derbliche Duldung gegen anders Denkende. Christus sagt zwar selbst: Segnet die Euch fluchen, und wei- ter: wenn ihr einen Backenstreich auf die eine Backe erhaltet, so reicht die andere hin -- doch hierüber habe ich meine eignen Gedanken. -- Stellen dieser Art müssen durchaus anders zu verstehen seyn, denn wie wären sie mit den unerläßlichsten Gesetzen unsres Standes zu vereinigen? Gebietet uns nicht die Ehre unsres Standes, und unsrer Uniform, einen Men- schen, der es wagen sollte, sich thätlich an uns zu vergreifen, sofort und ohne Zaudern niederzustechen -- ja, ich weiß nicht ob selbst ich, der Liebling des Prinzen, mich nach einer öffentlich erhaltnen Ohrfeige bei Hofe und allerhöchsten Orts blicken lassen dürfte? Höchst wahrscheinlich daher meinte unser Heiland diese Vorschrift auch nur mit Einschränkung -- mit einem Wort, für das gemeine Volk, bei dem es auch gewiß verdienstlich ist, wenn es auf eine Backe geohr- feigt, statt der Erbitterung Raum zu geben, sofort die andere hinreicht. Man bedenke übrigens, daß Christus selbst, bei seiner Menschwerdung, nicht nur ein adliches, sondern sogar ein königliches Geschlecht sich aussuchte. Wer beweist uns auch, daß die Jün- ger wirklich so gemeiner Extraction waren, als man sich vorstellt, und nicht ebenfalls vielleicht alte, blos herabgekommene, jüdische Edelleute gewesen seyn kön- nen? die Sache ist ja ohnedem in so manches histo- rische Dunkel gehüllt -- und sagt nicht Christus auch andern Orts: Meine Sendung ist nicht um Frieden, sondern das Schwert zu bringen! Diese beiden Re-
derbliche Duldung gegen anders Denkende. Chriſtus ſagt zwar ſelbſt: Segnet die Euch fluchen, und wei- ter: wenn ihr einen Backenſtreich auf die eine Backe erhaltet, ſo reicht die andere hin — doch hierüber habe ich meine eignen Gedanken. — Stellen dieſer Art müſſen durchaus anders zu verſtehen ſeyn, denn wie wären ſie mit den unerläßlichſten Geſetzen unſres Standes zu vereinigen? Gebietet uns nicht die Ehre unſres Standes, und unſrer Uniform, einen Men- ſchen, der es wagen ſollte, ſich thätlich an uns zu vergreifen, ſofort und ohne Zaudern niederzuſtechen — ja, ich weiß nicht ob ſelbſt ich, der Liebling des Prinzen, mich nach einer öffentlich erhaltnen Ohrfeige bei Hofe und allerhöchſten Orts blicken laſſen dürfte? Höchſt wahrſcheinlich daher meinte unſer Heiland dieſe Vorſchrift auch nur mit Einſchränkung — mit einem Wort, für das gemeine Volk, bei dem es auch gewiß verdienſtlich iſt, wenn es auf eine Backe geohr- feigt, ſtatt der Erbitterung Raum zu geben, ſofort die andere hinreicht. Man bedenke übrigens, daß Chriſtus ſelbſt, bei ſeiner Menſchwerdung, nicht nur ein adliches, ſondern ſogar ein königliches Geſchlecht ſich ausſuchte. Wer beweiſt uns auch, daß die Jün- ger wirklich ſo gemeiner Extraction waren, als man ſich vorſtellt, und nicht ebenfalls vielleicht alte, blos herabgekommene, jüdiſche Edelleute geweſen ſeyn kön- nen? die Sache iſt ja ohnedem in ſo manches hiſto- riſche Dunkel gehüllt — und ſagt nicht Chriſtus auch andern Orts: Meine Sendung iſt nicht um Frieden, ſondern das Schwert zu bringen! Dieſe beiden Re-
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derbliche Duldung gegen anders Denkende. Chriſtus
ſagt zwar ſelbſt: Segnet die Euch fluchen, und wei-
ter: wenn ihr einen Backenſtreich auf die eine Backe
erhaltet, ſo reicht die andere hin — doch hierüber
habe ich meine eignen Gedanken. — Stellen dieſer
Art müſſen durchaus anders zu verſtehen ſeyn, denn
wie wären ſie mit den unerläßlichſten Geſetzen unſres
Standes zu vereinigen? Gebietet uns nicht die Ehre
unſres Standes, und unſrer Uniform, einen Men-
ſchen, der es wagen ſollte, ſich thätlich an uns zu
vergreifen, ſofort und ohne Zaudern niederzuſtechen
— ja, ich weiß nicht ob ſelbſt ich, der Liebling des
Prinzen, mich nach einer öffentlich erhaltnen Ohrfeige
bei Hofe und allerhöchſten Orts blicken laſſen dürfte?
Höchſt wahrſcheinlich daher meinte unſer Heiland dieſe
Vorſchrift auch nur mit Einſchränkung — mit einem
Wort, für das gemeine Volk, bei dem es auch
gewiß verdienſtlich iſt, wenn es auf eine Backe geohr-
feigt, ſtatt der Erbitterung Raum zu geben, ſofort
die andere hinreicht. Man bedenke übrigens, daß
Chriſtus ſelbſt, bei ſeiner Menſchwerdung, nicht nur
ein adliches, ſondern ſogar ein königliches Geſchlecht
ſich ausſuchte. Wer beweiſt uns auch, daß die Jün-
ger wirklich ſo gemeiner Extraction waren, als man
ſich vorſtellt, und nicht ebenfalls vielleicht alte, blos
herabgekommene, jüdiſche Edelleute geweſen ſeyn kön-
nen? die Sache iſt ja ohnedem in ſo manches hiſto-
riſche Dunkel gehüllt — und ſagt nicht Chriſtus auch
andern Orts: Meine Sendung iſt nicht um Frieden,
ſondern das Schwert zu bringen! Dieſe beiden Re-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/109>, abgerufen am 21.11.2024.
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