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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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ein langer, schmaler Raum, in der Mitte durch einen Laden¬
tisch geteilt, hinter dem mehrere Schreiber auf Drehschemeln
an hohen Pulten saßen. Ein junger Mann mit einer
Brille sprang von seinem Schemel herab, kam auf den Bauer
zu und fragte, was er wünsche. Der Alte meinte, er habe
etwas Hafer zu verkaufen. Wieviel es sei, fragte der junge
Mensch, die Feder an seinem Ärmel auswischend.

"Sacke a Sticker zahne kennten's schun sein," gab der
Büttnerbauer zurück.

Der Jüngling lächelte darauf überlegen und meinte, daß
sein Haus sich mit "Detail-Einkäufen" nicht abgebe.

Für den Bauer war die Ausdrucksweise des jungen
Herrn unverständlich. Es gab Frage und Antwort und aber¬
maliges Fragen. Die Schreiber drehten sich auf ihren Sesseln
um und betrachteten sich den alten Mann im altväterischen
Rocke mit spöttischen Mienen.

Darüber war ein mittelgroßer, zur Korpulenz neigender
Mann mit kahlem Kopfe, gebogener Nase und brandrotem
Backenbart von einem Nebenraume aus ins Comptoir getreten.
Sofort fuhren alle Drehschemel wieder herum und die jungen
Leute steckten, mit gebeugtem Rücken, die Nasen eifrig in ihre
Schreiberei.

Samuel Harrassowitz -- denn er war es selbst -- maß
die Gestalt des Bauern mit spähendem Blicke. Dann trat
er auf ihn zu, streckte die Hand aus, lächelte verbindlich,
und sagte: "Grüß Sie Gott, mein lieber Herr Büttner! Was
steht zu Ihren Diensten?"

Der Bauer war völlig überrascht. Woher kannte ihn dieser
Herr? Er konnte sich nicht entsinnen, dieses Gesicht jemals
gesehen zu haben.

"Ich werde Sie doch wahrhaftig kennen, Herr Büttner!"
meinte der Händler. "Sie sind eine bekannte Persönlichkeit bei uns,
Besitzen Sie nicht ein schönes Gut in Halbenau -- nicht wahr?"

Der Bauer stand da mit offenem Munde, starrte jenen
an, der ihm die Allwissenheit in Person schien, und konnte
sich von seinem Staunen gar nicht wieder erholen.

ein langer, ſchmaler Raum, in der Mitte durch einen Laden¬
tiſch geteilt, hinter dem mehrere Schreiber auf Drehſchemeln
an hohen Pulten ſaßen. Ein junger Mann mit einer
Brille ſprang von ſeinem Schemel herab, kam auf den Bauer
zu und fragte, was er wünſche. Der Alte meinte, er habe
etwas Hafer zu verkaufen. Wieviel es ſei, fragte der junge
Menſch, die Feder an ſeinem Ärmel auswiſchend.

„Sacke a Sticker zahne kennten's ſchun ſein,“ gab der
Büttnerbauer zurück.

Der Jüngling lächelte darauf überlegen und meinte, daß
ſein Haus ſich mit „Detail-Einkäufen“ nicht abgebe.

Für den Bauer war die Ausdrucksweiſe des jungen
Herrn unverſtändlich. Es gab Frage und Antwort und aber¬
maliges Fragen. Die Schreiber drehten ſich auf ihren Seſſeln
um und betrachteten ſich den alten Mann im altväteriſchen
Rocke mit ſpöttiſchen Mienen.

Darüber war ein mittelgroßer, zur Korpulenz neigender
Mann mit kahlem Kopfe, gebogener Naſe und brandrotem
Backenbart von einem Nebenraume aus ins Comptoir getreten.
Sofort fuhren alle Drehſchemel wieder herum und die jungen
Leute ſteckten, mit gebeugtem Rücken, die Naſen eifrig in ihre
Schreiberei.

Samuel Harraſſowitz — denn er war es ſelbſt — maß
die Geſtalt des Bauern mit ſpähendem Blicke. Dann trat
er auf ihn zu, ſtreckte die Hand aus, lächelte verbindlich,
und ſagte: „Grüß Sie Gott, mein lieber Herr Büttner! Was
ſteht zu Ihren Dienſten?“

Der Bauer war völlig überraſcht. Woher kannte ihn dieſer
Herr? Er konnte ſich nicht entſinnen, dieſes Geſicht jemals
geſehen zu haben.

„Ich werde Sie doch wahrhaftig kennen, Herr Büttner!“
meinte der Händler. „Sie ſind eine bekannte Perſönlichkeit bei uns,
Beſitzen Sie nicht ein ſchönes Gut in Halbenau — nicht wahr?“

Der Bauer ſtand da mit offenem Munde, ſtarrte jenen
an, der ihm die Allwiſſenheit in Perſon ſchien, und konnte
ſich von ſeinem Staunen gar nicht wieder erholen.

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[44/0058] ein langer, ſchmaler Raum, in der Mitte durch einen Laden¬ tiſch geteilt, hinter dem mehrere Schreiber auf Drehſchemeln an hohen Pulten ſaßen. Ein junger Mann mit einer Brille ſprang von ſeinem Schemel herab, kam auf den Bauer zu und fragte, was er wünſche. Der Alte meinte, er habe etwas Hafer zu verkaufen. Wieviel es ſei, fragte der junge Menſch, die Feder an ſeinem Ärmel auswiſchend. „Sacke a Sticker zahne kennten's ſchun ſein,“ gab der Büttnerbauer zurück. Der Jüngling lächelte darauf überlegen und meinte, daß ſein Haus ſich mit „Detail-Einkäufen“ nicht abgebe. Für den Bauer war die Ausdrucksweiſe des jungen Herrn unverſtändlich. Es gab Frage und Antwort und aber¬ maliges Fragen. Die Schreiber drehten ſich auf ihren Seſſeln um und betrachteten ſich den alten Mann im altväteriſchen Rocke mit ſpöttiſchen Mienen. Darüber war ein mittelgroßer, zur Korpulenz neigender Mann mit kahlem Kopfe, gebogener Naſe und brandrotem Backenbart von einem Nebenraume aus ins Comptoir getreten. Sofort fuhren alle Drehſchemel wieder herum und die jungen Leute ſteckten, mit gebeugtem Rücken, die Naſen eifrig in ihre Schreiberei. Samuel Harraſſowitz — denn er war es ſelbſt — maß die Geſtalt des Bauern mit ſpähendem Blicke. Dann trat er auf ihn zu, ſtreckte die Hand aus, lächelte verbindlich, und ſagte: „Grüß Sie Gott, mein lieber Herr Büttner! Was ſteht zu Ihren Dienſten?“ Der Bauer war völlig überraſcht. Woher kannte ihn dieſer Herr? Er konnte ſich nicht entſinnen, dieſes Geſicht jemals geſehen zu haben. „Ich werde Sie doch wahrhaftig kennen, Herr Büttner!“ meinte der Händler. „Sie ſind eine bekannte Perſönlichkeit bei uns, Beſitzen Sie nicht ein ſchönes Gut in Halbenau — nicht wahr?“ Der Bauer ſtand da mit offenem Munde, ſtarrte jenen an, der ihm die Allwiſſenheit in Perſon ſchien, und konnte ſich von ſeinem Staunen gar nicht wieder erholen.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/58>, abgerufen am 17.05.2024.