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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

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chen Sachen viele Neurungen vorgebracht ha-
ben, bekleidete er das Amt eines Hohenprie-
sters. In den ersten Zeiten des Mohamme-
dismus hatte er das Recht, alle Gewissens-
fälle zu entscheiden, wegen Uebertretung des
Korans Strafen aufzulegen, die Sünder in
den Bann zu thun, und wieder loszusprechen.
Die Verrichtung eines persischen Muftis be-
stehet itzt bloß darinn, seine Meynung über
gewisse schwere Puncte des Gesetzes zu sagen, und
sein Ausspruch dient nur bloß den obrigkeitli-
chen Personen bey ihren Urtheilen zu ihrer
Richtschnur; daher pflegt man auch zu der-
gleichen Aemtern allezeit einen erfahrnen und
geschickten Mann zu wählen. Der König er-
nennt ihn, und wenn er von einer gelassenen
Gemüthsart ist, und sich nach der Verfassung
und den Grundsätzen der Regierung richten
will; so wird er eingesetzt. Ueberhaupt muß
man wissen, daß der Mufti in Persien sehr im
Zaum gehalten wird. Und dieß ist auch unge-
mein heilsam und wichtig: denn sonst würde
kein Fremder, der nicht mohammedanisch ge-
sinnt wäre, des Lebens sicher seyn. Sie
würden dem ganzen Staate Gesetze geben
wollen.

Diese Richter, von denen wir geredet ha-
ben, halten nicht zusammen und an einem Or-
te Gericht. Ein jeder hat sein eignes Gericht,
und wer einen Proceß hat, kann sich zu einem
von diesem nach Belieben wenden. -- Da der

Koran
K 3

chen Sachen viele Neurungen vorgebracht ha-
ben, bekleidete er das Amt eines Hohenprie-
ſters. In den erſten Zeiten des Mohamme-
dismus hatte er das Recht, alle Gewiſſens-
faͤlle zu entſcheiden, wegen Uebertretung des
Korans Strafen aufzulegen, die Suͤnder in
den Bann zu thun, und wieder loszuſprechen.
Die Verrichtung eines perſiſchen Muftis be-
ſtehet itzt bloß darinn, ſeine Meynung uͤber
gewiſſe ſchwere Puncte des Geſetzes zu ſagen, und
ſein Ausſpruch dient nur bloß den obrigkeitli-
chen Perſonen bey ihren Urtheilen zu ihrer
Richtſchnur; daher pflegt man auch zu der-
gleichen Aemtern allezeit einen erfahrnen und
geſchickten Mann zu waͤhlen. Der Koͤnig er-
nennt ihn, und wenn er von einer gelaſſenen
Gemuͤthsart iſt, und ſich nach der Verfaſſung
und den Grundſaͤtzen der Regierung richten
will; ſo wird er eingeſetzt. Ueberhaupt muß
man wiſſen, daß der Mufti in Perſien ſehr im
Zaum gehalten wird. Und dieß iſt auch unge-
mein heilſam und wichtig: denn ſonſt wuͤrde
kein Fremder, der nicht mohammedaniſch ge-
ſinnt waͤre, des Lebens ſicher ſeyn. Sie
wuͤrden dem ganzen Staate Geſetze geben
wollen.

Dieſe Richter, von denen wir geredet ha-
ben, halten nicht zuſammen und an einem Or-
te Gericht. Ein jeder hat ſein eignes Gericht,
und wer einen Proceß hat, kann ſich zu einem
von dieſem nach Belieben wenden. — Da der

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K 3
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[149/0169] chen Sachen viele Neurungen vorgebracht ha- ben, bekleidete er das Amt eines Hohenprie- ſters. In den erſten Zeiten des Mohamme- dismus hatte er das Recht, alle Gewiſſens- faͤlle zu entſcheiden, wegen Uebertretung des Korans Strafen aufzulegen, die Suͤnder in den Bann zu thun, und wieder loszuſprechen. Die Verrichtung eines perſiſchen Muftis be- ſtehet itzt bloß darinn, ſeine Meynung uͤber gewiſſe ſchwere Puncte des Geſetzes zu ſagen, und ſein Ausſpruch dient nur bloß den obrigkeitli- chen Perſonen bey ihren Urtheilen zu ihrer Richtſchnur; daher pflegt man auch zu der- gleichen Aemtern allezeit einen erfahrnen und geſchickten Mann zu waͤhlen. Der Koͤnig er- nennt ihn, und wenn er von einer gelaſſenen Gemuͤthsart iſt, und ſich nach der Verfaſſung und den Grundſaͤtzen der Regierung richten will; ſo wird er eingeſetzt. Ueberhaupt muß man wiſſen, daß der Mufti in Perſien ſehr im Zaum gehalten wird. Und dieß iſt auch unge- mein heilſam und wichtig: denn ſonſt wuͤrde kein Fremder, der nicht mohammedaniſch ge- ſinnt waͤre, des Lebens ſicher ſeyn. Sie wuͤrden dem ganzen Staate Geſetze geben wollen. Dieſe Richter, von denen wir geredet ha- ben, halten nicht zuſammen und an einem Or- te Gericht. Ein jeder hat ſein eignes Gericht, und wer einen Proceß hat, kann ſich zu einem von dieſem nach Belieben wenden. — Da der Koran K 3

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Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/169>, abgerufen am 21.11.2024.