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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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ebenso entartet war, wie ihre Nationalität. Auch Lieber schloß sich den Schaaren der Philhellenen an, die erst durch bittere Erfahrungen in dem gelobten Lande aus ihren klassischen Träumen gerissen werden konnten. Im Jahre 1821 brach er nach Griechenland auf; in seinem dürftigen Gepäck einen Stock mit sich führend, den ihm Jahn im Gefängniß geschnitten, mit der Inschrift: "Wandere in die Welt und werde ein Mann".

"Aber", sagt der amerikanische Biograph Lieber's mit berechtigtem Spott, "obgleich es zu jener Zeit nicht leicht war, in Deutschland zu leben, so war es noch schwieriger es zu verlassen". Dazu gehörte nämlich vor allem ein Paß, und damit hatte es für eine so staatsgefährliche Persönlichkeit, wie den jungen Lieber, seine großen Bedenken. Er bekam nur einen Paß nach Nürnberg auf 14 Tage. Nun ließ er diesen Paß auf der Tour nach Nürnberg möglichst oft, visiren, goß dann Dinte über die Stelle, welche die Beschränkung der Reisefreiheit enthielt, schob den Klecks auf die Unvorsichtigkeit eines visirenden Beamten, und schmuggelte sein gefährliches Selbst so glücklich nach München und schließlich über die Schweizer Grenze durch. Zu Fuß wanderte er dann durch die Schweiz nach Marseille, schiffte sich unter großen Mühseligkeiten ein, und gelangte endlich nach Navarin.

Aber bald erkannte er mit Schrecken, daß, für die Freiheit dieser Menschen zu kämpfen, nicht der Mühe eines Mannes Werth sei; er theilte die allgemeine Enttäuschung der Philhellenen, die Napier mit den Worten ausdrückt: "Alle kamen mit der Erwartung, den Peloponnes mit Plutarchs bevölkert zu sehen, und alle kehrten mit der Ueberzeugung zurück, daß die Bewohner von Newgate4) moralischer seien". Diese Freiheitskämpfer, die angeblichen Enkel der Helden von Thermopylae,

ebenso entartet war, wie ihre Nationalität. Auch Lieber schloß sich den Schaaren der Philhellenen an, die erst durch bittere Erfahrungen in dem gelobten Lande aus ihren klassischen Träumen gerissen werden konnten. Im Jahre 1821 brach er nach Griechenland auf; in seinem dürftigen Gepäck einen Stock mit sich führend, den ihm Jahn im Gefängniß geschnitten, mit der Inschrift: „Wandere in die Welt und werde ein Mann“.

„Aber“, sagt der amerikanische Biograph Lieber’s mit berechtigtem Spott, „obgleich es zu jener Zeit nicht leicht war, in Deutschland zu leben, so war es noch schwieriger es zu verlassen“. Dazu gehörte nämlich vor allem ein Paß, und damit hatte es für eine so staatsgefährliche Persönlichkeit, wie den jungen Lieber, seine großen Bedenken. Er bekam nur einen Paß nach Nürnberg auf 14 Tage. Nun ließ er diesen Paß auf der Tour nach Nürnberg möglichst oft, visiren, goß dann Dinte über die Stelle, welche die Beschränkung der Reisefreiheit enthielt, schob den Klecks auf die Unvorsichtigkeit eines visirenden Beamten, und schmuggelte sein gefährliches Selbst so glücklich nach München und schließlich über die Schweizer Grenze durch. Zu Fuß wanderte er dann durch die Schweiz nach Marseille, schiffte sich unter großen Mühseligkeiten ein, und gelangte endlich nach Navarin.

Aber bald erkannte er mit Schrecken, daß, für die Freiheit dieser Menschen zu kämpfen, nicht der Mühe eines Mannes Werth sei; er theilte die allgemeine Enttäuschung der Philhellenen, die Napier mit den Worten ausdrückt: „Alle kamen mit der Erwartung, den Peloponnes mit Plutarchs bevölkert zu sehen, und alle kehrten mit der Ueberzeugung zurück, daß die Bewohner von Newgate4) moralischer seien“. Diese Freiheitskämpfer, die angeblichen Enkel der Helden von Thermopylae,

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[16/0016] ebenso entartet war, wie ihre Nationalität. Auch Lieber schloß sich den Schaaren der Philhellenen an, die erst durch bittere Erfahrungen in dem gelobten Lande aus ihren klassischen Träumen gerissen werden konnten. Im Jahre 1821 brach er nach Griechenland auf; in seinem dürftigen Gepäck einen Stock mit sich führend, den ihm Jahn im Gefängniß geschnitten, mit der Inschrift: „Wandere in die Welt und werde ein Mann“. „Aber“, sagt der amerikanische Biograph Lieber’s mit berechtigtem Spott, „obgleich es zu jener Zeit nicht leicht war, in Deutschland zu leben, so war es noch schwieriger es zu verlassen“. Dazu gehörte nämlich vor allem ein Paß, und damit hatte es für eine so staatsgefährliche Persönlichkeit, wie den jungen Lieber, seine großen Bedenken. Er bekam nur einen Paß nach Nürnberg auf 14 Tage. Nun ließ er diesen Paß auf der Tour nach Nürnberg möglichst oft, visiren, goß dann Dinte über die Stelle, welche die Beschränkung der Reisefreiheit enthielt, schob den Klecks auf die Unvorsichtigkeit eines visirenden Beamten, und schmuggelte sein gefährliches Selbst so glücklich nach München und schließlich über die Schweizer Grenze durch. Zu Fuß wanderte er dann durch die Schweiz nach Marseille, schiffte sich unter großen Mühseligkeiten ein, und gelangte endlich nach Navarin. Aber bald erkannte er mit Schrecken, daß, für die Freiheit dieser Menschen zu kämpfen, nicht der Mühe eines Mannes Werth sei; er theilte die allgemeine Enttäuschung der Philhellenen, die Napier mit den Worten ausdrückt: „Alle kamen mit der Erwartung, den Peloponnes mit Plutarchs bevölkert zu sehen, und alle kehrten mit der Ueberzeugung zurück, daß die Bewohner von Newgate4) moralischer seien“. Diese Freiheitskämpfer, die angeblichen Enkel der Helden von Thermopylae,

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/16>, abgerufen am 29.04.2024.