Vesper. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick nach der Tochter, forschend, ob die nicht endlich was sagen würde. Pau¬ line bürstete und rieb, als ob ihre Seligkeit davon abhinge, daß die Diele rein würde.
Es schwebte etwas Ungelöstes, Schwüles, ein Vorwurf, zwischen Mutter und Tochter.
"Willst De ne vaspern, Pauline?" fragte die Mutter end¬ lich. "Ich ha' der dohie wos zurechte gemacht."
"Laßt ack Mutter! Ich ho' keenen Hunger ne!" sagte das Mädchen und vermied es noch immer, die Mutter anzusehen.
Frau Katschner, die am Tische saß, hatte sich ihr Brot mit Quark gestrichen, von Zeit zu Zeit führte sie mit dem Messer ein Stück zum Munde. Pauline war inzwischen aufgestanden, sie stand jetzt am Ofen, den Zuber vor sich auf der Ofenbank.
"Was meenst De wohl, Pauline!" begann Frau Katschner von neuem das Gespräch: "wenn mer's, und mir hätten's den Kontessen derzahlt von Deinen Kleenen, daß der von Dir is, wos meenst De wohl, wos die fir a Gesichte derzut gemacht haben mechten -- haa?"
"Ich weeß nich, Mutter!" sagte Pauline nur. Sie wandte der Mutter den Rücken zu und rang mit Aufbietung aller Kraft den Hader aus.
"Mit suwas darf man der Art garne kimma. Das ver¬ trogen se ne. Do is glei alle. Das kenn' ich. Die Gräfin, su ne hibsche Frau, wie das war, aber wenn a Madel, und se that sich vergassen . . . ne! Da flog se glei naus. Do gab's nischt uf'n Schlosse. Suwos darf man denen gar nich merken lassen."
"De Kontesse Ida is immer su gutt gewast -- gegen mich . . ." meinte Pauline mit stockender Stimme. Das Weinen war ihr nahe. "Nu hon Sie er suwas vurgeradt Mutter! Ich ho' mich su schämen missen. Su ane Liege! Ne, ich muß mich su sihre schämen, muß ich mich! Grade der Ida, die su gutt is! -- Ne, Mutter, das war ne recht vun Sie!"
Pauline ließ ihren Thränen freien Lauf. Sie hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, die Ellbogen auf die Kniee gestützt und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Vesper. Von Zeit zu Zeit warf ſie einen Blick nach der Tochter, forſchend, ob die nicht endlich was ſagen würde. Pau¬ line bürſtete und rieb, als ob ihre Seligkeit davon abhinge, daß die Diele rein würde.
Es ſchwebte etwas Ungelöſtes, Schwüles, ein Vorwurf, zwiſchen Mutter und Tochter.
„Willſt De ne vaſpern, Pauline?“ fragte die Mutter end¬ lich. „Ich ha' der dohie wos zurechte gemacht.“
„Laßt ack Mutter! Ich ho' keenen Hunger ne!“ ſagte das Mädchen und vermied es noch immer, die Mutter anzuſehen.
Frau Katſchner, die am Tiſche ſaß, hatte ſich ihr Brot mit Quark geſtrichen, von Zeit zu Zeit führte ſie mit dem Meſſer ein Stück zum Munde. Pauline war inzwiſchen aufgeſtanden, ſie ſtand jetzt am Ofen, den Zuber vor ſich auf der Ofenbank.
„Was meenſt De wohl, Pauline!“ begann Frau Katſchner von neuem das Geſpräch: „wenn mer's, und mir hätten's den Konteſſen derzahlt von Deinen Kleenen, daß der von Dir is, wos meenſt De wohl, wos die fir a Geſichte derzut gemacht haben mechten — haa?“
„Ich weeß nich, Mutter!“ ſagte Pauline nur. Sie wandte der Mutter den Rücken zu und rang mit Aufbietung aller Kraft den Hader aus.
„Mit ſuwas darf man der Art garne kimma. Das ver¬ trogen ſe ne. Do is glei alle. Das kenn' ich. Die Gräfin, ſu ne hibſche Frau, wie das war, aber wenn a Madel, und ſe that ſich vergaſſen . . . ne! Da flog ſe glei naus. Do gab's niſcht uf'n Schloſſe. Suwos darf man denen gar nich merken laſſen.“
„De Konteſſe Ida is immer ſu gutt gewaſt — gegen mich . . .“ meinte Pauline mit ſtockender Stimme. Das Weinen war ihr nahe. „Nu hon Sie er ſuwas vurgeradt Mutter! Ich ho' mich ſu ſchämen miſſen. Su ane Liege! Ne, ich muß mich ſu ſihre ſchämen, muß ich mich! Grade der Ida, die ſu gutt is! — Ne, Mutter, das war ne recht vun Sie!“
Pauline ließ ihren Thränen freien Lauf. Sie hatte ſich auf die Ofenbank geſetzt, die Ellbogen auf die Kniee geſtützt und verbarg ihr Geſicht in den Händen.
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Vesper. Von Zeit zu Zeit warf ſie einen Blick nach der
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die Diele rein würde.
Es ſchwebte etwas Ungelöſtes, Schwüles, ein Vorwurf,
zwiſchen Mutter und Tochter.
„Willſt De ne vaſpern, Pauline?“ fragte die Mutter end¬
lich. „Ich ha' der dohie wos zurechte gemacht.“
„Laßt ack Mutter! Ich ho' keenen Hunger ne!“ ſagte das
Mädchen und vermied es noch immer, die Mutter anzuſehen.
Frau Katſchner, die am Tiſche ſaß, hatte ſich ihr Brot mit
Quark geſtrichen, von Zeit zu Zeit führte ſie mit dem Meſſer
ein Stück zum Munde. Pauline war inzwiſchen aufgeſtanden,
ſie ſtand jetzt am Ofen, den Zuber vor ſich auf der Ofenbank.
„Was meenſt De wohl, Pauline!“ begann Frau Katſchner
von neuem das Geſpräch: „wenn mer's, und mir hätten's den
Konteſſen derzahlt von Deinen Kleenen, daß der von Dir is,
wos meenſt De wohl, wos die fir a Geſichte derzut gemacht
haben mechten — haa?“
„Ich weeß nich, Mutter!“ ſagte Pauline nur. Sie wandte
der Mutter den Rücken zu und rang mit Aufbietung aller
Kraft den Hader aus.
„Mit ſuwas darf man der Art garne kimma. Das ver¬
trogen ſe ne. Do is glei alle. Das kenn' ich. Die Gräfin,
ſu ne hibſche Frau, wie das war, aber wenn a Madel, und ſe
that ſich vergaſſen . . . ne! Da flog ſe glei naus. Do gab's niſcht
uf'n Schloſſe. Suwos darf man denen gar nich merken laſſen.“
„De Konteſſe Ida is immer ſu gutt gewaſt — gegen
mich . . .“ meinte Pauline mit ſtockender Stimme. Das Weinen
war ihr nahe. „Nu hon Sie er ſuwas vurgeradt Mutter!
Ich ho' mich ſu ſchämen miſſen. Su ane Liege! Ne, ich muß
mich ſu ſihre ſchämen, muß ich mich! Grade der Ida, die ſu
gutt is! — Ne, Mutter, das war ne recht vun Sie!“
Pauline ließ ihren Thränen freien Lauf. Sie hatte ſich
auf die Ofenbank geſetzt, die Ellbogen auf die Kniee geſtützt
und verbarg ihr Geſicht in den Händen.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/94>, abgerufen am 16.07.2024.
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