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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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eine größere Klarheit und ein verklärteres Licht. Die
Strahlen legten sich in breiten Streifen wie eine
Glorie über die vielfach sich durchkreuzenden Berg-
flächen, und die zwei sugarloafs (Zuckerhüte) standen,
alles überragend, dunkelblau in dieser Helle am Ho-
rizont. Der Weg, den Berg hinunter, ist so allmäh-
lig in Schlangenlinien geführt, daß ich ihn bequem
hinabgallopiren konnte. Demohngeachtet war es schon
voller Abend, ehe ich in das letzte der, während der
heutigen Tagereise zu besuchenden Thäler, das der
sieben Kirchen kam. Hier stand, vor mehr als tausend
Jahren, (sic fabula docet) eine große Stadt mit sieben
Kirchen, welche die Dänen zerstörten. Noch ist ein
schönes Thor fast ganz erhalten, obgleich ihm der
Schlußstein fehlt, den aber die Zeit durch einen dicken
Epheustamm ersetzt hat, welcher die ganze Wölbung
zusammenhält. Sieben einzeln stehende Ruinen sind,
dem Volksglauben nach, die Ueberbleibsel der heili-
gen Kirchen, welche dem Thale den Namen geben.
Nur eine davon trägt diesen Charakter unzweifelhaft,
und ist merkwürdig durch einen der höchsten jener
seltsamen mysterieusen Thürme, ohne Thür und
Fenster, welche man bei vielen Klosterruinen in Ir-
land antrifft, und deren eigentliche Bestimmung noch
immer unbekannt geblieben ist. Weiter hin ruhen,
im tieferen Grunde und heiliger Stille, zwei dunkle
Seen, berühmt durch die Abentheuer des heiligen
Kavin. Die Felsen sind hier ungewöhnlich steil, und
an manchen Orten wie Treppenstufen geformt. In
dem einen ist eine schmale und tiefe Spalte, die ganz

eine größere Klarheit und ein verklärteres Licht. Die
Strahlen legten ſich in breiten Streifen wie eine
Glorie über die vielfach ſich durchkreuzenden Berg-
flächen, und die zwei sugarloafs (Zuckerhüte) ſtanden,
alles überragend, dunkelblau in dieſer Helle am Ho-
rizont. Der Weg, den Berg hinunter, iſt ſo allmäh-
lig in Schlangenlinien geführt, daß ich ihn bequem
hinabgallopiren konnte. Demohngeachtet war es ſchon
voller Abend, ehe ich in das letzte der, während der
heutigen Tagereiſe zu beſuchenden Thäler, das der
ſieben Kirchen kam. Hier ſtand, vor mehr als tauſend
Jahren, (sic fabula docet) eine große Stadt mit ſieben
Kirchen, welche die Dänen zerſtörten. Noch iſt ein
ſchönes Thor faſt ganz erhalten, obgleich ihm der
Schlußſtein fehlt, den aber die Zeit durch einen dicken
Epheuſtamm erſetzt hat, welcher die ganze Wölbung
zuſammenhält. Sieben einzeln ſtehende Ruinen ſind,
dem Volksglauben nach, die Ueberbleibſel der heili-
gen Kirchen, welche dem Thale den Namen geben.
Nur eine davon trägt dieſen Charakter unzweifelhaft,
und iſt merkwürdig durch einen der höchſten jener
ſeltſamen myſterieuſen Thürme, ohne Thür und
Fenſter, welche man bei vielen Kloſterruinen in Ir-
land antrifft, und deren eigentliche Beſtimmung noch
immer unbekannt geblieben iſt. Weiter hin ruhen,
im tieferen Grunde und heiliger Stille, zwei dunkle
Seen, berühmt durch die Abentheuer des heiligen
Kavin. Die Felſen ſind hier ungewöhnlich ſteil, und
an manchen Orten wie Treppenſtufen geformt. In
dem einen iſt eine ſchmale und tiefe Spalte, die ganz

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[189/0213] eine größere Klarheit und ein verklärteres Licht. Die Strahlen legten ſich in breiten Streifen wie eine Glorie über die vielfach ſich durchkreuzenden Berg- flächen, und die zwei sugarloafs (Zuckerhüte) ſtanden, alles überragend, dunkelblau in dieſer Helle am Ho- rizont. Der Weg, den Berg hinunter, iſt ſo allmäh- lig in Schlangenlinien geführt, daß ich ihn bequem hinabgallopiren konnte. Demohngeachtet war es ſchon voller Abend, ehe ich in das letzte der, während der heutigen Tagereiſe zu beſuchenden Thäler, das der ſieben Kirchen kam. Hier ſtand, vor mehr als tauſend Jahren, (sic fabula docet) eine große Stadt mit ſieben Kirchen, welche die Dänen zerſtörten. Noch iſt ein ſchönes Thor faſt ganz erhalten, obgleich ihm der Schlußſtein fehlt, den aber die Zeit durch einen dicken Epheuſtamm erſetzt hat, welcher die ganze Wölbung zuſammenhält. Sieben einzeln ſtehende Ruinen ſind, dem Volksglauben nach, die Ueberbleibſel der heili- gen Kirchen, welche dem Thale den Namen geben. Nur eine davon trägt dieſen Charakter unzweifelhaft, und iſt merkwürdig durch einen der höchſten jener ſeltſamen myſterieuſen Thürme, ohne Thür und Fenſter, welche man bei vielen Kloſterruinen in Ir- land antrifft, und deren eigentliche Beſtimmung noch immer unbekannt geblieben iſt. Weiter hin ruhen, im tieferen Grunde und heiliger Stille, zwei dunkle Seen, berühmt durch die Abentheuer des heiligen Kavin. Die Felſen ſind hier ungewöhnlich ſteil, und an manchen Orten wie Treppenſtufen geformt. In dem einen iſt eine ſchmale und tiefe Spalte, die ganz

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/213>, abgerufen am 25.11.2024.