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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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ganze Stunde verflossen ist, fährt er plötzlich auf,
und schreit wie besessen: Waiter! my slippers
(Kellner! meine Pantoffeln) und ein Licht ergreifend
wandelt er gravitätisch aus dem Zimmer, um den
Pantoffeln und der Ruhe entgegen zu gehen. Diese
Farce von fünf bis sechs Personen auf einmal vor sich
abspielen zu sehen, hat mich oft besser wie eine Pup-
pencomödie unterhalten, und ich muß hinzufügen,
daß, mit Ausnahme der Pantoffeln, die Scene sich
in den ersten Clubs der Hauptstadt auch von Vor-
nehmeren ziemlich eben so abspielt. Lesen sah ich bei-
nahe nie einen Engländer bei Tisch, und ich weiß
nicht, ob sie es nicht für eine Unschicklichkeit oder gar
eine Gottlosigkeit ansehen, wie z. B. am Sonntag
zu singen oder zu tanzen. Vielleicht ist es auch nur
eine Regel der Diätetik, die mit der Zeit zu einem
Gesetz geworden ist, welches sie keine Lebhaftigkeit
des Geistes zu übertreten nöthigt.

Engländer die nicht zur Aristokratie gehören, oder
sehr reich sind, reisen fast immer ohne Bedienten,
mit der Mail oder Stagecoach (königliche und Pri-
vatdiligencen), worauf man schon in den Gasthöfen
eingerichtet ist. Derjenige, welcher dort die Fremden
bedient, und ihnen die Stiefeln putzt, hat selbst den
allgemeinen Namen "Stiefeln" (boots). Stiefeln
ist es also, der die Pantoffeln bringt, ausziehen hilft,
und sich dann empfiehlt, indem er fragt, um welche
Zeit man, nicht den Caffee, wie er in Deutschland
fragen würde, sondern das kochende Rasirwasser be-
fiehlt. Sehr pünktlich erscheint er zur bestimmten

ganze Stunde verfloſſen iſt, fährt er plötzlich auf,
und ſchreit wie beſeſſen: Waiter! my slippers
(Kellner! meine Pantoffeln) und ein Licht ergreifend
wandelt er gravitätiſch aus dem Zimmer, um den
Pantoffeln und der Ruhe entgegen zu gehen. Dieſe
Farce von fünf bis ſechs Perſonen auf einmal vor ſich
abſpielen zu ſehen, hat mich oft beſſer wie eine Pup-
pencomödie unterhalten, und ich muß hinzufügen,
daß, mit Ausnahme der Pantoffeln, die Scene ſich
in den erſten Clubs der Hauptſtadt auch von Vor-
nehmeren ziemlich eben ſo abſpielt. Leſen ſah ich bei-
nahe nie einen Engländer bei Tiſch, und ich weiß
nicht, ob ſie es nicht für eine Unſchicklichkeit oder gar
eine Gottloſigkeit anſehen, wie z. B. am Sonntag
zu ſingen oder zu tanzen. Vielleicht iſt es auch nur
eine Regel der Diätetik, die mit der Zeit zu einem
Geſetz geworden iſt, welches ſie keine Lebhaftigkeit
des Geiſtes zu übertreten nöthigt.

Engländer die nicht zur Ariſtokratie gehören, oder
ſehr reich ſind, reiſen faſt immer ohne Bedienten,
mit der Mail oder Stagecoach (königliche und Pri-
vatdiligencen), worauf man ſchon in den Gaſthöfen
eingerichtet iſt. Derjenige, welcher dort die Fremden
bedient, und ihnen die Stiefeln putzt, hat ſelbſt den
allgemeinen Namen „Stiefeln“ (boots). Stiefeln
iſt es alſo, der die Pantoffeln bringt, ausziehen hilft,
und ſich dann empfiehlt, indem er fragt, um welche
Zeit man, nicht den Caffee, wie er in Deutſchland
fragen würde, ſondern das kochende Raſirwaſſer be-
fiehlt. Sehr pünktlich erſcheint er zur beſtimmten

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[207/0231] ganze Stunde verfloſſen iſt, fährt er plötzlich auf, und ſchreit wie beſeſſen: Waiter! my slippers (Kellner! meine Pantoffeln) und ein Licht ergreifend wandelt er gravitätiſch aus dem Zimmer, um den Pantoffeln und der Ruhe entgegen zu gehen. Dieſe Farce von fünf bis ſechs Perſonen auf einmal vor ſich abſpielen zu ſehen, hat mich oft beſſer wie eine Pup- pencomödie unterhalten, und ich muß hinzufügen, daß, mit Ausnahme der Pantoffeln, die Scene ſich in den erſten Clubs der Hauptſtadt auch von Vor- nehmeren ziemlich eben ſo abſpielt. Leſen ſah ich bei- nahe nie einen Engländer bei Tiſch, und ich weiß nicht, ob ſie es nicht für eine Unſchicklichkeit oder gar eine Gottloſigkeit anſehen, wie z. B. am Sonntag zu ſingen oder zu tanzen. Vielleicht iſt es auch nur eine Regel der Diätetik, die mit der Zeit zu einem Geſetz geworden iſt, welches ſie keine Lebhaftigkeit des Geiſtes zu übertreten nöthigt. Engländer die nicht zur Ariſtokratie gehören, oder ſehr reich ſind, reiſen faſt immer ohne Bedienten, mit der Mail oder Stagecoach (königliche und Pri- vatdiligencen), worauf man ſchon in den Gaſthöfen eingerichtet iſt. Derjenige, welcher dort die Fremden bedient, und ihnen die Stiefeln putzt, hat ſelbſt den allgemeinen Namen „Stiefeln“ (boots). Stiefeln iſt es alſo, der die Pantoffeln bringt, ausziehen hilft, und ſich dann empfiehlt, indem er fragt, um welche Zeit man, nicht den Caffee, wie er in Deutſchland fragen würde, ſondern das kochende Raſirwaſſer be- fiehlt. Sehr pünktlich erſcheint er zur beſtimmten

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/231>, abgerufen am 26.11.2024.