Nun wurde er in die Ecke gestellt, ein verbrauchtes alt¬ modisches Gerät. Er war ein Baumstumpf, der mit samt den Wurzeln ausgerodet ist; so lag er auf dem Boden, dem er, als er in voller Kraft und Blüte gestanden, seinen Schatten gespendet hatte. Die tausendfältigen Beziehungen, die jeden mit der Mitwelt verbinden, die unzähligen Würzelchen, mit denen wir jeden Augenblick Kräfte saugen und Kräfte zurück¬ geben, waren durchschnitten. Er war unnütz geworden für sich und die anderen. Er konnte aus der Welt gehen, und nirgens würde eine Lücke klaffen.
Zweck- und ziellos ging er umher, im Dorfe, über die Felder, durch den Wald. Wann wäre das früher jemals vorgekommen! Da hatte jeder Gang sein Ziel, da wurde er, außer Feiertags, niemals unbeschäftigt angetroffen. Aber, was sollte er jetzt anfangen? wofür seine Hände rühren?
Die Leute redeten ihn an, einzelne aus Mitleid, die meisten aus Neugier; sein Wesen war allen ein Rätsel.
Aber, da man fast nie eine Antwort von ihm erhielt, unterblieb das Anreden mit der Zeit. Die Kinder lachten wohl über die struppige Erscheinung des Alten, liefen ihm nach; auch Erwachsene wagten hie und da eine Spottrede hinter seinem Rücken. Aber in's Gesicht ihn zu höhnen, wagte niemand; das Elend hatte noch nicht ganz die Ehr¬ furcht gebietende Würde aus der Erscheinung des Greises gelöscht.
Der Pfarrer stellte den alten Mann auf der Straße und ging eine Strecke mit ihm. Da gab es zarte Vorwürfe zu hören, daß Büttner nicht mehr zur Predigt und zum Tische des Herrn komme. Der Bauer zuckte verdrossen die Achseln, blieb dem Seelsorger die Antwort schuldig.
Ein andermal traf Büttner mit dem Güterdirektor des Grafen zusammen. Hauptmann Schroff hielt sein Pferd an und begrüßte den alten Mann. Der Hauptmann beklagte, daß alles so gekommen wäre. Nun das Bauerngut nicht mehr für ihn zu haben sei, habe der Graf seinen Sinn geändert.
Die Zeit war über ihn hinweggeſchritten.
Nun wurde er in die Ecke geſtellt, ein verbrauchtes alt¬ modiſches Gerät. Er war ein Baumſtumpf, der mit ſamt den Wurzeln ausgerodet iſt; ſo lag er auf dem Boden, dem er, als er in voller Kraft und Blüte geſtanden, ſeinen Schatten geſpendet hatte. Die tauſendfältigen Beziehungen, die jeden mit der Mitwelt verbinden, die unzähligen Würzelchen, mit denen wir jeden Augenblick Kräfte ſaugen und Kräfte zurück¬ geben, waren durchſchnitten. Er war unnütz geworden für ſich und die anderen. Er konnte aus der Welt gehen, und nirgens würde eine Lücke klaffen.
Zweck- und ziellos ging er umher, im Dorfe, über die Felder, durch den Wald. Wann wäre das früher jemals vorgekommen! Da hatte jeder Gang ſein Ziel, da wurde er, außer Feiertags, niemals unbeſchäftigt angetroffen. Aber, was ſollte er jetzt anfangen? wofür ſeine Hände rühren?
Die Leute redeten ihn an, einzelne aus Mitleid, die meiſten aus Neugier; ſein Weſen war allen ein Rätſel.
Aber, da man faſt nie eine Antwort von ihm erhielt, unterblieb das Anreden mit der Zeit. Die Kinder lachten wohl über die ſtruppige Erſcheinung des Alten, liefen ihm nach; auch Erwachſene wagten hie und da eine Spottrede hinter ſeinem Rücken. Aber in's Geſicht ihn zu höhnen, wagte niemand; das Elend hatte noch nicht ganz die Ehr¬ furcht gebietende Würde aus der Erſcheinung des Greiſes gelöſcht.
Der Pfarrer ſtellte den alten Mann auf der Straße und ging eine Strecke mit ihm. Da gab es zarte Vorwürfe zu hören, daß Büttner nicht mehr zur Predigt und zum Tiſche des Herrn komme. Der Bauer zuckte verdroſſen die Achſeln, blieb dem Seelſorger die Antwort ſchuldig.
Ein andermal traf Büttner mit dem Güterdirektor des Grafen zuſammen. Hauptmann Schroff hielt ſein Pferd an und begrüßte den alten Mann. Der Hauptmann beklagte, daß alles ſo gekommen wäre. Nun das Bauerngut nicht mehr für ihn zu haben ſei, habe der Graf ſeinen Sinn geändert.
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Die Zeit war über ihn hinweggeſchritten.
Nun wurde er in die Ecke geſtellt, ein verbrauchtes alt¬
modiſches Gerät. Er war ein Baumſtumpf, der mit ſamt
den Wurzeln ausgerodet iſt; ſo lag er auf dem Boden, dem
er, als er in voller Kraft und Blüte geſtanden, ſeinen Schatten
geſpendet hatte. Die tauſendfältigen Beziehungen, die jeden
mit der Mitwelt verbinden, die unzähligen Würzelchen, mit
denen wir jeden Augenblick Kräfte ſaugen und Kräfte zurück¬
geben, waren durchſchnitten. Er war unnütz geworden für ſich
und die anderen. Er konnte aus der Welt gehen, und nirgens
würde eine Lücke klaffen.
Zweck- und ziellos ging er umher, im Dorfe, über die
Felder, durch den Wald. Wann wäre das früher jemals
vorgekommen! Da hatte jeder Gang ſein Ziel, da wurde er,
außer Feiertags, niemals unbeſchäftigt angetroffen. Aber, was
ſollte er jetzt anfangen? wofür ſeine Hände rühren?
Die Leute redeten ihn an, einzelne aus Mitleid, die meiſten
aus Neugier; ſein Weſen war allen ein Rätſel.
Aber, da man faſt nie eine Antwort von ihm erhielt,
unterblieb das Anreden mit der Zeit. Die Kinder lachten
wohl über die ſtruppige Erſcheinung des Alten, liefen ihm
nach; auch Erwachſene wagten hie und da eine Spottrede
hinter ſeinem Rücken. Aber in's Geſicht ihn zu höhnen,
wagte niemand; das Elend hatte noch nicht ganz die Ehr¬
furcht gebietende Würde aus der Erſcheinung des Greiſes
gelöſcht.
Der Pfarrer ſtellte den alten Mann auf der Straße und
ging eine Strecke mit ihm. Da gab es zarte Vorwürfe zu
hören, daß Büttner nicht mehr zur Predigt und zum Tiſche
des Herrn komme. Der Bauer zuckte verdroſſen die Achſeln,
blieb dem Seelſorger die Antwort ſchuldig.
Ein andermal traf Büttner mit dem Güterdirektor des
Grafen zuſammen. Hauptmann Schroff hielt ſein Pferd an
und begrüßte den alten Mann. Der Hauptmann beklagte, daß
alles ſo gekommen wäre. Nun das Bauerngut nicht mehr
für ihn zu haben ſei, habe der Graf ſeinen Sinn geändert.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/426>, abgerufen am 24.11.2024.
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