von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920.Leben zu leben und zu sterben. Alle Hilfeleistungen anderer dabei sind am Ende nur schöne Worte. Die ganze Lebenseinsamkeit hatte auch Indra schon erfaßt. Wenn sie ihr auch noch mit Hoffnungen und Idealen rosig umkränzt schien! Wie der Zug gleichmäßig ratterte, -- die "Lebensgeschichten" waren jetzt alle verstummt. Sie schliefen, so gut oder so schlecht es ging, mit offenem Mund, mit hängendem Kopf. -- Sie stöhnten und schnarchten und schwitzten. Selbst im Schlaf verbreiteten sie Unästhetik. "Schönheit" schrie es in Indra -- Schönheit, einen großen Lebensstil -- werde ich die drunten in Tunis finden? -- Vor vier Wochen erst war der Brief in Frau Versens Hände gelangt. Der Brief der Jugendfreundin, die sich drüben in Reichtum und Glück ihrer zärtlichen Mädchenfreundschaft erinnerte und sie fragte, wenn ihre älteste Tochter (deren Geburtsanzeige seinerzeit das letzte Lebenszeichen von Frau Versens Freundschaft gewesen) noch nicht verheiratet sei, ob sie sie auf ein Jahr herüberschicken wolle, sie sehne sich nach einer deutschen Gesellschafterin für ihren sonst ganz arabischen Leben zu leben und zu sterben. Alle Hilfeleistungen anderer dabei sind am Ende nur schöne Worte. Die ganze Lebenseinsamkeit hatte auch Indra schon erfaßt. Wenn sie ihr auch noch mit Hoffnungen und Idealen rosig umkränzt schien! Wie der Zug gleichmäßig ratterte, — die „Lebensgeschichten“ waren jetzt alle verstummt. Sie schliefen, so gut oder so schlecht es ging, mit offenem Mund, mit hängendem Kopf. — Sie stöhnten und schnarchten und schwitzten. Selbst im Schlaf verbreiteten sie Unästhetik. „Schönheit“ schrie es in Indra — Schönheit, einen großen Lebensstil — werde ich die drunten in Tunis finden? — Vor vier Wochen erst war der Brief in Frau Versens Hände gelangt. Der Brief der Jugendfreundin, die sich drüben in Reichtum und Glück ihrer zärtlichen Mädchenfreundschaft erinnerte und sie fragte, wenn ihre älteste Tochter (deren Geburtsanzeige seinerzeit das letzte Lebenszeichen von Frau Versens Freundschaft gewesen) noch nicht verheiratet sei, ob sie sie auf ein Jahr herüberschicken wolle, sie sehne sich nach einer deutschen Gesellschafterin für ihren sonst ganz arabischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="25"/> Leben zu leben und zu sterben. Alle Hilfeleistungen anderer dabei sind am Ende nur schöne Worte. Die ganze Lebenseinsamkeit hatte auch Indra schon erfaßt. Wenn sie ihr auch noch mit Hoffnungen und Idealen rosig umkränzt schien! Wie der Zug gleichmäßig ratterte, — die „Lebensgeschichten“ waren jetzt alle verstummt. Sie schliefen, so gut oder so schlecht es ging, mit offenem Mund, mit hängendem Kopf. — Sie stöhnten und schnarchten und schwitzten. Selbst im Schlaf verbreiteten sie Unästhetik. „Schönheit“ schrie es in Indra — Schönheit, einen großen Lebensstil — werde ich die drunten in Tunis finden? — Vor vier Wochen erst war der Brief in Frau Versens Hände gelangt. Der Brief der Jugendfreundin, die sich drüben in Reichtum und Glück ihrer zärtlichen Mädchenfreundschaft erinnerte und sie fragte, wenn ihre älteste Tochter (deren Geburtsanzeige seinerzeit das letzte Lebenszeichen von Frau Versens Freundschaft gewesen) noch nicht verheiratet sei, ob sie sie auf ein Jahr herüberschicken wolle, sie sehne sich nach einer deutschen Gesellschafterin für ihren sonst ganz arabischen </p> </div> </body> </text> </TEI> [25/0024]
Leben zu leben und zu sterben. Alle Hilfeleistungen anderer dabei sind am Ende nur schöne Worte. Die ganze Lebenseinsamkeit hatte auch Indra schon erfaßt. Wenn sie ihr auch noch mit Hoffnungen und Idealen rosig umkränzt schien! Wie der Zug gleichmäßig ratterte, — die „Lebensgeschichten“ waren jetzt alle verstummt. Sie schliefen, so gut oder so schlecht es ging, mit offenem Mund, mit hängendem Kopf. — Sie stöhnten und schnarchten und schwitzten. Selbst im Schlaf verbreiteten sie Unästhetik. „Schönheit“ schrie es in Indra — Schönheit, einen großen Lebensstil — werde ich die drunten in Tunis finden? — Vor vier Wochen erst war der Brief in Frau Versens Hände gelangt. Der Brief der Jugendfreundin, die sich drüben in Reichtum und Glück ihrer zärtlichen Mädchenfreundschaft erinnerte und sie fragte, wenn ihre älteste Tochter (deren Geburtsanzeige seinerzeit das letzte Lebenszeichen von Frau Versens Freundschaft gewesen) noch nicht verheiratet sei, ob sie sie auf ein Jahr herüberschicken wolle, sie sehne sich nach einer deutschen Gesellschafterin für ihren sonst ganz arabischen
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