waren, zu nichts Besserem als Sclaven gestempelt hatte. Er selbst sah sich in vollem Maße für einen Solchen an, und die geringen Freuden, deren seine Lage fähig war, wurden nur zu oft durch selbstpei- nigende Gedanken dieser Art getrübt.
In dieser Stimmung waren die stolzen Ueberreste verhallter Jahrhunderte, die Tipperary's Fluren, gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhn- liche Ziel seiner einsamen Wanderungen, und der Lieblingsaufenthalt des schwärmenden Jünglings. Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten Cathedrale zu, die auf Cashels Felsen, in nackter Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagssonne die sumpfigen Wiesen, in die seit acht Jahrhunderten Athassil's Abtei immer tiefer versinkt, oder ruhte im Schatten des Raubschlosses von Golden, dessen zehn Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie sie so lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem theuer waren ihm die prächtigen, von Epheu einge- hüllten, Ruinen des Klosters von Holycroß, wo der Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt'ne Grab des großen O'Bryan's, Königs von Limmerick, bewun- dert, und wo auch, im bescheidnen Winkel, Johny's Eltern schliefen. Vor seiner Phantasie aber bevöl- kerte es sich noch mit andern wunderbaren Gestalten, unter denen die Geister seiner großen Vorfahren, die, wie er oft gehört, ihre Ruhestätte hier gefun- den, den ersten Rang einnahmen. Möglich, daß seine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poeti-
waren, zu nichts Beſſerem als Sclaven geſtempelt hatte. Er ſelbſt ſah ſich in vollem Maße für einen Solchen an, und die geringen Freuden, deren ſeine Lage fähig war, wurden nur zu oft durch ſelbſtpei- nigende Gedanken dieſer Art getrübt.
In dieſer Stimmung waren die ſtolzen Ueberreſte verhallter Jahrhunderte, die Tipperary’s Fluren, gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhn- liche Ziel ſeiner einſamen Wanderungen, und der Lieblingsaufenthalt des ſchwärmenden Jünglings. Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten Cathedrale zu, die auf Caſhels Felſen, in nackter Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagsſonne die ſumpfigen Wieſen, in die ſeit acht Jahrhunderten Athaſſil’s Abtei immer tiefer verſinkt, oder ruhte im Schatten des Raubſchloſſes von Golden, deſſen zehn Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie ſie ſo lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem theuer waren ihm die prächtigen, von Epheu einge- hüllten, Ruinen des Kloſters von Holycroß, wo der Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt’ne Grab des großen O’Bryan’s, Königs von Limmerick, bewun- dert, und wo auch, im beſcheidnen Winkel, Johny’s Eltern ſchliefen. Vor ſeiner Phantaſie aber bevöl- kerte es ſich noch mit andern wunderbaren Geſtalten, unter denen die Geiſter ſeiner großen Vorfahren, die, wie er oft gehört, ihre Ruheſtätte hier gefun- den, den erſten Rang einnahmen. Möglich, daß ſeine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poeti-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0147"n="125"/>
waren, zu nichts Beſſerem als Sclaven geſtempelt<lb/>
hatte. Er ſelbſt ſah ſich in vollem Maße für einen<lb/>
Solchen an, und die geringen Freuden, deren ſeine<lb/>
Lage fähig war, wurden nur zu oft durch ſelbſtpei-<lb/>
nigende Gedanken dieſer Art getrübt.</p><lb/><p>In dieſer Stimmung waren die ſtolzen Ueberreſte<lb/>
verhallter Jahrhunderte, die Tipperary’s Fluren,<lb/>
gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhn-<lb/>
liche Ziel ſeiner einſamen Wanderungen, und der<lb/>
Lieblingsaufenthalt des ſchwärmenden Jünglings.<lb/>
Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten<lb/>
Cathedrale zu, die auf Caſhels Felſen, in nackter<lb/>
Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagsſonne<lb/>
die ſumpfigen Wieſen, in die ſeit acht Jahrhunderten<lb/>
Athaſſil’s Abtei immer tiefer verſinkt, oder ruhte im<lb/>
Schatten des Raubſchloſſes von Golden, deſſen zehn<lb/>
Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie ſie ſo<lb/>
lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem<lb/>
theuer waren ihm die prächtigen, von Epheu einge-<lb/>
hüllten, Ruinen des Kloſters von Holycroß, wo der<lb/>
Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt’ne Grab des<lb/>
großen O’Bryan’s, Königs von Limmerick, bewun-<lb/>
dert, und wo auch, im beſcheidnen Winkel, Johny’s<lb/>
Eltern ſchliefen. Vor ſeiner Phantaſie aber bevöl-<lb/>
kerte es ſich noch mit andern wunderbaren Geſtalten,<lb/>
unter denen die Geiſter ſeiner großen Vorfahren,<lb/>
die, wie er oft gehört, ihre Ruheſtätte hier gefun-<lb/>
den, den erſten Rang einnahmen. Möglich, daß<lb/>ſeine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poeti-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0147]
waren, zu nichts Beſſerem als Sclaven geſtempelt
hatte. Er ſelbſt ſah ſich in vollem Maße für einen
Solchen an, und die geringen Freuden, deren ſeine
Lage fähig war, wurden nur zu oft durch ſelbſtpei-
nigende Gedanken dieſer Art getrübt.
In dieſer Stimmung waren die ſtolzen Ueberreſte
verhallter Jahrhunderte, die Tipperary’s Fluren,
gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhn-
liche Ziel ſeiner einſamen Wanderungen, und der
Lieblingsaufenthalt des ſchwärmenden Jünglings.
Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten
Cathedrale zu, die auf Caſhels Felſen, in nackter
Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagsſonne
die ſumpfigen Wieſen, in die ſeit acht Jahrhunderten
Athaſſil’s Abtei immer tiefer verſinkt, oder ruhte im
Schatten des Raubſchloſſes von Golden, deſſen zehn
Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie ſie ſo
lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem
theuer waren ihm die prächtigen, von Epheu einge-
hüllten, Ruinen des Kloſters von Holycroß, wo der
Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt’ne Grab des
großen O’Bryan’s, Königs von Limmerick, bewun-
dert, und wo auch, im beſcheidnen Winkel, Johny’s
Eltern ſchliefen. Vor ſeiner Phantaſie aber bevöl-
kerte es ſich noch mit andern wunderbaren Geſtalten,
unter denen die Geiſter ſeiner großen Vorfahren,
die, wie er oft gehört, ihre Ruheſtätte hier gefun-
den, den erſten Rang einnahmen. Möglich, daß
ſeine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poeti-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/147>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.