Ueberhaupt ist ihre ganze Art voll von Unregel- mäßigkeiten, die sie aber alle für poetische Frey- heiten ausgeben. Chardin behauptet, daß die Poesie, sie möge seyn von welcher Art sie wolle, einen fürtrefflichen Wohlklang habe, und auch solchen Leuten gefallen müsse, welche die persische Sprache nur halb oder auch ganz und gar nicht verständen. Ja er geht noch weiter, und versichert, daß die Poesie der Morgenlän- der, und besonders die der Perser, die Unsrige weit an Schönheit, Wohlklang und andern Eigenschaften übertreffe weil ihre Einbil- dungskraft nicht nur lebhafter, sondern auch ihr Ausdruck erhabener sey und die Poesien un- srer besten Dichter für weiter nichts -- in Ver- gleichung mit den persischen -- als frostige und elende Prose zu rechnen wären. Sonder Zwei- fel ist diese Meynung viel zu hoch gespannt. Andere, und zugleich zuverläßige, Reisebeschrei- ber melden gerade das Gegentheil, und geben die Poesien der Perser, wo nicht für elend, doch wenigstens für sehr mittelmäßig aus.
Man hat eine Geschichte der persischen Dichter, welche von einem Gouverneur einer Provinz, Namens Sami verfertigt ist; wor- inn man eine überaus große Menge Dichter vorfindet. Afez und Sahdi sind unter die- sen die vornehmsten: und wenn man jeman- den wegen seiner Gedichte loben will; so legt man ihm einen von diesen beyden Namen bey. -- Das Frauenzimmer ist von der
Frey-
Ueberhaupt iſt ihre ganze Art voll von Unregel- maͤßigkeiten, die ſie aber alle fuͤr poetiſche Frey- heiten ausgeben. Chardin behauptet, daß die Poeſie, ſie moͤge ſeyn von welcher Art ſie wolle, einen fuͤrtrefflichen Wohlklang habe, und auch ſolchen Leuten gefallen muͤſſe, welche die perſiſche Sprache nur halb oder auch ganz und gar nicht verſtaͤnden. Ja er geht noch weiter, und verſichert, daß die Poeſie der Morgenlaͤn- der, und beſonders die der Perſer, die Unſrige weit an Schoͤnheit, Wohlklang und andern Eigenſchaften uͤbertreffe weil ihre Einbil- dungskraft nicht nur lebhafter, ſondern auch ihr Ausdruck erhabener ſey und die Poeſien un- ſrer beſten Dichter fuͤr weiter nichts — in Ver- gleichung mit den perſiſchen — als froſtige und elende Proſe zu rechnen waͤren. Sonder Zwei- fel iſt dieſe Meynung viel zu hoch geſpannt. Andere, und zugleich zuverlaͤßige, Reiſebeſchrei- ber melden gerade das Gegentheil, und geben die Poeſien der Perſer, wo nicht fuͤr elend, doch wenigſtens fuͤr ſehr mittelmaͤßig aus.
Man hat eine Geſchichte der perſiſchen Dichter, welche von einem Gouverneur einer Provinz, Namens Sami verfertigt iſt; wor- inn man eine uͤberaus große Menge Dichter vorfindet. Afez und Sahdi ſind unter die- ſen die vornehmſten: und wenn man jeman- den wegen ſeiner Gedichte loben will; ſo legt man ihm einen von dieſen beyden Namen bey. — Das Frauenzimmer iſt von der
Frey-
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Ueberhaupt iſt ihre ganze Art voll von Unregel-
maͤßigkeiten, die ſie aber alle fuͤr poetiſche Frey-
heiten ausgeben. Chardin behauptet, daß
die Poeſie, ſie moͤge ſeyn von welcher Art ſie
wolle, einen fuͤrtrefflichen Wohlklang habe, und
auch ſolchen Leuten gefallen muͤſſe, welche die
perſiſche Sprache nur halb oder auch ganz und
gar nicht verſtaͤnden. Ja er geht noch weiter,
und verſichert, daß die Poeſie der Morgenlaͤn-
der, und beſonders die der Perſer, die Unſrige
weit an Schoͤnheit, Wohlklang und andern
Eigenſchaften uͤbertreffe weil ihre Einbil-
dungskraft nicht nur lebhafter, ſondern auch
ihr Ausdruck erhabener ſey und die Poeſien un-
ſrer beſten Dichter fuͤr weiter nichts — in Ver-
gleichung mit den perſiſchen — als froſtige und
elende Proſe zu rechnen waͤren. Sonder Zwei-
fel iſt dieſe Meynung viel zu hoch geſpannt.
Andere, und zugleich zuverlaͤßige, Reiſebeſchrei-
ber melden gerade das Gegentheil, und geben
die Poeſien der Perſer, wo nicht fuͤr elend, doch
wenigſtens fuͤr ſehr mittelmaͤßig aus.
Man hat eine Geſchichte der perſiſchen
Dichter, welche von einem Gouverneur einer
Provinz, Namens Sami verfertigt iſt; wor-
inn man eine uͤberaus große Menge Dichter
vorfindet. Afez und Sahdi ſind unter die-
ſen die vornehmſten: und wenn man jeman-
den wegen ſeiner Gedichte loben will; ſo legt
man ihm einen von dieſen beyden Namen
bey. — Das Frauenzimmer iſt von der
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/111>, abgerufen am 21.11.2024.
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