Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Der ländliche Aufenthalt hier ist so angenehm, daß
ich den heutigen Sonntag noch daselbst verbrachte.
Dieses Gasthofleben giebt zur Beobachtung der mitt-
lern Classen gute Gelegenheit, da jeder sich hier giebt,
wie er ist, und so zu sagen, allein zu seyn glaubt.
Ich habe schon erwähnt, daß die Engländer dieser
Classen, (ich fasse unter dem Namen hier die eng-
lisch gebildeten
Einwohner aller drei König-
reiche zusammen) auf Reisen, im gemeinschaftlichen
Gastzimmer, Coffeeroom genannt, ihren Tag zuzu-
bringen pflegen, wenn sie sich nicht außerhalb des
Hauses befinden. Abends wird dies Coffeeroom mit
Lampen erleuchtet, und nur auf Verlangen, den an
einzelnen kleinen Tischen sitzenden Herren besondere
Lichter gebracht. Es hat mich oft gewundert, daß
in einem Lande, wo Luxus und raffinirte Lebensbe-
dürfnisse so allgemein sind, dennoch, selbst in den er-
sten Gasthäusern der Provinz, (auch in London
größtentheils) überall Talglichter gebrannt werden.
Wachskerzen sind ein extraordinairer Luxus, und
wer sie verlangt, wird zwar mit verdoppelter Höflich-
keit behandelt, ihm aber auch durchgehends mit
doppelter Kreide angeschrieben.

Es hat etwas Belustigendes, die große Einförmig-
keit zu betrachten, mit der sich Alle, wie aus einer
Fabrik hervorgegangen, betragen, was besonders bei
ihrem Essen sichtbar wird. An einzelnen Tischen pla-
cirt, Keiner die mindeste Notiz vom Andern nehmend,
scheinen sie doch Alle dieselben Manieren, und auch


Der ländliche Aufenthalt hier iſt ſo angenehm, daß
ich den heutigen Sonntag noch daſelbſt verbrachte.
Dieſes Gaſthofleben giebt zur Beobachtung der mitt-
lern Claſſen gute Gelegenheit, da jeder ſich hier giebt,
wie er iſt, und ſo zu ſagen, allein zu ſeyn glaubt.
Ich habe ſchon erwähnt, daß die Engländer dieſer
Claſſen, (ich faſſe unter dem Namen hier die eng-
liſch gebildeten
Einwohner aller drei König-
reiche zuſammen) auf Reiſen, im gemeinſchaftlichen
Gaſtzimmer, Coffeeroom genannt, ihren Tag zuzu-
bringen pflegen, wenn ſie ſich nicht außerhalb des
Hauſes befinden. Abends wird dies Coffeeroom mit
Lampen erleuchtet, und nur auf Verlangen, den an
einzelnen kleinen Tiſchen ſitzenden Herren beſondere
Lichter gebracht. Es hat mich oft gewundert, daß
in einem Lande, wo Luxus und raffinirte Lebensbe-
dürfniſſe ſo allgemein ſind, dennoch, ſelbſt in den er-
ſten Gaſthäuſern der Provinz, (auch in London
größtentheils) überall Talglichter gebrannt werden.
Wachskerzen ſind ein extraordinairer Luxus, und
wer ſie verlangt, wird zwar mit verdoppelter Höflich-
keit behandelt, ihm aber auch durchgehends mit
doppelter Kreide angeſchrieben.

