auf Agat, Crystal und andern zerbrechlichen Materialien in Gold zu arbeiten, welches die europäischen Goldschmiede und Steinschneider, nur mit vieler Mühe können. An die Ränder oder an der Mitte der Trinkgeschirre, machen sie goldene Ringe. Was das meiste zur Voll- kommenheit der Handwerker in ihren verschiede- nen Profeßionen beyträgt, ist dieses, daß ein jeder, unter den Mohammedanern sowohl als unter den Heiden seine Kinder in eben dem Handwerke und Geschäfte auferzieht, das er treibt.
Man kann also den hindistanischen Hand- werkern, weder Genie noch Fleiß absprechen, und sie verdienen in aller Absicht gelobt zu wer- den. Wir wollen nun sehen, ob sich die Bra- minen, in der Gelehrsamkeit eben so sehr her- vorthun, da sie doch vorgeben, daß sie nur al- lein zur Betreibung derselben ein Recht hätten, und ob sie überhaupt hinlängliche Ursache ha- ben, jene zu verachten.
Die Dichtrunst, welche überhaupt die erste Wissenschaft ist, die eine Nation treibt, ist von den Hindistianern nicht so sehr vernachläßigt, wie einige Reisebeschreiber vorgeben. Man findet vielmehr einen Ueberfluß von Dichtern unter ihnen. Indessen will man doch bemerkt haben, daß die Einheit der Handlung in ihren Pouran nicht so genau beobachtet werde, wie Virgil und Homer gethan ha en. Die india- nischen Fabeln, welche die Araber und Perser
so
auf Agat, Cryſtal und andern zerbrechlichen Materialien in Gold zu arbeiten, welches die europaͤiſchen Goldſchmiede und Steinſchneider, nur mit vieler Muͤhe koͤnnen. An die Raͤnder oder an der Mitte der Trinkgeſchirre, machen ſie goldene Ringe. Was das meiſte zur Voll- kommenheit der Handwerker in ihren verſchiede- nen Profeßionen beytraͤgt, iſt dieſes, daß ein jeder, unter den Mohammedanern ſowohl als unter den Heiden ſeine Kinder in eben dem Handwerke und Geſchaͤfte auferzieht, das er treibt.
Man kann alſo den hindiſtaniſchen Hand- werkern, weder Genie noch Fleiß abſprechen, und ſie verdienen in aller Abſicht gelobt zu wer- den. Wir wollen nun ſehen, ob ſich die Bra- minen, in der Gelehrſamkeit eben ſo ſehr her- vorthun, da ſie doch vorgeben, daß ſie nur al- lein zur Betreibung derſelben ein Recht haͤtten, und ob ſie uͤberhaupt hinlaͤngliche Urſache ha- ben, jene zu verachten.
Die Dichtrunſt, welche uͤberhaupt die erſte Wiſſenſchaft iſt, die eine Nation treibt, iſt von den Hindiſtianern nicht ſo ſehr vernachlaͤßigt, wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben. Man findet vielmehr einen Ueberfluß von Dichtern unter ihnen. Indeſſen will man doch bemerkt haben, daß die Einheit der Handlung in ihren Pouran nicht ſo genau beobachtet werde, wie Virgil und Homer gethan ha en. Die india- niſchen Fabeln, welche die Araber und Perſer
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auf Agat, Cryſtal und andern zerbrechlichen
Materialien in Gold zu arbeiten, welches die
europaͤiſchen Goldſchmiede und Steinſchneider,
nur mit vieler Muͤhe koͤnnen. An die Raͤnder
oder an der Mitte der Trinkgeſchirre, machen
ſie goldene Ringe. Was das meiſte zur Voll-
kommenheit der Handwerker in ihren verſchiede-
nen Profeßionen beytraͤgt, iſt dieſes, daß ein
jeder, unter den Mohammedanern ſowohl als
unter den Heiden ſeine Kinder in eben dem
Handwerke und Geſchaͤfte auferzieht, das er
treibt.
Man kann alſo den hindiſtaniſchen Hand-
werkern, weder Genie noch Fleiß abſprechen,
und ſie verdienen in aller Abſicht gelobt zu wer-
den. Wir wollen nun ſehen, ob ſich die Bra-
minen, in der Gelehrſamkeit eben ſo ſehr her-
vorthun, da ſie doch vorgeben, daß ſie nur al-
lein zur Betreibung derſelben ein Recht haͤtten,
und ob ſie uͤberhaupt hinlaͤngliche Urſache ha-
ben, jene zu verachten.
Die Dichtrunſt, welche uͤberhaupt die erſte
Wiſſenſchaft iſt, die eine Nation treibt, iſt von
den Hindiſtianern nicht ſo ſehr vernachlaͤßigt,
wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben. Man
findet vielmehr einen Ueberfluß von Dichtern
unter ihnen. Indeſſen will man doch bemerkt
haben, daß die Einheit der Handlung in ihren
Pouran nicht ſo genau beobachtet werde, wie
Virgil und Homer gethan ha en. Die india-
niſchen Fabeln, welche die Araber und Perſer
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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