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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Ernestine fragte, warum sie denn nicht in der Stellung
geblieben sei, wenn sie es da so gut gehabt.

Toni meinte, sie hätte da nicht essen und trinken dürfen,
was sie gewollt, vom Arzte hätte sie sich auch in einem fort
untersuchen lassen müssen, und als das Kind eines Tages
Brechdurchfall bekommen habe, sei die Herrschaft sehr böse ge¬
worden und habe sie entlassen.

Dann sei sie eine Zeit lang ohne Stellung gewesen, habe
"als privat" gelebt, wie sie sich ausdrückte, bis ihr Freund ihr
endlich die jetzige Stellung verschafft habe.

Was denn das für eine Art Verdienst sei, forschte die
wißbegierige Frau Katschner.

Toni wußte Wunderdinge darüber zu berichten. Sie sei
in einem sehr "feinen Lokale". In der Mitte des Lokales
befinde sich ein Ding, ganz aus Glas, wie ein Häuschen --
sie gab sich vergebliche Mühe einen Kiosk zu beschreiben -- da
drinnen stehe sie und verkaufe Würstchen an die Gäste; das
Paar koste zwanzig Pfennige. An einem Abende verkaufe sie
manchmal tausend und mehr. Dazu habe sie ein Kostüm an;
sie beschrieb es: Sammetmieder, roten Rock, bloße Arme und
eine dreifache Kette von silbernen Münzen um den Hals. Sie
sei auch schon so photographiert worden; die Photographie
habe sie im Koffer mit.

Ernestine, die schon lange mit verhaltenem Spotte den
Erzählungen der älteren Schwester zugehört hatte, meinte jetzt
in wegwerfendem Tone: Würstchen verkaufen, das sei was
Rechtes, dazu brauche man nicht nach Berlin gehen!

Aber Toni erklärte voll Eifer, ihre Stellung sei eine sehr
feine, sie bekomme viel Trinkgelder, die Herren unterhielten
sich oft mit ihr und machten viel Spaß. Zweimal in der
Woche habe sie Ausgehtag. Dann erzählte sie von Cirkus,
Theater, Bierkonzerten, Bällen.

Die Wunder der Großstadt hatten außergewöhnliche Bilder
in die Phantasie dieses Landkindes geworfen. Der neuen
Eindrücke waren zuviel gewesen; alles hatte sich in dem Kopfe
der Thörin verzerrt und verschoben. Nun, wo sie versuchte

Erneſtine fragte, warum ſie denn nicht in der Stellung
geblieben ſei, wenn ſie es da ſo gut gehabt.

Toni meinte, ſie hätte da nicht eſſen und trinken dürfen,
was ſie gewollt, vom Arzte hätte ſie ſich auch in einem fort
unterſuchen laſſen müſſen, und als das Kind eines Tages
Brechdurchfall bekommen habe, ſei die Herrſchaft ſehr böſe ge¬
worden und habe ſie entlaſſen.

Dann ſei ſie eine Zeit lang ohne Stellung geweſen, habe
„als privat“ gelebt, wie ſie ſich ausdrückte, bis ihr Freund ihr
endlich die jetzige Stellung verſchafft habe.

Was denn das für eine Art Verdienſt ſei, forſchte die
wißbegierige Frau Katſchner.

Toni wußte Wunderdinge darüber zu berichten. Sie ſei
in einem ſehr „feinen Lokale“. In der Mitte des Lokales
befinde ſich ein Ding, ganz aus Glas, wie ein Häuschen —
ſie gab ſich vergebliche Mühe einen Kioſk zu beſchreiben — da
drinnen ſtehe ſie und verkaufe Würſtchen an die Gäſte; das
Paar koſte zwanzig Pfennige. An einem Abende verkaufe ſie
manchmal tauſend und mehr. Dazu habe ſie ein Koſtüm an;
ſie beſchrieb es: Sammetmieder, roten Rock, bloße Arme und
eine dreifache Kette von ſilbernen Münzen um den Hals. Sie
ſei auch ſchon ſo photographiert worden; die Photographie
habe ſie im Koffer mit.

Erneſtine, die ſchon lange mit verhaltenem Spotte den
Erzählungen der älteren Schweſter zugehört hatte, meinte jetzt
in wegwerfendem Tone: Würſtchen verkaufen, das ſei was
Rechtes, dazu brauche man nicht nach Berlin gehen!

Aber Toni erklärte voll Eifer, ihre Stellung ſei eine ſehr
feine, ſie bekomme viel Trinkgelder, die Herren unterhielten
ſich oft mit ihr und machten viel Spaß. Zweimal in der
Woche habe ſie Ausgehtag. Dann erzählte ſie von Cirkus,
Theater, Bierkonzerten, Bällen.

Die Wunder der Großſtadt hatten außergewöhnliche Bilder
in die Phantaſie dieſes Landkindes geworfen. Der neuen
Eindrücke waren zuviel geweſen; alles hatte ſich in dem Kopfe
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[384/0398] Erneſtine fragte, warum ſie denn nicht in der Stellung geblieben ſei, wenn ſie es da ſo gut gehabt. Toni meinte, ſie hätte da nicht eſſen und trinken dürfen, was ſie gewollt, vom Arzte hätte ſie ſich auch in einem fort unterſuchen laſſen müſſen, und als das Kind eines Tages Brechdurchfall bekommen habe, ſei die Herrſchaft ſehr böſe ge¬ worden und habe ſie entlaſſen. Dann ſei ſie eine Zeit lang ohne Stellung geweſen, habe „als privat“ gelebt, wie ſie ſich ausdrückte, bis ihr Freund ihr endlich die jetzige Stellung verſchafft habe. Was denn das für eine Art Verdienſt ſei, forſchte die wißbegierige Frau Katſchner. Toni wußte Wunderdinge darüber zu berichten. Sie ſei in einem ſehr „feinen Lokale“. In der Mitte des Lokales befinde ſich ein Ding, ganz aus Glas, wie ein Häuschen — ſie gab ſich vergebliche Mühe einen Kioſk zu beſchreiben — da drinnen ſtehe ſie und verkaufe Würſtchen an die Gäſte; das Paar koſte zwanzig Pfennige. An einem Abende verkaufe ſie manchmal tauſend und mehr. Dazu habe ſie ein Koſtüm an; ſie beſchrieb es: Sammetmieder, roten Rock, bloße Arme und eine dreifache Kette von ſilbernen Münzen um den Hals. Sie ſei auch ſchon ſo photographiert worden; die Photographie habe ſie im Koffer mit. Erneſtine, die ſchon lange mit verhaltenem Spotte den Erzählungen der älteren Schweſter zugehört hatte, meinte jetzt in wegwerfendem Tone: Würſtchen verkaufen, das ſei was Rechtes, dazu brauche man nicht nach Berlin gehen! Aber Toni erklärte voll Eifer, ihre Stellung ſei eine ſehr feine, ſie bekomme viel Trinkgelder, die Herren unterhielten ſich oft mit ihr und machten viel Spaß. Zweimal in der Woche habe ſie Ausgehtag. Dann erzählte ſie von Cirkus, Theater, Bierkonzerten, Bällen. Die Wunder der Großſtadt hatten außergewöhnliche Bilder in die Phantaſie dieſes Landkindes geworfen. Der neuen Eindrücke waren zuviel geweſen; alles hatte ſich in dem Kopfe der Thörin verzerrt und verſchoben. Nun, wo ſie verſuchte

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/398>, abgerufen am 24.11.2024.