O' Donnohue war der mächtigste Chiestain eines Clan's, der hier, wo jetzt der See seine Wellen rollt, eine große und reiche Stadt bewohnte. Alles war dort im Ueberfluß -- nur Wasser fehlte -- und die Sage ging, daß selbst der einzige kleine Brunnen, den die Stadt besaß, nur das Geschenk eines mäch- tigen Zauberers sey, der ihn einst, auf Bitten einer schönen Jungfrau, hervorgerufen, aber dabei streng gewarnt: daß man nie vergessen möge, ihn jeden Abend mit einem großen silbernen Deckel zu schließen, den er zu diesem Ende zurücklasse. Die seltsame Form und Verzierungen desselben schienen die wun- derbare Sage zu bestätigen -- auch wurde der uralte Gebrauch nie vernachläßigt.
O' Donnohue aber, ein mächtiger und unerschrocke- ner Krieger (vielleicht auch, wie Talbot, ein Ungläu- biger) machte sich über dieses Mährchen, wie er es nannte, nur lustig, und eines Tages, als er beim wilden Gelage vom viel genossenen Weine mehr als gewöhnlich erhitzt war, befahl er, zum Schrecken aller Anwesenden, den silbernen Brunnendeckel in sein Haus zu bringen, wo er, wie er spottend meinte, eine vortreffliche Badewanne für ihn abgeben solle. Vergebens blieben alle Vorstellungen. -- O' Donno- hue war gewohnt sich Gehorsam zu verschaffen, und als mit Wehklagen die geängstigten Diener endlich das schwere Gefäß herbeischleppten, rief er lachend: "Seyd unbesorgt, die Kühle der Nacht wird dem Wasser gar gut bekommen und morgen werdet ihr Alle es fri-
O’ Donnohue war der mächtigſte Chieſtain eines Clan’s, der hier, wo jetzt der See ſeine Wellen rollt, eine große und reiche Stadt bewohnte. Alles war dort im Ueberfluß — nur Waſſer fehlte — und die Sage ging, daß ſelbſt der einzige kleine Brunnen, den die Stadt beſaß, nur das Geſchenk eines mäch- tigen Zauberers ſey, der ihn einſt, auf Bitten einer ſchönen Jungfrau, hervorgerufen, aber dabei ſtreng gewarnt: daß man nie vergeſſen möge, ihn jeden Abend mit einem großen ſilbernen Deckel zu ſchließen, den er zu dieſem Ende zurücklaſſe. Die ſeltſame Form und Verzierungen deſſelben ſchienen die wun- derbare Sage zu beſtätigen — auch wurde der uralte Gebrauch nie vernachläßigt.
O’ Donnohue aber, ein mächtiger und unerſchrocke- ner Krieger (vielleicht auch, wie Talbot, ein Ungläu- biger) machte ſich über dieſes Mährchen, wie er es nannte, nur luſtig, und eines Tages, als er beim wilden Gelage vom viel genoſſenen Weine mehr als gewöhnlich erhitzt war, befahl er, zum Schrecken aller Anweſenden, den ſilbernen Brunnendeckel in ſein Haus zu bringen, wo er, wie er ſpottend meinte, eine vortreffliche Badewanne für ihn abgeben ſolle. Vergebens blieben alle Vorſtellungen. — O’ Donno- hue war gewohnt ſich Gehorſam zu verſchaffen, und als mit Wehklagen die geängſtigten Diener endlich das ſchwere Gefäß herbeiſchleppten, rief er lachend: „Seyd unbeſorgt, die Kühle der Nacht wird dem Waſſer gar gut bekommen und morgen werdet ihr Alle es fri-
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O’ Donnohue war der mächtigſte Chieſtain eines
Clan’s, der hier, wo jetzt der See ſeine Wellen rollt,
eine große und reiche Stadt bewohnte. Alles war
dort im Ueberfluß — nur Waſſer fehlte — und die
Sage ging, daß ſelbſt der einzige kleine Brunnen,
den die Stadt beſaß, nur das Geſchenk eines mäch-
tigen Zauberers ſey, der ihn einſt, auf Bitten einer
ſchönen Jungfrau, hervorgerufen, aber dabei ſtreng
gewarnt: daß man nie vergeſſen möge, ihn jeden
Abend mit einem großen ſilbernen Deckel zu ſchließen,
den er zu dieſem Ende zurücklaſſe. Die ſeltſame
Form und Verzierungen deſſelben ſchienen die wun-
derbare Sage zu beſtätigen — auch wurde der uralte
Gebrauch nie vernachläßigt.
O’ Donnohue aber, ein mächtiger und unerſchrocke-
ner Krieger (vielleicht auch, wie Talbot, ein Ungläu-
biger) machte ſich über dieſes Mährchen, wie er es
nannte, nur luſtig, und eines Tages, als er beim
wilden Gelage vom viel genoſſenen Weine mehr als
gewöhnlich erhitzt war, befahl er, zum Schrecken aller
Anweſenden, den ſilbernen Brunnendeckel in ſein
Haus zu bringen, wo er, wie er ſpottend meinte,
eine vortreffliche Badewanne für ihn abgeben ſolle.
Vergebens blieben alle Vorſtellungen. — O’ Donno-
hue war gewohnt ſich Gehorſam zu verſchaffen, und
als mit Wehklagen die geängſtigten Diener endlich das
ſchwere Gefäß herbeiſchleppten, rief er lachend: „Seyd
unbeſorgt, die Kühle der Nacht wird dem Waſſer gar
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/318>, abgerufen am 28.11.2024.
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