guten oder bösen Handlungen, weil einem Un- schuldigen niemals Unglück wiederfahren könne. So sey der Reichthum, Ehrenstellen, Gesund- heit und alles übrige Gute, die Belohnung der guten Handlungen, die man entweder in dem gegenwärtigen, oder in einem vergangenem Le- ben, ausgeübt habe; hingegen sey Armuth, Schande, Häßlichkeit, Krankheit und andere Unglücksfälle, eine Strafe der Laster, die man begangen hat. *) Dieses ist, wie sie sagen, die Quelle der außerordentlichen Ungleichheit, welche in den menschlichen Ständen herrscht.
Um in Stande zu seyn, diese Lehre besser zu erklären, geben sie vor, daß die Seelen der Menschen, welche von neuen auf der Welt er- scheinen, entweder aus dem Himmel, oder aus der Hölle, oder aus den Leibern der Thiere kom- men. Diejenigen, deren Seelen aus dem Himmel kommen, spielen auf dem Schauplatze der Welt die vorzüglichsten Rollen. Diese himmlischen Seelen fahren gemeiniglich in die Leiber der Könige, oder anderer Personen von außerordentlichen Gaben. Und aus dieser Ur-
sache
*) Sie nehmen nicht, wie die Manichäer, zwey Wesen der Dinge an, wovon das eine gut, das andre böse sey; noch weniger glauben sie die Lehre von der Erbsünde, und halten alles, was man ihnen von dem Ungehorsam des ersten Menschen, und von der Erbstrafe seiner Sün- den sagt, für Träumereyen! -- -- --
Y 5
guten oder boͤſen Handlungen, weil einem Un- ſchuldigen niemals Ungluͤck wiederfahren koͤnne. So ſey der Reichthum, Ehrenſtellen, Geſund- heit und alles uͤbrige Gute, die Belohnung der guten Handlungen, die man entweder in dem gegenwaͤrtigen, oder in einem vergangenem Le- ben, ausgeuͤbt habe; hingegen ſey Armuth, Schande, Haͤßlichkeit, Krankheit und andere Ungluͤcksfaͤlle, eine Strafe der Laſter, die man begangen hat. *) Dieſes iſt, wie ſie ſagen, die Quelle der außerordentlichen Ungleichheit, welche in den menſchlichen Staͤnden herrſcht.
Um in Stande zu ſeyn, dieſe Lehre beſſer zu erklaͤren, geben ſie vor, daß die Seelen der Menſchen, welche von neuen auf der Welt er- ſcheinen, entweder aus dem Himmel, oder aus der Hoͤlle, oder aus den Leibern der Thiere kom- men. Diejenigen, deren Seelen aus dem Himmel kommen, ſpielen auf dem Schauplatze der Welt die vorzuͤglichſten Rollen. Dieſe himmliſchen Seelen fahren gemeiniglich in die Leiber der Koͤnige, oder anderer Perſonen von außerordentlichen Gaben. Und aus dieſer Ur-
ſache
*) Sie nehmen nicht, wie die Manichaͤer, zwey Weſen der Dinge an, wovon das eine gut, das andre boͤſe ſey; noch weniger glauben ſie die Lehre von der Erbſuͤnde, und halten alles, was man ihnen von dem Ungehorſam des erſten Menſchen, und von der Erbſtrafe ſeiner Suͤn- den ſagt, fuͤr Traͤumereyen! — — —
Y 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0371"n="345"/>
guten oder boͤſen Handlungen, weil einem Un-<lb/>ſchuldigen niemals Ungluͤck wiederfahren koͤnne.<lb/>
So ſey der Reichthum, Ehrenſtellen, Geſund-<lb/>
heit und alles uͤbrige Gute, die Belohnung der<lb/>
guten Handlungen, die man entweder in dem<lb/>
gegenwaͤrtigen, oder in einem vergangenem Le-<lb/>
ben, ausgeuͤbt habe; hingegen ſey Armuth,<lb/>
Schande, Haͤßlichkeit, Krankheit und andere<lb/>
Ungluͤcksfaͤlle, eine Strafe der Laſter, die man<lb/>
begangen hat. <noteplace="foot"n="*)">Sie nehmen nicht, wie die Manichaͤer, zwey<lb/>
Weſen der Dinge an, wovon das eine gut, das<lb/>
andre boͤſe ſey; noch weniger glauben ſie die<lb/>
Lehre von der Erbſuͤnde, und halten alles, was<lb/>
man ihnen von dem Ungehorſam des erſten<lb/>
Menſchen, und von der Erbſtrafe ſeiner Suͤn-<lb/>
den ſagt, fuͤr Traͤumereyen! ———</note> Dieſes iſt, wie ſie ſagen, die<lb/>
Quelle der außerordentlichen Ungleichheit, welche<lb/>
in den menſchlichen Staͤnden herrſcht.</p><lb/><p>Um in Stande zu ſeyn, dieſe Lehre beſſer<lb/>
zu erklaͤren, geben ſie vor, daß die Seelen der<lb/>
Menſchen, welche von neuen auf der Welt er-<lb/>ſcheinen, entweder aus dem Himmel, oder aus<lb/>
der Hoͤlle, oder aus den Leibern der Thiere kom-<lb/>
men. Diejenigen, deren Seelen aus dem<lb/>
Himmel kommen, ſpielen auf dem Schauplatze<lb/>
der Welt die vorzuͤglichſten Rollen. Dieſe<lb/>
himmliſchen Seelen fahren gemeiniglich in die<lb/>
Leiber der Koͤnige, oder anderer Perſonen von<lb/>
außerordentlichen Gaben. Und aus dieſer Ur-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſache</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[345/0371]
guten oder boͤſen Handlungen, weil einem Un-
ſchuldigen niemals Ungluͤck wiederfahren koͤnne.
So ſey der Reichthum, Ehrenſtellen, Geſund-
heit und alles uͤbrige Gute, die Belohnung der
guten Handlungen, die man entweder in dem
gegenwaͤrtigen, oder in einem vergangenem Le-
ben, ausgeuͤbt habe; hingegen ſey Armuth,
Schande, Haͤßlichkeit, Krankheit und andere
Ungluͤcksfaͤlle, eine Strafe der Laſter, die man
begangen hat. *) Dieſes iſt, wie ſie ſagen, die
Quelle der außerordentlichen Ungleichheit, welche
in den menſchlichen Staͤnden herrſcht.
Um in Stande zu ſeyn, dieſe Lehre beſſer
zu erklaͤren, geben ſie vor, daß die Seelen der
Menſchen, welche von neuen auf der Welt er-
ſcheinen, entweder aus dem Himmel, oder aus
der Hoͤlle, oder aus den Leibern der Thiere kom-
men. Diejenigen, deren Seelen aus dem
Himmel kommen, ſpielen auf dem Schauplatze
der Welt die vorzuͤglichſten Rollen. Dieſe
himmliſchen Seelen fahren gemeiniglich in die
Leiber der Koͤnige, oder anderer Perſonen von
außerordentlichen Gaben. Und aus dieſer Ur-
ſache
*) Sie nehmen nicht, wie die Manichaͤer, zwey
Weſen der Dinge an, wovon das eine gut, das
andre boͤſe ſey; noch weniger glauben ſie die
Lehre von der Erbſuͤnde, und halten alles, was
man ihnen von dem Ungehorſam des erſten
Menſchen, und von der Erbſtrafe ſeiner Suͤn-
den ſagt, fuͤr Traͤumereyen! — — —
Y 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/371>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.