sie: die Kinderkleidchen, die sie aus Berlin mitgebracht, für das Kleine, wolle sie nun Paulinen schenken.
Die Witwe Katschner wollte dafür, daß sie den Kaffee schenkte, auch etwas zu hören bekommen. Toni wurde aufge¬ fordert, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Sie that es in der Weise beschränkter Menschen, die sich einbilden, daß gerade ihnen Dinge passiert seien, die keinem anderen Menschen wiederfahren könnten. Halb und halb sprach sie noch den heimischen Dialekt; in der altgewohnten Umgebung legte sie schnell ab, was sie sich etwa an großstädtischen Rede¬ wendungen angewöhnt hatte. Sie schwatzte alles durchein¬ ander.
Zuerst war sie Amme gewesen, in jener von Samuel Harrassowitz ihr verschafften Stelle. Das wäre wunderschön gewesen, erzählte Toni. Sie machte eine Beschreibung von ihrem Spreewälder Kostüm. Täglich sei sie mit dem Kinde im Tiergarten gewesen, bei gutem Wetter zu Fuß, bei schlechtem im Wagen.
Das Erſtaunen der beiden über Tonis Aufzug war nicht gering. Wenn jemand bäueriſch ausgeſehen hatte, ſo war es Toni geweſen; jetzt kam ſie als Stadtdame wieder.
Dick ſchien ſie immer noch zu ſein, aber die rotbraune Farbe war von ihren Wangen gewichen. Das Haar war ge¬ pflegt und zu einer hohen Friſur aufgeſteckt, über die Stirne fiel es in vereinzelten Franſen, faſt bis auf die Augenbrauen herab. Ihr Mieder mußte ziemlich eng ſein, nach der Art zu ſchließen, wie ſie ſich ſteif bewegte. Sie hatte den mit Seide gefütterten Mantel, den Hut mit Straußenfeder, Muff, Handſchuhe und Schirm abgelegt, und ließ dieſe Pracht nun von den Frauen bewundern. Von jedem Stücke nannte ſie bereitwilligſt den Preis.
Frau Katſchner war auch hinzugekommen. Es wurde Kaffee gekocht. Toni bildete den Mittelpunkt des Intereſſes.
Man erzählte ihr, daß ihr Kindchen geſtorben ſei. Zeichen allzu großer Beſtürzung gab ſie nicht zu erkennen. Einige Thränen hatte ſie wohl dafür übrig. Dann meinte ſie: die Kinderkleidchen, die ſie aus Berlin mitgebracht, für das Kleine, wolle ſie nun Paulinen ſchenken.
Die Witwe Katſchner wollte dafür, daß ſie den Kaffee ſchenkte, auch etwas zu hören bekommen. Toni wurde aufge¬ fordert, von ihren Erlebniſſen zu erzählen. Sie that es in der Weiſe beſchränkter Menſchen, die ſich einbilden, daß gerade ihnen Dinge paſſiert ſeien, die keinem anderen Menſchen wiederfahren könnten. Halb und halb ſprach ſie noch den heimiſchen Dialekt; in der altgewohnten Umgebung legte ſie ſchnell ab, was ſie ſich etwa an großſtädtiſchen Rede¬ wendungen angewöhnt hatte. Sie ſchwatzte alles durchein¬ ander.
Zuerſt war ſie Amme geweſen, in jener von Samuel Harraſſowitz ihr verſchafften Stelle. Das wäre wunderſchön geweſen, erzählte Toni. Sie machte eine Beſchreibung von ihrem Spreewälder Koſtüm. Täglich ſei ſie mit dem Kinde im Tiergarten geweſen, bei gutem Wetter zu Fuß, bei ſchlechtem im Wagen.
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Das Erſtaunen der beiden über Tonis Aufzug war nicht
gering. Wenn jemand bäueriſch ausgeſehen hatte, ſo war es
Toni geweſen; jetzt kam ſie als Stadtdame wieder.
Dick ſchien ſie immer noch zu ſein, aber die rotbraune
Farbe war von ihren Wangen gewichen. Das Haar war ge¬
pflegt und zu einer hohen Friſur aufgeſteckt, über die Stirne
fiel es in vereinzelten Franſen, faſt bis auf die Augenbrauen herab.
Ihr Mieder mußte ziemlich eng ſein, nach der Art zu ſchließen,
wie ſie ſich ſteif bewegte. Sie hatte den mit Seide gefütterten
Mantel, den Hut mit Straußenfeder, Muff, Handſchuhe und
Schirm abgelegt, und ließ dieſe Pracht nun von den Frauen
bewundern. Von jedem Stücke nannte ſie bereitwilligſt den
Preis.
Frau Katſchner war auch hinzugekommen. Es wurde
Kaffee gekocht. Toni bildete den Mittelpunkt des Intereſſes.
Man erzählte ihr, daß ihr Kindchen geſtorben ſei. Zeichen
allzu großer Beſtürzung gab ſie nicht zu erkennen. Einige
Thränen hatte ſie wohl dafür übrig. Dann meinte ſie: die
Kinderkleidchen, die ſie aus Berlin mitgebracht, für das Kleine,
wolle ſie nun Paulinen ſchenken.
Die Witwe Katſchner wollte dafür, daß ſie den Kaffee
ſchenkte, auch etwas zu hören bekommen. Toni wurde aufge¬
fordert, von ihren Erlebniſſen zu erzählen. Sie that es in der
Weiſe beſchränkter Menſchen, die ſich einbilden, daß gerade
ihnen Dinge paſſiert ſeien, die keinem anderen Menſchen
wiederfahren könnten. Halb und halb ſprach ſie noch den
heimiſchen Dialekt; in der altgewohnten Umgebung legte
ſie ſchnell ab, was ſie ſich etwa an großſtädtiſchen Rede¬
wendungen angewöhnt hatte. Sie ſchwatzte alles durchein¬
ander.
Zuerſt war ſie Amme geweſen, in jener von Samuel
Harraſſowitz ihr verſchafften Stelle. Das wäre wunderſchön
geweſen, erzählte Toni. Sie machte eine Beſchreibung von
ihrem Spreewälder Koſtüm. Täglich ſei ſie mit dem Kinde
im Tiergarten geweſen, bei gutem Wetter zu Fuß, bei ſchlechtem
im Wagen.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/397>, abgerufen am 24.11.2024.
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