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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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worden; er war jetzt auch so ein loser Baum, den man leicht
ausheben und verpflanzen kann.

Mehr und mehr fing er an, seiner dörfischen Umgebung
überdrüssig zu werden, ja sie im Grunde seines Herzens zu
verachten. Auf dem Dorfe war man wie in einem dunklen,
engen, dumpfen Zimmer, in welches das Licht höchstens durch
Ritzen und Klinzen eindringt. Da draußen, in der Welt, in
der Stadt, da winkte das große rauschende Glück, das Ver¬
gnügen, die Freiheit, die Selbständigkeit! --

So gab er denn seiner Schwester Ernestine, als sie Hal¬
benau verließ, seine Papiere mit, die sie Häschke übergeben
sollte.

Das Mädchen ging der Zukunft leichten Herzens ent¬
gegen. Sie hatte bereits der vorige Sommer der Heimat
entfremdet. Sie lebte längst mit ihren Gedanken und Plä¬
nen in einer neuen Welt, die mit dem ländlichen Heim wenig
gemein hatte. Ein Vaterhaus, von dem sie hätten Ab¬
schied nehmen müssen, gab es ja für die Büttnerschen Kinder
nicht mehr.

Um die Zukunft machte sich die leichtherzige Ernestine
wenig Sorge. Häschke verdiente jetzt zwanzig Mark in der
Woche. Mit der Zeit hatte er Aussicht, Monteur zu werden,
so schrieb er selbst. Außerdem konnte man zur Verbesserung
des Einkommens ja auch Kostgänger und Schlafburschen auf¬
nehmen. Ein größeres Quartier war darauflos schon gemietet
worden.

Das Mädchen würde vielleicht nicht einmal vom Vater
Abschied genommen haben, wenn nicht Gustav es ausdrücklich
von ihr verlangt hätte.

Der Abschied war kühl und steif. Ernestine, die doch
sonst nicht gerade auf den Mund gefallen war, wußte dem
Vater kein liebes Wort zu sagen.

Der alte Mann brachte es auch zu keiner herzlichen Äuße¬
rung dem letzten Kinde gegenüber, das nun von ihm ging.


worden; er war jetzt auch ſo ein loſer Baum, den man leicht
ausheben und verpflanzen kann.

Mehr und mehr fing er an, ſeiner dörfiſchen Umgebung
überdrüſſig zu werden, ja ſie im Grunde ſeines Herzens zu
verachten. Auf dem Dorfe war man wie in einem dunklen,
engen, dumpfen Zimmer, in welches das Licht höchſtens durch
Ritzen und Klinzen eindringt. Da draußen, in der Welt, in
der Stadt, da winkte das große rauſchende Glück, das Ver¬
gnügen, die Freiheit, die Selbſtändigkeit! —

So gab er denn ſeiner Schweſter Erneſtine, als ſie Hal¬
benau verließ, ſeine Papiere mit, die ſie Häſchke übergeben
ſollte.

Das Mädchen ging der Zukunft leichten Herzens ent¬
gegen. Sie hatte bereits der vorige Sommer der Heimat
entfremdet. Sie lebte längſt mit ihren Gedanken und Plä¬
nen in einer neuen Welt, die mit dem ländlichen Heim wenig
gemein hatte. Ein Vaterhaus, von dem ſie hätten Ab¬
ſchied nehmen müſſen, gab es ja für die Büttnerſchen Kinder
nicht mehr.

Um die Zukunft machte ſich die leichtherzige Erneſtine
wenig Sorge. Häſchke verdiente jetzt zwanzig Mark in der
Woche. Mit der Zeit hatte er Ausſicht, Monteur zu werden,
ſo ſchrieb er ſelbſt. Außerdem konnte man zur Verbeſſerung
des Einkommens ja auch Koſtgänger und Schlafburſchen auf¬
nehmen. Ein größeres Quartier war darauflos ſchon gemietet
worden.

Das Mädchen würde vielleicht nicht einmal vom Vater
Abſchied genommen haben, wenn nicht Guſtav es ausdrücklich
von ihr verlangt hätte.

Der Abſchied war kühl und ſteif. Erneſtine, die doch
ſonſt nicht gerade auf den Mund gefallen war, wußte dem
Vater kein liebes Wort zu ſagen.

Der alte Mann brachte es auch zu keiner herzlichen Äuße¬
rung dem letzten Kinde gegenüber, das nun von ihm ging.


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[405/0419] worden; er war jetzt auch ſo ein loſer Baum, den man leicht ausheben und verpflanzen kann. Mehr und mehr fing er an, ſeiner dörfiſchen Umgebung überdrüſſig zu werden, ja ſie im Grunde ſeines Herzens zu verachten. Auf dem Dorfe war man wie in einem dunklen, engen, dumpfen Zimmer, in welches das Licht höchſtens durch Ritzen und Klinzen eindringt. Da draußen, in der Welt, in der Stadt, da winkte das große rauſchende Glück, das Ver¬ gnügen, die Freiheit, die Selbſtändigkeit! — So gab er denn ſeiner Schweſter Erneſtine, als ſie Hal¬ benau verließ, ſeine Papiere mit, die ſie Häſchke übergeben ſollte. Das Mädchen ging der Zukunft leichten Herzens ent¬ gegen. Sie hatte bereits der vorige Sommer der Heimat entfremdet. Sie lebte längſt mit ihren Gedanken und Plä¬ nen in einer neuen Welt, die mit dem ländlichen Heim wenig gemein hatte. Ein Vaterhaus, von dem ſie hätten Ab¬ ſchied nehmen müſſen, gab es ja für die Büttnerſchen Kinder nicht mehr. Um die Zukunft machte ſich die leichtherzige Erneſtine wenig Sorge. Häſchke verdiente jetzt zwanzig Mark in der Woche. Mit der Zeit hatte er Ausſicht, Monteur zu werden, ſo ſchrieb er ſelbſt. Außerdem konnte man zur Verbeſſerung des Einkommens ja auch Koſtgänger und Schlafburſchen auf¬ nehmen. Ein größeres Quartier war darauflos ſchon gemietet worden. Das Mädchen würde vielleicht nicht einmal vom Vater Abſchied genommen haben, wenn nicht Guſtav es ausdrücklich von ihr verlangt hätte. Der Abſchied war kühl und ſteif. Erneſtine, die doch ſonſt nicht gerade auf den Mund gefallen war, wußte dem Vater kein liebes Wort zu ſagen. Der alte Mann brachte es auch zu keiner herzlichen Äuße¬ rung dem letzten Kinde gegenüber, das nun von ihm ging.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/419>, abgerufen am 24.11.2024.