sich diese Ernsthaftigkeit mit ihren übertriebe- nen Cerimonien reimen lasse. Allein die Sa- che läßt sich leicht verstehen, wenn man das Wort Ernsthaftig richtig versteht. Sagt man also: die Chineser verbinden mit einer großen Schalkheit und Hinterlistigkeit fast unnatürliche Cerimonien und Komplimente; so ist es für unsre Denkungsart erklärbar. -- Wir wollen hier einige Züge von ihrem Cerimoniel im geselligen Umgange anführen.
Wenn sich zwey Personen von gleichem Stande auf den Straßen oder irgendwo ein- ander begegnen; so begrüßen sie sich, indem sie die eine Hand auf die Brust legen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen. Gegen eine vornehme Person beobachten sie auch ein vor- nehmeres Cerimoniel. Denn anstatt, daß sie für ihres Gleichen eine Hand auf die Brust le- gen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen: legen sie alsdann beyde Hände auf die Brust, und machen mit dem ganzen Körper ei- nen tiefen Reverenz. Der Geringere muß dem Vornehmern bey jeder Gelegenheit deutliche und sichtbare Zeichen der Ehrerbietigkeit erwei- sen. Er muß, wenn er diesen besucht oder mit ihm redet, ein Knie beugen, und in dieser Stel- lung so lange verbleiben, bis ihm der Vorneh- me gerade zu stehen befielt. Eine gleiche Accu- ratesse beobachten sie auch in Ansehung des Ranges bey ihren Besuchen. Sie durchweben ihre Zusammenkünfte mit vielen Leibesbewe-
gan-
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ſich dieſe Ernſthaftigkeit mit ihren uͤbertriebe- nen Cerimonien reimen laſſe. Allein die Sa- che laͤßt ſich leicht verſtehen, wenn man das Wort Ernſthaftig richtig verſteht. Sagt man alſo: die Chineſer verbinden mit einer großen Schalkheit und Hinterliſtigkeit faſt unnatuͤrliche Cerimonien und Komplimente; ſo iſt es fuͤr unſre Denkungsart erklaͤrbar. — Wir wollen hier einige Zuͤge von ihrem Cerimoniel im geſelligen Umgange anfuͤhren.
Wenn ſich zwey Perſonen von gleichem Stande auf den Straßen oder irgendwo ein- ander begegnen; ſo begruͤßen ſie ſich, indem ſie die eine Hand auf die Bruſt legen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen. Gegen eine vornehme Perſon beobachten ſie auch ein vor- nehmeres Cerimoniel. Denn anſtatt, daß ſie fuͤr ihres Gleichen eine Hand auf die Bruſt le- gen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen: legen ſie alsdann beyde Haͤnde auf die Bruſt, und machen mit dem ganzen Koͤrper ei- nen tiefen Reverenz. Der Geringere muß dem Vornehmern bey jeder Gelegenheit deutliche und ſichtbare Zeichen der Ehrerbietigkeit erwei- ſen. Er muß, wenn er dieſen beſucht oder mit ihm redet, ein Knie beugen, und in dieſer Stel- lung ſo lange verbleiben, bis ihm der Vorneh- me gerade zu ſtehen befielt. Eine gleiche Accu- rateſſe beobachten ſie auch in Anſehung des Ranges bey ihren Beſuchen. Sie durchweben ihre Zuſammenkuͤnfte mit vielen Leibesbewe-
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ſich dieſe Ernſthaftigkeit mit ihren uͤbertriebe-
nen Cerimonien reimen laſſe. Allein die Sa-
che laͤßt ſich leicht verſtehen, wenn man das
Wort Ernſthaftig richtig verſteht. Sagt man
alſo: die Chineſer verbinden mit einer großen
Schalkheit und Hinterliſtigkeit faſt unnatuͤrliche
Cerimonien und Komplimente; ſo iſt es fuͤr unſre
Denkungsart erklaͤrbar. — Wir wollen hier
einige Zuͤge von ihrem Cerimoniel im geſelligen
Umgange anfuͤhren.
Wenn ſich zwey Perſonen von gleichem
Stande auf den Straßen oder irgendwo ein-
ander begegnen; ſo begruͤßen ſie ſich, indem ſie
die eine Hand auf die Bruſt legen, und mit dem
Kopfe eine Verbeugung machen. Gegen eine
vornehme Perſon beobachten ſie auch ein vor-
nehmeres Cerimoniel. Denn anſtatt, daß ſie
fuͤr ihres Gleichen eine Hand auf die Bruſt le-
gen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung
machen: legen ſie alsdann beyde Haͤnde auf die
Bruſt, und machen mit dem ganzen Koͤrper ei-
nen tiefen Reverenz. Der Geringere muß dem
Vornehmern bey jeder Gelegenheit deutliche
und ſichtbare Zeichen der Ehrerbietigkeit erwei-
ſen. Er muß, wenn er dieſen beſucht oder mit
ihm redet, ein Knie beugen, und in dieſer Stel-
lung ſo lange verbleiben, bis ihm der Vorneh-
me gerade zu ſtehen befielt. Eine gleiche Accu-
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/217>, abgerufen am 24.05.2024.
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