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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Vieles daran war verlockend: die feste Anstellung, das aus¬
kömmliche Gehalt; übergroße Anstrengung war mit einem
solchen Posten auch nicht verbunden und man behielt Zeit
übrig für sich und die Seinen.

Auf der anderen Seite gab es mancherlei Unerquickliches
an einer solchen Stellung. Man brachte mit seiner Arbeit
nichts Bleibendes vor sich, woran man seine Freude hätte haben
können. Die Aussicht, Höheres zu erreichen, sich selbst vor¬
wärts zu bringen, war ausgeschlossen. Man war der Diener
von tausend beliebigen Leuten. Und was Gustav als das
Schwerste erschien: er wurde herausgerissen aus dem von
Jugend auf gewohnten Leben. Vom Acker weg wurde er in
ein städtisches Souterrain verpflanzt, in das vielleicht die Sonne
nicht einmal am Tage drang. Wie würde er, wie würde Pau¬
line, das ertragen?

Erst jetzt, wo er vor die Entscheidung gestellt war, merkte
er, was er vorhatte: daß er einen Strich mache unter seine
eigene Vergangenheit, daß er mit der vielhundertjährigen Über¬
lieferung seiner Familie breche, daß er im Begriff stehe, aus
einem Landmann ein Städter zu werden.

Er besprach die Sache mit Pauline. Sie überließ ihm,
wie in allen wichtigen Fragen, auch diesmal die Entscheidung.
Ihr genügte, bei ihm bleiben zu dürfen, alles andere solle ihr
recht sein.

Schließlich erkannte Gustav, daß es eine Wahl für ihn
gar nicht mehr gebe; er mußte annehmen. Der Winter hatte
die Ersparnisse des vorigen Sommers verschlungen. Als Auf¬
seher wieder in die Rübengegend zu gehen, hatte er verschworen.
In der Heimat gab es keine Beschäftigung für ihn, wenn er
nicht tagelöhnern wollte. Er mußte also nach dem greifen,
was sich ihm bot, um sich und die Seinen vor Mangel zu
bewahren.

Die Stelle war durch Todesfall erledigt, und Häschke
hatte geschrieben, daß Gustav so bald wie möglich antreten
müsse. Es hieß also, in wenigen Tagen packen und Abschied
nehmen.

Vieles daran war verlockend: die feſte Anſtellung, das aus¬
kömmliche Gehalt; übergroße Anſtrengung war mit einem
ſolchen Poſten auch nicht verbunden und man behielt Zeit
übrig für ſich und die Seinen.

Auf der anderen Seite gab es mancherlei Unerquickliches
an einer ſolchen Stellung. Man brachte mit ſeiner Arbeit
nichts Bleibendes vor ſich, woran man ſeine Freude hätte haben
können. Die Ausſicht, Höheres zu erreichen, ſich ſelbſt vor¬
wärts zu bringen, war ausgeſchloſſen. Man war der Diener
von tauſend beliebigen Leuten. Und was Guſtav als das
Schwerſte erſchien: er wurde herausgeriſſen aus dem von
Jugend auf gewohnten Leben. Vom Acker weg wurde er in
ein ſtädtiſches Souterrain verpflanzt, in das vielleicht die Sonne
nicht einmal am Tage drang. Wie würde er, wie würde Pau¬
line, das ertragen?

Erſt jetzt, wo er vor die Entſcheidung geſtellt war, merkte
er, was er vorhatte: daß er einen Strich mache unter ſeine
eigene Vergangenheit, daß er mit der vielhundertjährigen Über¬
lieferung ſeiner Familie breche, daß er im Begriff ſtehe, aus
einem Landmann ein Städter zu werden.

Er beſprach die Sache mit Pauline. Sie überließ ihm,
wie in allen wichtigen Fragen, auch diesmal die Entſcheidung.
Ihr genügte, bei ihm bleiben zu dürfen, alles andere ſolle ihr
recht ſein.

Schließlich erkannte Guſtav, daß es eine Wahl für ihn
gar nicht mehr gebe; er mußte annehmen. Der Winter hatte
die Erſparniſſe des vorigen Sommers verſchlungen. Als Auf¬
ſeher wieder in die Rübengegend zu gehen, hatte er verſchworen.
In der Heimat gab es keine Beſchäftigung für ihn, wenn er
nicht tagelöhnern wollte. Er mußte alſo nach dem greifen,
was ſich ihm bot, um ſich und die Seinen vor Mangel zu
bewahren.

Die Stelle war durch Todesfall erledigt, und Häſchke
hatte geſchrieben, daß Guſtav ſo bald wie möglich antreten
müſſe. Es hieß alſo, in wenigen Tagen packen und Abſchied
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[414/0428] Vieles daran war verlockend: die feſte Anſtellung, das aus¬ kömmliche Gehalt; übergroße Anſtrengung war mit einem ſolchen Poſten auch nicht verbunden und man behielt Zeit übrig für ſich und die Seinen. Auf der anderen Seite gab es mancherlei Unerquickliches an einer ſolchen Stellung. Man brachte mit ſeiner Arbeit nichts Bleibendes vor ſich, woran man ſeine Freude hätte haben können. Die Ausſicht, Höheres zu erreichen, ſich ſelbſt vor¬ wärts zu bringen, war ausgeſchloſſen. Man war der Diener von tauſend beliebigen Leuten. Und was Guſtav als das Schwerſte erſchien: er wurde herausgeriſſen aus dem von Jugend auf gewohnten Leben. Vom Acker weg wurde er in ein ſtädtiſches Souterrain verpflanzt, in das vielleicht die Sonne nicht einmal am Tage drang. Wie würde er, wie würde Pau¬ line, das ertragen? Erſt jetzt, wo er vor die Entſcheidung geſtellt war, merkte er, was er vorhatte: daß er einen Strich mache unter ſeine eigene Vergangenheit, daß er mit der vielhundertjährigen Über¬ lieferung ſeiner Familie breche, daß er im Begriff ſtehe, aus einem Landmann ein Städter zu werden. Er beſprach die Sache mit Pauline. Sie überließ ihm, wie in allen wichtigen Fragen, auch diesmal die Entſcheidung. Ihr genügte, bei ihm bleiben zu dürfen, alles andere ſolle ihr recht ſein. Schließlich erkannte Guſtav, daß es eine Wahl für ihn gar nicht mehr gebe; er mußte annehmen. Der Winter hatte die Erſparniſſe des vorigen Sommers verſchlungen. Als Auf¬ ſeher wieder in die Rübengegend zu gehen, hatte er verſchworen. In der Heimat gab es keine Beſchäftigung für ihn, wenn er nicht tagelöhnern wollte. Er mußte alſo nach dem greifen, was ſich ihm bot, um ſich und die Seinen vor Mangel zu bewahren. Die Stelle war durch Todesfall erledigt, und Häſchke hatte geſchrieben, daß Guſtav ſo bald wie möglich antreten müſſe. Es hieß alſo, in wenigen Tagen packen und Abſchied nehmen.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/428>, abgerufen am 24.11.2024.