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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Sträucher, und den Blick hinter sich bestens vermei-
dend, möglich, sich heraufzuschwingen. Endlich be-
merkte ich, daß der Knabe selbst ganz unschlüssig
ward und, auf dem Bauche kriechend, sich bald nach
der, bald nach jener Richtung ängstlich umsah. Wir
wanden uns nun noch durch einige Spalten rechts
und links, und standen dann plötzlich auf der Spitze
einer glatten hohen Wand, mit kaum soviel Raum,
um den Fuß darauf zu setzen, und über uns nichts
als eine ähnliche Felsmauer blos mit einzelnen
Grasbüscheln bewachsen, welche zum Gipfel führte,
den sie überall zu umziehen schien.

Der Anblick war entmuthigend, das Kind fing an
zu weinen, und ich überlegte mit klopfendem Her-
zen, was zu thun sey. Gern, ich gestehe es, wäre
ich wieder zurückgeklettert und hätte Merlins
Felsen allen Hexen und Gnomen überlassen, wenn
ich es für möglich gehalten hätte, ohne Schwindel
da wieder hinunter zu kommen, wo wir heraufgestie-
gen, oder nur denselben Weg wieder aufzufinden.
Vor uns war aber keine Aussicht weiter zu gelan-
gen, als die Mauer auf gut Glück zu eskaladiren.
Der Knabe, als der Leichtere und Gewandtere,
mußte also voran, ich folgte ihm auf dem Fuße,
und an die Grasbüschel als einzige Stütze uns hal-
tend, Hände und Füße wie Klauen in jede kleine
Fuge einschlagend, erstiegen wie so, zwischen Him-
mel und Erde hängend, glücklich die halsbrechende
Zinne. Ich war gänzlich erschöpft, als ich oben an-
kam, und fast ohnmächtig. Ein Kühnerer mag über

Sträucher, und den Blick hinter ſich beſtens vermei-
dend, möglich, ſich heraufzuſchwingen. Endlich be-
merkte ich, daß der Knabe ſelbſt ganz unſchlüſſig
ward und, auf dem Bauche kriechend, ſich bald nach
der, bald nach jener Richtung ängſtlich umſah. Wir
wanden uns nun noch durch einige Spalten rechts
und links, und ſtanden dann plötzlich auf der Spitze
einer glatten hohen Wand, mit kaum ſoviel Raum,
um den Fuß darauf zu ſetzen, und über uns nichts
als eine ähnliche Felsmauer blos mit einzelnen
Grasbüſcheln bewachſen, welche zum Gipfel führte,
den ſie überall zu umziehen ſchien.

Der Anblick war entmuthigend, das Kind fing an
zu weinen, und ich überlegte mit klopfendem Her-
zen, was zu thun ſey. Gern, ich geſtehe es, wäre
ich wieder zurückgeklettert und hätte Merlins
Felſen allen Hexen und Gnomen überlaſſen, wenn
ich es für möglich gehalten hätte, ohne Schwindel
da wieder hinunter zu kommen, wo wir heraufgeſtie-
gen, oder nur denſelben Weg wieder aufzufinden.
Vor uns war aber keine Ausſicht weiter zu gelan-
gen, als die Mauer auf gut Glück zu eskaladiren.
Der Knabe, als der Leichtere und Gewandtere,
mußte alſo voran, ich folgte ihm auf dem Fuße,
und an die Grasbüſchel als einzige Stütze uns hal-
tend, Hände und Füße wie Klauen in jede kleine
Fuge einſchlagend, erſtiegen wie ſo, zwiſchen Him-
mel und Erde hängend, glücklich die halsbrechende
Zinne. Ich war gänzlich erſchöpft, als ich oben an-
kam, und faſt ohnmächtig. Ein Kühnerer mag über

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[117/0141] Sträucher, und den Blick hinter ſich beſtens vermei- dend, möglich, ſich heraufzuſchwingen. Endlich be- merkte ich, daß der Knabe ſelbſt ganz unſchlüſſig ward und, auf dem Bauche kriechend, ſich bald nach der, bald nach jener Richtung ängſtlich umſah. Wir wanden uns nun noch durch einige Spalten rechts und links, und ſtanden dann plötzlich auf der Spitze einer glatten hohen Wand, mit kaum ſoviel Raum, um den Fuß darauf zu ſetzen, und über uns nichts als eine ähnliche Felsmauer blos mit einzelnen Grasbüſcheln bewachſen, welche zum Gipfel führte, den ſie überall zu umziehen ſchien. Der Anblick war entmuthigend, das Kind fing an zu weinen, und ich überlegte mit klopfendem Her- zen, was zu thun ſey. Gern, ich geſtehe es, wäre ich wieder zurückgeklettert und hätte Merlins Felſen allen Hexen und Gnomen überlaſſen, wenn ich es für möglich gehalten hätte, ohne Schwindel da wieder hinunter zu kommen, wo wir heraufgeſtie- gen, oder nur denſelben Weg wieder aufzufinden. Vor uns war aber keine Ausſicht weiter zu gelan- gen, als die Mauer auf gut Glück zu eskaladiren. Der Knabe, als der Leichtere und Gewandtere, mußte alſo voran, ich folgte ihm auf dem Fuße, und an die Grasbüſchel als einzige Stütze uns hal- tend, Hände und Füße wie Klauen in jede kleine Fuge einſchlagend, erſtiegen wie ſo, zwiſchen Him- mel und Erde hängend, glücklich die halsbrechende Zinne. Ich war gänzlich erſchöpft, als ich oben an- kam, und faſt ohnmächtig. Ein Kühnerer mag über

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/141>, abgerufen am 21.11.2024.