Vormundschaft. Alsdenn gehen sie zum Ca- zy, welcher das Examen mit einer artigen Fra- ge anfängt. Er fragt: "Ist dir der Teufel über den Leib gesprungen?" dieß bedeutet so viel, als die Frage: "Hältst du dich für fähig, zu heyrathen?" Hierauf pflegt man gemeinig- lich mit einem "Ja" zu antworten. -- Man nonnt die Loßsprechung der Kinder von der Ge- walt des Vormundes Balic, und zu derselben gelangt man, so bald man das Nützliche von dem Schädlichen zu unterscheiden fähig ist.
Die minderjährigen Kinder haben in Per- sien große Privilegien: denn man kann ihre Erbschaft nicht angreifen, wenn auch der Ver- storbene Schulden gemacht hat. Das Gesetz verlangt, daß man sie zu ihrem Alter kommen lassen soll, und daß ihre Vormünder für sie nicht bezahlen können. -- Die Vormünder haben nach dem Mohammedanischen Rechte ei- ne große Gewalt. Denn sie sehen das Ver- mögen der Pupillen als ihr eigenes an, und wann die Kinder in dasjenige Alter gekommen, worinn sie keines Vormunds mehr gebrauchen; so läßt ihnen das Gesetz, um Rechenschaft von ih- rer Vormundschaft zu geben, Zeit genug, um etwa den Defect wieder herbey zu schaffen. Der älteste Sohn vertritt auch gemeiniglich bey seinen jüngern Geschwistern die Stelle des Vor- mundes.
Die Bankeruteurs und Flüchtlige finden sehr wenig Schutz. Ihr ganzes Vermögen
wird
Vormundſchaft. Alsdenn gehen ſie zum Ca- zy, welcher das Examen mit einer artigen Fra- ge anfaͤngt. Er fragt: „Iſt dir der Teufel uͤber den Leib geſprungen?“ dieß bedeutet ſo viel, als die Frage: „Haͤltſt du dich fuͤr faͤhig, zu heyrathen?“ Hierauf pflegt man gemeinig- lich mit einem „Ja“ zu antworten. — Man nonnt die Loßſprechung der Kinder von der Ge- walt des Vormundes Balic, und zu derſelben gelangt man, ſo bald man das Nuͤtzliche von dem Schaͤdlichen zu unterſcheiden faͤhig iſt.
Die minderjaͤhrigen Kinder haben in Per- ſien große Privilegien: denn man kann ihre Erbſchaft nicht angreifen, wenn auch der Ver- ſtorbene Schulden gemacht hat. Das Geſetz verlangt, daß man ſie zu ihrem Alter kommen laſſen ſoll, und daß ihre Vormuͤnder fuͤr ſie nicht bezahlen koͤnnen. — Die Vormuͤnder haben nach dem Mohammedaniſchen Rechte ei- ne große Gewalt. Denn ſie ſehen das Ver- moͤgen der Pupillen als ihr eigenes an, und wann die Kinder in dasjenige Alter gekommen, worinn ſie keines Vormunds mehr gebrauchen; ſo laͤßt ihnen das Geſetz, um Rechenſchaft von ih- rer Vormundſchaft zu geben, Zeit genug, um etwa den Defect wieder herbey zu ſchaffen. Der aͤlteſte Sohn vertritt auch gemeiniglich bey ſeinen juͤngern Geſchwiſtern die Stelle des Vor- mundes.
Die Bankeruteurs und Fluͤchtlige finden ſehr wenig Schutz. Ihr ganzes Vermoͤgen
wird
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Vormundſchaft. Alsdenn gehen ſie zum Ca-
zy, welcher das Examen mit einer artigen Fra-
ge anfaͤngt. Er fragt: „Iſt dir der Teufel
uͤber den Leib geſprungen?“ dieß bedeutet ſo
viel, als die Frage: „Haͤltſt du dich fuͤr faͤhig,
zu heyrathen?“ Hierauf pflegt man gemeinig-
lich mit einem „Ja“ zu antworten. — Man
nonnt die Loßſprechung der Kinder von der Ge-
walt des Vormundes Balic, und zu derſelben
gelangt man, ſo bald man das Nuͤtzliche von
dem Schaͤdlichen zu unterſcheiden faͤhig iſt.
Die minderjaͤhrigen Kinder haben in Per-
ſien große Privilegien: denn man kann ihre
Erbſchaft nicht angreifen, wenn auch der Ver-
ſtorbene Schulden gemacht hat. Das Geſetz
verlangt, daß man ſie zu ihrem Alter kommen
laſſen ſoll, und daß ihre Vormuͤnder fuͤr ſie
nicht bezahlen koͤnnen. — Die Vormuͤnder
haben nach dem Mohammedaniſchen Rechte ei-
ne große Gewalt. Denn ſie ſehen das Ver-
moͤgen der Pupillen als ihr eigenes an, und
wann die Kinder in dasjenige Alter gekommen,
worinn ſie keines Vormunds mehr gebrauchen; ſo
laͤßt ihnen das Geſetz, um Rechenſchaft von ih-
rer Vormundſchaft zu geben, Zeit genug, um
etwa den Defect wieder herbey zu ſchaffen.
Der aͤlteſte Sohn vertritt auch gemeiniglich bey
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/160>, abgerufen am 21.11.2024.
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