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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

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liche Erben sterben, so versammlen sich alle
Häupter des Stammes und schreiten zur Wahl
eines andern Schechs, welchen der Groß-Emir
bekräftigen muß. Es ist nicht allemal nöthig,
daß der älteste von den Söhnen oder Anver-
wandten der Familie zur Regierung gelangt,
sondern man wählt denjenigen aus der Fami-
lie, der für den tüchtigsten gehalten wird. Ein
jeder kleiner Schech ist, wie bereits gesagt, der
Anführer seiner Familie, und der große Schech
darf sie nicht eigentlich als Unterthanen, son-
dern als Bundesgenossen ansehen, weil jene
sonst von ihm abfallen, und ihre Heerde zu ei-
nem andern Stamm treiben können, von dem
sie mit offnen Armen aufgenommen werden.

Der mächtigste und an Vasallen und Un-
terthanen reichste Emir, führt nach dem Be-
richte des Arvieux, den königlichen Titel. Er
residirt in einer Wüste auf der Straße nach
Mecca, in einer gleichen Entfernung von die-
ser Stadt und dem Berge Sinai. Ein ieder
von ihnen glaubt in seinem Gebiete völlig sou-
verain zu seyn, weil seine Vorfahren in der
Gegend, wo er wohnt, vielleicht einige hundert
Jahre gewohnt haben. Aus dieser Ursache
glaubt er auch ein Recht zu haben, von den
Reisenden die durch sein Gebiet ziehen wollen,
gewisse Geschenke, Zoll verlangen zu können,
und es in diesem Stücke eben so zu halten, als
andre Nationen. Der Großsultan schickt ihm
alle Jahre ein ansehnliches Geschenk, um ihn

dadurch
R

liche Erben ſterben, ſo verſammlen ſich alle
Haͤupter des Stammes und ſchreiten zur Wahl
eines andern Schechs, welchen der Groß-Emir
bekraͤftigen muß. Es iſt nicht allemal noͤthig,
daß der aͤlteſte von den Soͤhnen oder Anver-
wandten der Familie zur Regierung gelangt,
ſondern man waͤhlt denjenigen aus der Fami-
lie, der fuͤr den tuͤchtigſten gehalten wird. Ein
jeder kleiner Schech iſt, wie bereits geſagt, der
Anfuͤhrer ſeiner Familie, und der große Schech
darf ſie nicht eigentlich als Unterthanen, ſon-
dern als Bundesgenoſſen anſehen, weil jene
ſonſt von ihm abfallen, und ihre Heerde zu ei-
nem andern Stamm treiben koͤnnen, von dem
ſie mit offnen Armen aufgenommen werden.

Der maͤchtigſte und an Vaſallen und Un-
terthanen reichſte Emir, fuͤhrt nach dem Be-
richte des Arvieux, den koͤniglichen Titel. Er
reſidirt in einer Wuͤſte auf der Straße nach
Mecca, in einer gleichen Entfernung von die-
ſer Stadt und dem Berge Sinai. Ein ieder
von ihnen glaubt in ſeinem Gebiete voͤllig ſou-
verain zu ſeyn, weil ſeine Vorfahren in der
Gegend, wo er wohnt, vielleicht einige hundert
Jahre gewohnt haben. Aus dieſer Urſache
glaubt er auch ein Recht zu haben, von den
Reiſenden die durch ſein Gebiet ziehen wollen,
gewiſſe Geſchenke, Zoll verlangen zu koͤnnen,
und es in dieſem Stuͤcke eben ſo zu halten, als
andre Nationen. Der Großſultan ſchickt ihm
alle Jahre ein anſehnliches Geſchenk, um ihn

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[257/0283] liche Erben ſterben, ſo verſammlen ſich alle Haͤupter des Stammes und ſchreiten zur Wahl eines andern Schechs, welchen der Groß-Emir bekraͤftigen muß. Es iſt nicht allemal noͤthig, daß der aͤlteſte von den Soͤhnen oder Anver- wandten der Familie zur Regierung gelangt, ſondern man waͤhlt denjenigen aus der Fami- lie, der fuͤr den tuͤchtigſten gehalten wird. Ein jeder kleiner Schech iſt, wie bereits geſagt, der Anfuͤhrer ſeiner Familie, und der große Schech darf ſie nicht eigentlich als Unterthanen, ſon- dern als Bundesgenoſſen anſehen, weil jene ſonſt von ihm abfallen, und ihre Heerde zu ei- nem andern Stamm treiben koͤnnen, von dem ſie mit offnen Armen aufgenommen werden. Der maͤchtigſte und an Vaſallen und Un- terthanen reichſte Emir, fuͤhrt nach dem Be- richte des Arvieux, den koͤniglichen Titel. Er reſidirt in einer Wuͤſte auf der Straße nach Mecca, in einer gleichen Entfernung von die- ſer Stadt und dem Berge Sinai. Ein ieder von ihnen glaubt in ſeinem Gebiete voͤllig ſou- verain zu ſeyn, weil ſeine Vorfahren in der Gegend, wo er wohnt, vielleicht einige hundert Jahre gewohnt haben. Aus dieſer Urſache glaubt er auch ein Recht zu haben, von den Reiſenden die durch ſein Gebiet ziehen wollen, gewiſſe Geſchenke, Zoll verlangen zu koͤnnen, und es in dieſem Stuͤcke eben ſo zu halten, als andre Nationen. Der Großſultan ſchickt ihm alle Jahre ein anſehnliches Geſchenk, um ihn dadurch R

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Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/283>, abgerufen am 21.11.2024.