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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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ein schöner Tod. Keine Krankheit, kein Schmerz trübte die ruhige Heiterkeit seiner glücklichen Seele. Am 2. Oktober 1872 saß er an der Seite seiner geliebten Mathilde, der treuen Genossin seines reichen Lebens. Sie las ihm vor, wie ihre Gewohnheit war. Da stieß er plötzlich einen Schrei aus und in demselben Augenblicke hörte er auf, zu sein. "Ein Kuß nimmt das letzte Leben von der Lippe, seine Fackel senkt der Genius."

"Des Menschen Leben währet 70 Jahr, und wenn es köstlich war, so ist es Mühe und Arbeit gewesen." Ja, Mühe und Arbeit erfüllten dies reiche Leben, Mühe und Arbeit, Schmerzen und Leid. Der Jüngling schon mußte an seinem eignen Schicksal erfahren, daß der Einzelne nicht gedeihen könne, wenn sein Staat krank ist. Schwere Leiden öffneten ihm den Blick für die wissenschaftliche Erkenntniß des Staates, für den hohen Beruf eines Lehrers des staatlichen Rechts. In dem Lande, welches sich freiheitlicher Zustände erfreut in realer Wirklichkeit, warnte er vor gleichgiltiger Selbstgenügsamkeit am Vorhandenen, wies er hin auf die veredelnde Kraft wissenschaftlichen Erkennens, predigte er die heilige Lehre bürgerlichen Pflichtgefühls. Und den Schlußstein seiner Thätigkeit bildete die fruchtbare Beschäftigung mit der jungen Wissenschaft, die schon manche Wohlthat den hadernden Völkern erwiesen hat, und die sicher berufen ist, dereinst in einer schöneren Zukunft unendlichen Segen über die befriedete Menschheit auszugießen, der hohen Lehre des Völkerrechts. Arbeit und Mühe war sein Leben. Das Vaterland hatte ihn ausgestoßen, und er war genöthigt, in weiter Ferne sein Heim zu gründen. Aber sein Sinn, stets den hohen Zielen staatlichen Lebens zugewendet, vergaß Haß und Groll, und bewahrte Treue und Liebe. Er ward ein wackerer Bürger des gesegneten Landes, über welchem frei das stolze Sternenbanner

ein schöner Tod. Keine Krankheit, kein Schmerz trübte die ruhige Heiterkeit seiner glücklichen Seele. Am 2. Oktober 1872 saß er an der Seite seiner geliebten Mathilde, der treuen Genossin seines reichen Lebens. Sie las ihm vor, wie ihre Gewohnheit war. Da stieß er plötzlich einen Schrei aus und in demselben Augenblicke hörte er auf, zu sein. „Ein Kuß nimmt das letzte Leben von der Lippe, seine Fackel senkt der Genius.“

„Des Menschen Leben währet 70 Jahr, und wenn es köstlich war, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Ja, Mühe und Arbeit erfüllten dies reiche Leben, Mühe und Arbeit, Schmerzen und Leid. Der Jüngling schon mußte an seinem eignen Schicksal erfahren, daß der Einzelne nicht gedeihen könne, wenn sein Staat krank ist. Schwere Leiden öffneten ihm den Blick für die wissenschaftliche Erkenntniß des Staates, für den hohen Beruf eines Lehrers des staatlichen Rechts. In dem Lande, welches sich freiheitlicher Zustände erfreut in realer Wirklichkeit, warnte er vor gleichgiltiger Selbstgenügsamkeit am Vorhandenen, wies er hin auf die veredelnde Kraft wissenschaftlichen Erkennens, predigte er die heilige Lehre bürgerlichen Pflichtgefühls. Und den Schlußstein seiner Thätigkeit bildete die fruchtbare Beschäftigung mit der jungen Wissenschaft, die schon manche Wohlthat den hadernden Völkern erwiesen hat, und die sicher berufen ist, dereinst in einer schöneren Zukunft unendlichen Segen über die befriedete Menschheit auszugießen, der hohen Lehre des Völkerrechts. Arbeit und Mühe war sein Leben. Das Vaterland hatte ihn ausgestoßen, und er war genöthigt, in weiter Ferne sein Heim zu gründen. Aber sein Sinn, stets den hohen Zielen staatlichen Lebens zugewendet, vergaß Haß und Groll, und bewahrte Treue und Liebe. Er ward ein wackerer Bürger des gesegneten Landes, über welchem frei das stolze Sternenbanner

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[41/0041] ein schöner Tod. Keine Krankheit, kein Schmerz trübte die ruhige Heiterkeit seiner glücklichen Seele. Am 2. Oktober 1872 saß er an der Seite seiner geliebten Mathilde, der treuen Genossin seines reichen Lebens. Sie las ihm vor, wie ihre Gewohnheit war. Da stieß er plötzlich einen Schrei aus und in demselben Augenblicke hörte er auf, zu sein. „Ein Kuß nimmt das letzte Leben von der Lippe, seine Fackel senkt der Genius.“ „Des Menschen Leben währet 70 Jahr, und wenn es köstlich war, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Ja, Mühe und Arbeit erfüllten dies reiche Leben, Mühe und Arbeit, Schmerzen und Leid. Der Jüngling schon mußte an seinem eignen Schicksal erfahren, daß der Einzelne nicht gedeihen könne, wenn sein Staat krank ist. Schwere Leiden öffneten ihm den Blick für die wissenschaftliche Erkenntniß des Staates, für den hohen Beruf eines Lehrers des staatlichen Rechts. In dem Lande, welches sich freiheitlicher Zustände erfreut in realer Wirklichkeit, warnte er vor gleichgiltiger Selbstgenügsamkeit am Vorhandenen, wies er hin auf die veredelnde Kraft wissenschaftlichen Erkennens, predigte er die heilige Lehre bürgerlichen Pflichtgefühls. Und den Schlußstein seiner Thätigkeit bildete die fruchtbare Beschäftigung mit der jungen Wissenschaft, die schon manche Wohlthat den hadernden Völkern erwiesen hat, und die sicher berufen ist, dereinst in einer schöneren Zukunft unendlichen Segen über die befriedete Menschheit auszugießen, der hohen Lehre des Völkerrechts. Arbeit und Mühe war sein Leben. Das Vaterland hatte ihn ausgestoßen, und er war genöthigt, in weiter Ferne sein Heim zu gründen. Aber sein Sinn, stets den hohen Zielen staatlichen Lebens zugewendet, vergaß Haß und Groll, und bewahrte Treue und Liebe. Er ward ein wackerer Bürger des gesegneten Landes, über welchem frei das stolze Sternenbanner

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/41>, abgerufen am 22.12.2024.