Ich ließ mich also gutwillig zuerst nach der Cathe- drale bringen, ein sehr altes Gebäude, mehr im Styl einer Festung als einer Kirche, eben so solide als roh aufgeführt, aber imposant durch seine Mas- sen. Im Innern bewunderte ich fünfhundert Jahr alte, wunderschön gearbeitete Sitze, von bogwood (Sumpfholz) geschnitzt, das durch das Alter schwarz wie Ebenholz geworden war. Die reichen Verzierun- gen bestanden aus köstlichen Arabesken und höchst charakteristischen Masken, die bei jedem Sitze ver- schieden waren. Das Grab der Thomond's, Könige von Ulster und Limmerick, obgleich verstümmelt und durch moderne Zusätze geschändet, ist dennoch ein in- teressantes Monument geblieben. Abkömmlinge des Geschlechts existiren noch jetzt, deren Chef den Titel eines Marquis von Thomond führt, ein Name, den Du in meinen Briefen aus London zuweilen erwähnt gesunden haben wirst, denn der Besitzer desselben gab dort gute dincs. Man findet überhaupt in Ir- land sehr alte Häuser, die stolz darauf sind, ihre Familie nie durch eine mesaillance entweiht zu ha- ben, was, des Geldes wegen, der englische und französische Adel so häufig that, weshalb auch reines stiftsfähiges Blut, wie es in Deutschland hieß, dort gar nicht zu finden ist. Die französischen Großen nannten solche Heirathen scherzweise, aber nicht sehr schmeichelhaft für die Braut, "mettre du fumier sur ses terres," und gar mancher englische Lord dankt gleichfalls solchem "Fumier" den jetzigen Glanz seiner Familie.
Ich ließ mich alſo gutwillig zuerſt nach der Cathe- drale bringen, ein ſehr altes Gebäude, mehr im Styl einer Feſtung als einer Kirche, eben ſo ſolide als roh aufgeführt, aber impoſant durch ſeine Maſ- ſen. Im Innern bewunderte ich fünfhundert Jahr alte, wunderſchön gearbeitete Sitze, von bogwood (Sumpfholz) geſchnitzt, das durch das Alter ſchwarz wie Ebenholz geworden war. Die reichen Verzierun- gen beſtanden aus köſtlichen Arabesken und höchſt charakteriſtiſchen Masken, die bei jedem Sitze ver- ſchieden waren. Das Grab der Thomond’s, Könige von Ulſter und Limmerick, obgleich verſtümmelt und durch moderne Zuſätze geſchändet, iſt dennoch ein in- tereſſantes Monument geblieben. Abkömmlinge des Geſchlechts exiſtiren noch jetzt, deren Chef den Titel eines Marquis von Thomond führt, ein Name, den Du in meinen Briefen aus London zuweilen erwähnt geſunden haben wirſt, denn der Beſitzer deſſelben gab dort gute dinćs. Man findet überhaupt in Ir- land ſehr alte Häuſer, die ſtolz darauf ſind, ihre Familie nie durch eine mésaillance entweiht zu ha- ben, was, des Geldes wegen, der engliſche und franzöſiſche Adel ſo häufig that, weshalb auch reines ſtiftsfähiges Blut, wie es in Deutſchland hieß, dort gar nicht zu finden iſt. Die franzöſiſchen Großen nannten ſolche Heirathen ſcherzweiſe, aber nicht ſehr ſchmeichelhaft für die Braut, „mettre du fumier sur ses terres,“ und gar mancher engliſche Lord dankt gleichfalls ſolchem „Fumier“ den jetzigen Glanz ſeiner Familie.
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Ich ließ mich alſo gutwillig zuerſt nach der Cathe-
drale bringen, ein ſehr altes Gebäude, mehr im
Styl einer Feſtung als einer Kirche, eben ſo ſolide
als roh aufgeführt, aber impoſant durch ſeine Maſ-
ſen. Im Innern bewunderte ich fünfhundert Jahr
alte, wunderſchön gearbeitete Sitze, von bogwood
(Sumpfholz) geſchnitzt, das durch das Alter ſchwarz
wie Ebenholz geworden war. Die reichen Verzierun-
gen beſtanden aus köſtlichen Arabesken und höchſt
charakteriſtiſchen Masken, die bei jedem Sitze ver-
ſchieden waren. Das Grab der Thomond’s, Könige
von Ulſter und Limmerick, obgleich verſtümmelt und
durch moderne Zuſätze geſchändet, iſt dennoch ein in-
tereſſantes Monument geblieben. Abkömmlinge des
Geſchlechts exiſtiren noch jetzt, deren Chef den Titel
eines Marquis von Thomond führt, ein Name, den
Du in meinen Briefen aus London zuweilen erwähnt
geſunden haben wirſt, denn der Beſitzer deſſelben
gab dort gute dinćs. Man findet überhaupt in Ir-
land ſehr alte Häuſer, die ſtolz darauf ſind, ihre
Familie nie durch eine mésaillance entweiht zu ha-
ben, was, des Geldes wegen, der engliſche und
franzöſiſche Adel ſo häufig that, weshalb auch reines
ſtiftsfähiges Blut, wie es in Deutſchland hieß, dort
gar nicht zu finden iſt. Die franzöſiſchen Großen
nannten ſolche Heirathen ſcherzweiſe, aber nicht ſehr
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/310>, abgerufen am 27.11.2024.
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