Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

keit dem "Todtenwasser" (dem Branntwein) zu wi-
derstehen, so lange sie einen Pfennig in der Tasche
haben, um sich ihn zu verschaffen; ihre wilden, je-
den Augenblick ausbrechenden Streitigkeiten und re-
gelmäßigen Nationalkämpfe mit dem Shileila, einer
mörderischen Stockwaffe, die jeder unter seinen Lum-
pen verborgen hält, woran oft Hunderte in einem
Moment Theil nehmen, bis mehrere von ihnen ver-
wundet oder todt auf dem Schlachtfelde zurückblei-
ben; das furchtbare Kriegsgeschrei, welches sie bei
solchen Gelegenheiten erheben; die Rachsucht mit der
eine Beleidigung Jahre lang von ganzen Gemeinden
nachgetragen und fortvererbt wird; auf der andern
Seite wiederum die unbefangene frohe Sorglosigkeit,
die nie an den nächsten Tag denkt; ihre harmlose,
alle Noth vergessende Lustigkeit; die gutmüthige
Gastfreiheit, die unbedenklich das letzte theilt; die
Vertraulichkeit mit dem Fremden, der sich ihnen ein-
mal genähert, wie die natürliche Leichtigkeit der Rede,
die ihnen immer zu Gebote steht; -- alles sind Züge
eines nur halb civilisirten Volks.

Hunderte von Betrunkenen begleiteten unsern Wa-
gen, als wir vom Racecourse nach der Stadt fuhren,
und mehr als zehnmal entstand Schlägerei unter
ihnen. Wir fanden bei der Menge von Gästen nur
mit Mühe ein elendes Unterkommen, aber doch ein
gutes und sehr reichliches Mittagsessen.

Gallway ist in früheren Zeiten hauptsächlich von
den Spaniern angebaut worden, und einige Nach-

Briefe eines Verstorbenen. I. 15

keit dem „Todtenwaſſer“ (dem Branntwein) zu wi-
derſtehen, ſo lange ſie einen Pfennig in der Taſche
haben, um ſich ihn zu verſchaffen; ihre wilden, je-
den Augenblick ausbrechenden Streitigkeiten und re-
gelmäßigen Nationalkämpfe mit dem Shileila, einer
mörderiſchen Stockwaffe, die jeder unter ſeinen Lum-
pen verborgen hält, woran oft Hunderte in einem
Moment Theil nehmen, bis mehrere von ihnen ver-
wundet oder todt auf dem Schlachtfelde zurückblei-
ben; das furchtbare Kriegsgeſchrei, welches ſie bei
ſolchen Gelegenheiten erheben; die Rachſucht mit der
eine Beleidigung Jahre lang von ganzen Gemeinden
nachgetragen und fortvererbt wird; auf der andern
Seite wiederum die unbefangene frohe Sorgloſigkeit,
die nie an den nächſten Tag denkt; ihre harmloſe,
alle Noth vergeſſende Luſtigkeit; die gutmüthige
Gaſtfreiheit, die unbedenklich das letzte theilt; die
Vertraulichkeit mit dem Fremden, der ſich ihnen ein-
mal genähert, wie die natürliche Leichtigkeit der Rede,
die ihnen immer zu Gebote ſteht; — alles ſind Züge
eines nur halb civiliſirten Volks.

Hunderte von Betrunkenen begleiteten unſern Wa-
gen, als wir vom Racecourſe nach der Stadt fuhren,
und mehr als zehnmal entſtand Schlägerei unter
ihnen. Wir fanden bei der Menge von Gäſten nur
mit Mühe ein elendes Unterkommen, aber doch ein
gutes und ſehr reichliches Mittagseſſen.

Gallway iſt in früheren Zeiten hauptſächlich von
den Spaniern angebaut worden, und einige Nach-

