Johny Curtin war ein armer Schüler, einer dun- keln Sage nach, der Abkömmling eines in alter Zeit hohen und mächtigen Geschlechts, dessen Glanz indeß längst verloschen, dessen Reichthümer verschwunden und dessen Nachkommen, immer tiefer hinabsinkend, seit vielen Jahren, ihres eignen Ursprungs ungewiß, genöthigt gewesen waren, das Handwerk "mit gold- nen Boden" zu ergreifen, das zuletzt immer sicher, wenn auch nicht reichlich nährt. Johny's Vater und Mutter aber hatte der Tod hingerafft, ehe er selbst für sich zu sorgen im Stande war, und eine hülflose Waise, lebte er nun allein von der Großmuth sei- nes Verwandten, eines Pächters in der Nähe der Ruinen von Holycroß, wo er jetzt eben auch die Schulferien zubrachte; denn Johny war fleißig und wißbegierig, und der Oheim gutmüthig genug, ihn bei der Arbeit oft zu entbehren, um ihm Zeit zu lassen, auf der Schule zu erlernen was dort zu er- lernen war.
Lernen und Wissen erweitert unsre Existenz, ge- biert aber auch manche Sorge, manches nur einge- bildete Uebel, das im einfacheren Wirkungskreise un- bekannt bleibt. Johny kannte die Geschichte seines Vaterlandes, wußte wie die alte Größe fast überall gebeugt worden war, und die eigentlichen Fürsten des Bodens Fremdlingen weichen mußten, die, wie Pilze aufgeschossen, den edleren Pflanzen die Nah- rung entzogen, bis die unerbittliche Zeit endlich Al- les verwandelte, und die, deren Vorfahren Könige
Johny Curtin war ein armer Schüler, einer dun- keln Sage nach, der Abkömmling eines in alter Zeit hohen und mächtigen Geſchlechts, deſſen Glanz indeß längſt verloſchen, deſſen Reichthümer verſchwunden und deſſen Nachkommen, immer tiefer hinabſinkend, ſeit vielen Jahren, ihres eignen Urſprungs ungewiß, genöthigt geweſen waren, das Handwerk „mit gold- nen Boden“ zu ergreifen, das zuletzt immer ſicher, wenn auch nicht reichlich nährt. Johny’s Vater und Mutter aber hatte der Tod hingerafft, ehe er ſelbſt für ſich zu ſorgen im Stande war, und eine hülfloſe Waiſe, lebte er nun allein von der Großmuth ſei- nes Verwandten, eines Pächters in der Nähe der Ruinen von Holycroß, wo er jetzt eben auch die Schulferien zubrachte; denn Johny war fleißig und wißbegierig, und der Oheim gutmüthig genug, ihn bei der Arbeit oft zu entbehren, um ihm Zeit zu laſſen, auf der Schule zu erlernen was dort zu er- lernen war.
Lernen und Wiſſen erweitert unſre Exiſtenz, ge- biert aber auch manche Sorge, manches nur einge- bildete Uebel, das im einfacheren Wirkungskreiſe un- bekannt bleibt. Johny kannte die Geſchichte ſeines Vaterlandes, wußte wie die alte Größe faſt überall gebeugt worden war, und die eigentlichen Fürſten des Bodens Fremdlingen weichen mußten, die, wie Pilze aufgeſchoſſen, den edleren Pflanzen die Nah- rung entzogen, bis die unerbittliche Zeit endlich Al- les verwandelte, und die, deren Vorfahren Könige
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Johny Curtin war ein armer Schüler, einer dun-
keln Sage nach, der Abkömmling eines in alter Zeit
hohen und mächtigen Geſchlechts, deſſen Glanz indeß
längſt verloſchen, deſſen Reichthümer verſchwunden
und deſſen Nachkommen, immer tiefer hinabſinkend,
ſeit vielen Jahren, ihres eignen Urſprungs ungewiß,
genöthigt geweſen waren, das Handwerk „mit gold-
nen Boden“ zu ergreifen, das zuletzt immer ſicher,
wenn auch nicht reichlich nährt. Johny’s Vater und
Mutter aber hatte der Tod hingerafft, ehe er ſelbſt
für ſich zu ſorgen im Stande war, und eine hülfloſe
Waiſe, lebte er nun allein von der Großmuth ſei-
nes Verwandten, eines Pächters in der Nähe der
Ruinen von Holycroß, wo er jetzt eben auch die
Schulferien zubrachte; denn Johny war fleißig und
wißbegierig, und der Oheim gutmüthig genug, ihn
bei der Arbeit oft zu entbehren, um ihm Zeit zu
laſſen, auf der Schule zu erlernen was dort zu er-
lernen war.
Lernen und Wiſſen erweitert unſre Exiſtenz, ge-
biert aber auch manche Sorge, manches nur einge-
bildete Uebel, das im einfacheren Wirkungskreiſe un-
bekannt bleibt. Johny kannte die Geſchichte ſeines
Vaterlandes, wußte wie die alte Größe faſt überall
gebeugt worden war, und die eigentlichen Fürſten des
Bodens Fremdlingen weichen mußten, die, wie
Pilze aufgeſchoſſen, den edleren Pflanzen die Nah-
rung entzogen, bis die unerbittliche Zeit endlich Al-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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