Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

solches Geschrey, daß die ganze Nachbarschaft
zusammenläuft, um die Leidtragende zu trösten.
Alle diejenigen, welche bey dem Verluste des
Verstorbenen interessirt sind, zerreissen ihre Klei-
der, raufen sich die Haare aus, zerfetzen ihr
Gesicht, schlagen sich vor die Brust, und geben
überhaupt Zeichen der äußersten Betrübniß von
sich. Besonders zeichnen sich die Weiber im
Heulen und Wehklagen vorzüglich aus, und
scheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung
zu treiben. Bey jeder Zusammenkunft, wo
des Verstorbenen Erwähnung geschieht, pfle-
gen sie ihn aufs herrlichste zu loben: und diese
Lobeserhebungen endigen sich denn gemeiniglich
mit einem gräßlichen Geschrey.

Die erste Sorge, die sie tragen, wenn der
Kranke erblaßt ist, besteht darinn, daß sie so-
gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und
zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa-
schen und begraben lassen zu dürfen. Nach er-
haltener Erlaubniß gehen sie zum Mordi-
chour
, *) und bringen ihm den Befehl vom

Cadi,
*) Mordichour heißt in der persischen Sprache
nichts anders, als ein Wascher todter Kör-
per
. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden.
Er ist von der Justiz angesetzt, damit man
hauptsächlich wisse, wieviel Personen jedesmal
gestorben sind. -- Eine Gewohnheit und An-
ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach-
tet und gehörig erwogen, gut und lobenswür-
dig sind.
E

ſolches Geſchrey, daß die ganze Nachbarſchaft
zuſammenlaͤuft, um die Leidtragende zu troͤſten.
Alle diejenigen, welche bey dem Verluſte des
Verſtorbenen intereſſirt ſind, zerreiſſen ihre Klei-
der, raufen ſich die Haare aus, zerfetzen ihr
Geſicht, ſchlagen ſich vor die Bruſt, und geben
uͤberhaupt Zeichen der aͤußerſten Betruͤbniß von
ſich. Beſonders zeichnen ſich die Weiber im
Heulen und Wehklagen vorzuͤglich aus, und
ſcheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung
zu treiben. Bey jeder Zuſammenkunft, wo
des Verſtorbenen Erwaͤhnung geſchieht, pfle-
gen ſie ihn aufs herrlichſte zu loben: und dieſe
Lobeserhebungen endigen ſich denn gemeiniglich
mit einem graͤßlichen Geſchrey.

Die erſte Sorge, die ſie tragen, wenn der
Kranke erblaßt iſt, beſteht darinn, daß ſie ſo-
gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und
zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa-
ſchen und begraben laſſen zu duͤrfen. Nach er-
haltener Erlaubniß gehen ſie zum Mordi-
chour
, *) und bringen ihm den Befehl vom