Es hat etwas Beluſtigendes, die große Einförmig-
keit zu betrachten, mit der ſich Alle, wie aus einer
Fabrik hervorgegangen, betragen, was beſonders bei
ihrem Eſſen ſichtbar wird. An einzelnen Tiſchen pla-
cirt, Keiner die mindeſte Notiz vom Andern nehmend,
ſcheinen ſie doch Alle dieſelben Manieren, und auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0229" n="205"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 31<hi rendition="#sup">&#x017F;ten.</hi></hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Der ländliche Aufenthalt hier i&#x017F;t &#x017F;o angenehm, daß<lb/>
ich den heutigen Sonntag noch da&#x017F;elb&#x017F;t verbrachte.<lb/>
Die&#x017F;es Ga&#x017F;thofleben giebt zur Beobachtung der mitt-<lb/>
lern Cla&#x017F;&#x017F;en gute Gelegenheit, da jeder &#x017F;ich hier giebt,<lb/>
wie er i&#x017F;t, und &#x017F;o zu &#x017F;agen, allein zu &#x017F;eyn glaubt.<lb/>
Ich habe &#x017F;chon erwähnt, daß die Engländer die&#x017F;er<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;en, (ich fa&#x017F;&#x017F;e unter dem Namen hier die <hi rendition="#g">eng-<lb/>
li&#x017F;ch gebildeten</hi> Einwohner aller drei König-<lb/>
reiche zu&#x017F;ammen) auf Rei&#x017F;en, im gemein&#x017F;chaftlichen<lb/>
Ga&#x017F;tzimmer, Coffeeroom genannt, ihren Tag zuzu-<lb/>
bringen pflegen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nicht außerhalb des<lb/>
Hau&#x017F;es befinden. Abends wird dies Coffeeroom mit<lb/>
Lampen erleuchtet, und nur auf Verlangen, den an<lb/>
einzelnen kleinen Ti&#x017F;chen &#x017F;itzenden Herren be&#x017F;ondere<lb/>
Lichter gebracht. Es hat mich oft gewundert, daß<lb/>
in einem Lande, wo Luxus und raffinirte Lebensbe-<lb/>
dürfni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o allgemein &#x017F;ind, dennoch, &#x017F;elb&#x017F;t in den er-<lb/>
&#x017F;ten Ga&#x017F;thäu&#x017F;ern der Provinz, (auch in London<lb/>
größtentheils) überall Talglichter gebrannt werden.<lb/>
Wachskerzen &#x017F;ind ein extraordinairer Luxus, und<lb/>
wer &#x017F;ie verlangt, wird zwar mit verdoppelter Höflich-<lb/>
keit behandelt, ihm aber auch <hi rendition="#g">durchgehends</hi> mit<lb/>
doppelter Kreide ange&#x017F;chrieben.</p><lb/>
          <p>Es hat etwas Belu&#x017F;tigendes, die große Einförmig-<lb/>
keit zu betrachten, mit der &#x017F;ich Alle, wie aus <hi rendition="#g">einer</hi><lb/>
Fabrik hervorgegangen, betragen, was be&#x017F;onders bei<lb/>
ihrem E&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ichtbar wird. An einzelnen Ti&#x017F;chen pla-<lb/>
cirt, Keiner die minde&#x017F;te Notiz vom Andern nehmend,<lb/>
&#x017F;cheinen &#x017F;ie doch Alle die&#x017F;elben Manieren, und auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0229] Den 31ſten. Der ländliche Aufenthalt hier iſt ſo angenehm, daß ich den heutigen Sonntag noch daſelbſt verbrachte. Dieſes Gaſthofleben giebt zur Beobachtung der mitt- lern Claſſen gute Gelegenheit, da jeder ſich hier giebt, wie er iſt, und ſo zu ſagen, allein zu ſeyn glaubt. Ich habe ſchon erwähnt, daß die Engländer dieſer Claſſen, (ich faſſe unter dem Namen hier die eng- liſch gebildeten Einwohner aller drei König- reiche zuſammen) auf Reiſen, im gemeinſchaftlichen Gaſtzimmer, Coffeeroom genannt, ihren Tag zuzu- bringen pflegen, wenn ſie ſich nicht außerhalb des Hauſes befinden. Abends wird dies Coffeeroom mit Lampen erleuchtet, und nur auf Verlangen, den an einzelnen kleinen Tiſchen ſitzenden Herren beſondere Lichter gebracht. Es hat mich oft gewundert, daß in einem Lande, wo Luxus und raffinirte Lebensbe- dürfniſſe ſo allgemein ſind, dennoch, ſelbſt in den er- ſten Gaſthäuſern der Provinz, (auch in London größtentheils) überall Talglichter gebrannt werden. Wachskerzen ſind ein extraordinairer Luxus, und wer ſie verlangt, wird zwar mit verdoppelter Höflich- keit behandelt, ihm aber auch durchgehends mit doppelter Kreide angeſchrieben. Es hat etwas Beluſtigendes, die große Einförmig- keit zu betrachten, mit der ſich Alle, wie aus einer Fabrik hervorgegangen, betragen, was beſonders bei ihrem Eſſen ſichtbar wird. An einzelnen Tiſchen pla- cirt, Keiner die mindeſte Notiz vom Andern nehmend, ſcheinen ſie doch Alle dieſelben Manieren, und auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/229
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/229>, abgerufen am 26.11.2024.