sie einen von den vier Stämmen ausmachen, darinn die Hindistaner getheilt sind. Itzt wol- len wir sie in Absicht auf ihr Amt beschreiben. -- Sie geben bekanntermaßen vor, daß sie vom Gotte Brama abstammten, und Kraft ihrer Abstammung rein und ohne Sünden wären. Und aus dieser Ursache werden sie auch als der vornehmste Adel angesehen. Der Wahn ihres göttlichen Ursprungs macht sie ganz entsetzlich stolz, so daß sie die übrigen Menschen mit einer unerträglichen Verachtung ansehen -- Es ist gewiß, daß die Braminen von den übrigen Stämmen sehr geehrt werden, weil ihnen ihre göttliche Abkunft in dem Vedam selbst zuge- standen wird. Unter den vielen Vorrechten, deren sie genießen, ist dieses das merkwürdigste, daß sie nie am Leben gestraft werden können, so groß auch das von ihnen begangene Verbrechen seyn möchte. Statt dessen aber werden ih- nen die Augen ausgebohrt, weil es eine von den fünf Todsünden ist, einen Braminen zu tödten.
Das Amt der Braminen besteht blos dar- inn, daß sie andere nicht nur im Rechnen, Le- sen und Schreiben unterrichten, sondern ihnen auch in der Religion gründliche Unterweisung geben. Dieß ist ihr Hauptgeschäfte, wofür sie aber nicht die geringste Belohnung annehmen, außer wenn sie arm sind. Die Könige und
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ſie einen von den vier Staͤmmen ausmachen, darinn die Hindiſtaner getheilt ſind. Itzt wol- len wir ſie in Abſicht auf ihr Amt beſchreiben. — Sie geben bekanntermaßen vor, daß ſie vom Gotte Brama abſtammten, und Kraft ihrer Abſtammung rein und ohne Suͤnden waͤren. Und aus dieſer Urſache werden ſie auch als der vornehmſte Adel angeſehen. Der Wahn ihres goͤttlichen Urſprungs macht ſie ganz entſetzlich ſtolz, ſo daß ſie die uͤbrigen Menſchen mit einer unertraͤglichen Verachtung anſehen — Es iſt gewiß, daß die Braminen von den uͤbrigen Staͤmmen ſehr geehrt werden, weil ihnen ihre goͤttliche Abkunft in dem Vedam ſelbſt zuge- ſtanden wird. Unter den vielen Vorrechten, deren ſie genießen, iſt dieſes das merkwuͤrdigſte, daß ſie nie am Leben geſtraft werden koͤnnen, ſo groß auch das von ihnen begangene Verbrechen ſeyn moͤchte. Statt deſſen aber werden ih- nen die Augen ausgebohrt, weil es eine von den fuͤnf Todſuͤnden iſt, einen Braminen zu toͤdten.
Das Amt der Braminen beſteht blos dar- inn, daß ſie andere nicht nur im Rechnen, Le- ſen und Schreiben unterrichten, ſondern ihnen auch in der Religion gruͤndliche Unterweiſung geben. Dieß iſt ihr Hauptgeſchaͤfte, wofuͤr ſie aber nicht die geringſte Belohnung annehmen, außer wenn ſie arm ſind. Die Koͤnige und
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ſie einen von den vier Staͤmmen ausmachen,
darinn die Hindiſtaner getheilt ſind. Itzt wol-
len wir ſie in Abſicht auf ihr Amt beſchreiben. —
Sie geben bekanntermaßen vor, daß ſie vom
Gotte Brama abſtammten, und Kraft ihrer
Abſtammung rein und ohne Suͤnden waͤren.
Und aus dieſer Urſache werden ſie auch als der
vornehmſte Adel angeſehen. Der Wahn ihres
goͤttlichen Urſprungs macht ſie ganz entſetzlich
ſtolz, ſo daß ſie die uͤbrigen Menſchen mit einer
unertraͤglichen Verachtung anſehen — Es iſt
gewiß, daß die Braminen von den uͤbrigen
Staͤmmen ſehr geehrt werden, weil ihnen ihre
goͤttliche Abkunft in dem Vedam ſelbſt zuge-
ſtanden wird. Unter den vielen Vorrechten,
deren ſie genießen, iſt dieſes das merkwuͤrdigſte,
daß ſie nie am Leben geſtraft werden koͤnnen, ſo
groß auch das von ihnen begangene Verbrechen
ſeyn moͤchte. Statt deſſen aber werden ih-
nen die Augen ausgebohrt, weil es eine von
den fuͤnf Todſuͤnden iſt, einen Braminen zu
toͤdten.
Das Amt der Braminen beſteht blos dar-
inn, daß ſie andere nicht nur im Rechnen, Le-
ſen und Schreiben unterrichten, ſondern ihnen
auch in der Religion gruͤndliche Unterweiſung
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/507>, abgerufen am 04.12.2024.
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