Cadi,
*) Mordichour heißt in der perſiſchen Sprache
nichts anders, als ein Waſcher todter Koͤr-
per
. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden.
Er iſt von der Juſtiz angeſetzt, damit man
hauptſaͤchlich wiſſe, wieviel Perſonen jedesmal
geſtorben ſind. — Eine Gewohnheit und An-
ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach-
tet und gehoͤrig erwogen, gut und lobenswuͤr-
dig ſind.
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="65"/>
&#x017F;olches Ge&#x017F;chrey, daß die ganze Nachbar&#x017F;chaft<lb/>
zu&#x017F;ammenla&#x0364;uft, um die Leidtragende zu tro&#x0364;&#x017F;ten.<lb/>
Alle diejenigen, welche bey dem Verlu&#x017F;te des<lb/>
Ver&#x017F;torbenen intere&#x017F;&#x017F;irt &#x017F;ind, zerrei&#x017F;&#x017F;en ihre Klei-<lb/>
der, raufen &#x017F;ich die Haare aus, zerfetzen ihr<lb/>
Ge&#x017F;icht, &#x017F;chlagen &#x017F;ich vor die Bru&#x017F;t, und geben<lb/>
u&#x0364;berhaupt Zeichen der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Betru&#x0364;bniß von<lb/>
&#x017F;ich. Be&#x017F;onders zeichnen &#x017F;ich die Weiber im<lb/>
Heulen und Wehklagen vorzu&#x0364;glich aus, und<lb/>
&#x017F;cheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung<lb/>
zu treiben. Bey jeder Zu&#x017F;ammenkunft, wo<lb/>
des Ver&#x017F;torbenen Erwa&#x0364;hnung ge&#x017F;chieht, pfle-<lb/>
gen &#x017F;ie ihn aufs herrlich&#x017F;te zu loben: und die&#x017F;e<lb/>
Lobeserhebungen endigen &#x017F;ich denn gemeiniglich<lb/>
mit einem gra&#x0364;ßlichen Ge&#x017F;chrey.</p><lb/>
          <p>Die er&#x017F;te Sorge, die &#x017F;ie tragen, wenn der<lb/>
Kranke erblaßt i&#x017F;t, be&#x017F;teht darinn, daß &#x017F;ie &#x017F;o-<lb/>
gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und<lb/>
zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa-<lb/>
&#x017F;chen und begraben la&#x017F;&#x017F;en zu du&#x0364;rfen. Nach er-<lb/>
haltener Erlaubniß gehen &#x017F;ie zum <hi rendition="#fr">Mordi-<lb/>
chour</hi>, <note place="foot" n="*)">Mordichour heißt in der per&#x017F;i&#x017F;chen Sprache<lb/>
nichts anders, als ein <hi rendition="#fr">Wa&#x017F;cher todter Ko&#x0364;r-<lb/>
per</hi>. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden.<lb/>
Er i&#x017F;t von der Ju&#x017F;tiz ange&#x017F;etzt, damit man<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich wi&#x017F;&#x017F;e, wieviel Per&#x017F;onen jedesmal<lb/>
ge&#x017F;torben &#x017F;ind. &#x2014; Eine Gewohnheit und An-<lb/>
ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach-<lb/>
tet und geho&#x0364;rig erwogen, gut und lobenswu&#x0364;r-<lb/>
dig &#x017F;ind.</note> und bringen ihm den Befehl vom<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Cadi,</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0085] ſolches Geſchrey, daß die ganze Nachbarſchaft zuſammenlaͤuft, um die Leidtragende zu troͤſten. Alle diejenigen, welche bey dem Verluſte des Verſtorbenen intereſſirt ſind, zerreiſſen ihre Klei- der, raufen ſich die Haare aus, zerfetzen ihr Geſicht, ſchlagen ſich vor die Bruſt, und geben uͤberhaupt Zeichen der aͤußerſten Betruͤbniß von ſich. Beſonders zeichnen ſich die Weiber im Heulen und Wehklagen vorzuͤglich aus, und ſcheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung zu treiben. Bey jeder Zuſammenkunft, wo des Verſtorbenen Erwaͤhnung geſchieht, pfle- gen ſie ihn aufs herrlichſte zu loben: und dieſe Lobeserhebungen endigen ſich denn gemeiniglich mit einem graͤßlichen Geſchrey. Die erſte Sorge, die ſie tragen, wenn der Kranke erblaßt iſt, beſteht darinn, daß ſie ſo- gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa- ſchen und begraben laſſen zu duͤrfen. Nach er- haltener Erlaubniß gehen ſie zum Mordi- chour, *) und bringen ihm den Befehl vom Cadi, *) Mordichour heißt in der perſiſchen Sprache nichts anders, als ein Waſcher todter Koͤr- per. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden. Er iſt von der Juſtiz angeſetzt, damit man hauptſaͤchlich wiſſe, wieviel Perſonen jedesmal geſtorben ſind. — Eine Gewohnheit und An- ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach- tet und gehoͤrig erwogen, gut und lobenswuͤr- dig ſind. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/85
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/85>, abgerufen am 24.11.2024.