Briefe eines Verſtorbenen. I. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="225"/>
keit dem &#x201E;Todtenwa&#x017F;&#x017F;er&#x201C; (dem Branntwein) zu wi-<lb/>
der&#x017F;tehen, &#x017F;o lange &#x017F;ie einen Pfennig in der Ta&#x017F;che<lb/>
haben, um &#x017F;ich ihn zu ver&#x017F;chaffen; ihre wilden, je-<lb/>
den Augenblick ausbrechenden Streitigkeiten und re-<lb/>
gelmäßigen Nationalkämpfe mit dem Shileila, einer<lb/>
mörderi&#x017F;chen Stockwaffe, die jeder unter &#x017F;einen Lum-<lb/>
pen verborgen hält, woran oft Hunderte in einem<lb/>
Moment Theil nehmen, bis mehrere von ihnen ver-<lb/>
wundet oder todt auf dem Schlachtfelde zurückblei-<lb/>
ben; das furchtbare Kriegsge&#x017F;chrei, welches &#x017F;ie bei<lb/>
&#x017F;olchen Gelegenheiten erheben; die Rach&#x017F;ucht mit der<lb/>
eine Beleidigung Jahre lang von ganzen Gemeinden<lb/>
nachgetragen und fortvererbt wird; auf der andern<lb/>
Seite wiederum die unbefangene frohe Sorglo&#x017F;igkeit,<lb/>
die nie an den <choice><sic>na&#x0307;ch&#x017F;ten</sic><corr>näch&#x017F;ten</corr></choice> Tag denkt; ihre harmlo&#x017F;e,<lb/>
alle Noth verge&#x017F;&#x017F;ende Lu&#x017F;tigkeit; die gutmüthige<lb/>
Ga&#x017F;tfreiheit, die unbedenklich das letzte theilt; die<lb/>
Vertraulichkeit mit dem Fremden, der &#x017F;ich ihnen ein-<lb/>
mal genähert, wie die natürliche Leichtigkeit der Rede,<lb/>
die ihnen immer zu Gebote &#x017F;teht; &#x2014; alles &#x017F;ind Züge<lb/>
eines nur halb civili&#x017F;irten Volks.</p><lb/>
          <p>Hunderte von Betrunkenen begleiteten un&#x017F;ern Wa-<lb/>
gen, als wir vom Racecour&#x017F;e nach der Stadt fuhren,<lb/>
und mehr als zehnmal ent&#x017F;tand Schlägerei unter<lb/>
ihnen. Wir fanden bei der Menge von Gä&#x017F;ten nur<lb/>
mit Mühe ein elendes Unterkommen, aber doch ein<lb/>
gutes und &#x017F;ehr reichliches Mittagse&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Gallway i&#x017F;t in früheren Zeiten haupt&#x017F;ächlich von<lb/>
den Spaniern angebaut worden, und einige Nach-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen. <hi rendition="#aq">I.</hi> 15</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0249] keit dem „Todtenwaſſer“ (dem Branntwein) zu wi- derſtehen, ſo lange ſie einen Pfennig in der Taſche haben, um ſich ihn zu verſchaffen; ihre wilden, je- den Augenblick ausbrechenden Streitigkeiten und re- gelmäßigen Nationalkämpfe mit dem Shileila, einer mörderiſchen Stockwaffe, die jeder unter ſeinen Lum- pen verborgen hält, woran oft Hunderte in einem Moment Theil nehmen, bis mehrere von ihnen ver- wundet oder todt auf dem Schlachtfelde zurückblei- ben; das furchtbare Kriegsgeſchrei, welches ſie bei ſolchen Gelegenheiten erheben; die Rachſucht mit der eine Beleidigung Jahre lang von ganzen Gemeinden nachgetragen und fortvererbt wird; auf der andern Seite wiederum die unbefangene frohe Sorgloſigkeit, die nie an den nächſten Tag denkt; ihre harmloſe, alle Noth vergeſſende Luſtigkeit; die gutmüthige Gaſtfreiheit, die unbedenklich das letzte theilt; die Vertraulichkeit mit dem Fremden, der ſich ihnen ein- mal genähert, wie die natürliche Leichtigkeit der Rede, die ihnen immer zu Gebote ſteht; — alles ſind Züge eines nur halb civiliſirten Volks. Hunderte von Betrunkenen begleiteten unſern Wa- gen, als wir vom Racecourſe nach der Stadt fuhren, und mehr als zehnmal entſtand Schlägerei unter ihnen. Wir fanden bei der Menge von Gäſten nur mit Mühe ein elendes Unterkommen, aber doch ein gutes und ſehr reichliches Mittagseſſen. Gallway iſt in früheren Zeiten hauptſächlich von den Spaniern angebaut worden, und einige Nach- Briefe eines Verſtorbenen. I. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/249
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/249>, abgerufen am 25.11.2024.