In Ansehung ihrer Kenntnisse in der Geo- metrie, sind sie noch seichter. Sie lösen die Problemata nicht nach sichern Grundsätzen, sondern durch bloße Schlüsse auf. Nur beobach- ten sie in der Ausmessungskunst viele Leichtig- keit und Accuratesse. Ihre größeste Fertigkeit besteht, nach dem Einverständnisse zuverläßiger Reisebeschreiber, in der Rechenkunst. Sie rechnen nicht mit arithmetischen Ziffern, son- dern vermittelst eines Instruments, wovon Ge- melli Carreri, Navarette u. a. hinlängliche Beschreibungen mittheilen, und worauf wir uns, der Kürze wegen, berufen müssen. Man will mit Gewißheit versichern, daß die Chineser, vermittelst dieses Instruments, mit unglaublicher Leichtigkeit und Geschwindigkeit eine jede arith- metische Aufgabe auflösen können. Ob sich nun aber diese Rechnungsart nur auf die so genannten vier Species erstrecke: wollen wir hier unausgemacht lassen. So viel scheint wohl gewiß zu seyn, daß sie die fürtreflichen Hülfsmittel d. z. E. die tabulas Sinuum et tan- gentium, logarithmos u. s. w. nicht kennen, die doch bey den astronomischen Ausrechnungen so unentbehrlich sind. Ueberdem ist es auch bey- nah zu glauben, daß sie in der Geometrie nie guten Fortgang machen werden, weil es der ganzen Anlage der Denkart der Chineser, sich auf abstracte Dinge zu legen ganz zuwider ist.
Die Musik und Dichtkunst gehören unter diejenigen Künste, welche bey den Chinesern
noch
In Anſehung ihrer Kenntniſſe in der Geo- metrie, ſind ſie noch ſeichter. Sie loͤſen die Problemata nicht nach ſichern Grundſaͤtzen, ſondern durch bloße Schluͤſſe auf. Nur beobach- ten ſie in der Ausmeſſungskunſt viele Leichtig- keit und Accurateſſe. Ihre groͤßeſte Fertigkeit beſteht, nach dem Einverſtaͤndniſſe zuverlaͤßiger Reiſebeſchreiber, in der Rechenkunſt. Sie rechnen nicht mit arithmetiſchen Ziffern, ſon- dern vermittelſt eines Inſtruments, wovon Ge- melli Carreri, Navarette u. a. hinlaͤngliche Beſchreibungen mittheilen, und worauf wir uns, der Kuͤrze wegen, berufen muͤſſen. Man will mit Gewißheit verſichern, daß die Chineſer, vermittelſt dieſes Inſtruments, mit unglaublicher Leichtigkeit und Geſchwindigkeit eine jede arith- metiſche Aufgabe aufloͤſen koͤnnen. Ob ſich nun aber dieſe Rechnungsart nur auf die ſo genannten vier Species erſtrecke: wollen wir hier unausgemacht laſſen. So viel ſcheint wohl gewiß zu ſeyn, daß ſie die fuͤrtreflichen Huͤlfsmittel d. z. E. die tabulas Sinuum et tan- gentium, logarithmos u. ſ. w. nicht kennen, die doch bey den aſtronomiſchen Ausrechnungen ſo unentbehrlich ſind. Ueberdem iſt es auch bey- nah zu glauben, daß ſie in der Geometrie nie guten Fortgang machen werden, weil es der ganzen Anlage der Denkart der Chineſer, ſich auf abſtracte Dinge zu legen ganz zuwider iſt.
Die Muſik und Dichtkunſt gehoͤren unter diejenigen Kuͤnſte, welche bey den Chineſern
noch
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In Anſehung ihrer Kenntniſſe in der Geo-
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Problemata nicht nach ſichern Grundſaͤtzen,
ſondern durch bloße Schluͤſſe auf. Nur beobach-
ten ſie in der Ausmeſſungskunſt viele Leichtig-
keit und Accurateſſe. Ihre groͤßeſte Fertigkeit
beſteht, nach dem Einverſtaͤndniſſe zuverlaͤßiger
Reiſebeſchreiber, in der Rechenkunſt. Sie
rechnen nicht mit arithmetiſchen Ziffern, ſon-
dern vermittelſt eines Inſtruments, wovon Ge-
melli Carreri, Navarette u. a. hinlaͤngliche
Beſchreibungen mittheilen, und worauf wir
uns, der Kuͤrze wegen, berufen muͤſſen. Man
will mit Gewißheit verſichern, daß die Chineſer,
vermittelſt dieſes Inſtruments, mit unglaublicher
Leichtigkeit und Geſchwindigkeit eine jede arith-
metiſche Aufgabe aufloͤſen koͤnnen. Ob ſich
nun aber dieſe Rechnungsart nur auf die ſo
genannten vier Species erſtrecke: wollen wir
hier unausgemacht laſſen. So viel ſcheint
wohl gewiß zu ſeyn, daß ſie die fuͤrtreflichen
Huͤlfsmittel d. z. E. die tabulas Sinuum et tan-
gentium, logarithmos u. ſ. w. nicht kennen, die
doch bey den aſtronomiſchen Ausrechnungen ſo
unentbehrlich ſind. Ueberdem iſt es auch bey-
nah zu glauben, daß ſie in der Geometrie nie
guten Fortgang machen werden, weil es der
ganzen Anlage der Denkart der Chineſer, ſich
auf abſtracte Dinge zu legen ganz zuwider iſt.
Die Muſik und Dichtkunſt gehoͤren unter
diejenigen Kuͤnſte, welche bey den Chineſern
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/236>, abgerufen am 22.11.2024.
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