Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

schen Sitte seines Volks gemäß, wird nicht der Platz
um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt
ihren kaum geduldeten Gottesdienst feiern, gewählt,
sondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen
und Klöster vertreten die Stelle zum Begräbniß für
hoch und niedrig, daher sieht man hier den Boden
auch überall von aufrecht stehenden Grabsteinen wim-
meln, untermischt mit Knochenhaufen und Schädeln,
die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen,
sorglos ausgeschaufelt wurden. Hier, in einer Fen-
sternische sitzend, verträumte Johny Stunden auf
Stunden, bis die Sonne über dem majestätischen
Galtee-Gebürge herabsank, dessen dunkle Riesen al-
lein unverändert jedes Jahrhundert und jede Um-
wälzung überlebt hatten.

Eines Abends, wo er sich mehr bewegt als je ge-
fühlt, sehnsüchtig in die Vergangenheit und trostlos
in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht,
daß immer hörbarer die Geister der Abgeschiednen in
seiner Nähe gerauscht -- versank er, die Augen noch
von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen
Schlummer. Wie lange er geschlafen, wußte er nicht;
ob er nachher geträumt, oder wirklich gesehen was
ihm erschienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes
Räthsel. Genug, er glaubte mitten in der Nacht
zu erwachen, und jeden Raum der weiten Kirche,
bis in die entferntesten Winkel, von einem überirdi-
schen Lichte erleuchtet zu sehen, das mit der Klar-
heit des Tages den Silberschein des Mondes und

ſchen Sitte ſeines Volks gemäß, wird nicht der Platz
um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt
ihren kaum geduldeten Gottesdienſt feiern, gewählt,
ſondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen
und Klöſter vertreten die Stelle zum Begräbniß für
hoch und niedrig, daher ſieht man hier den Boden
auch überall von aufrecht ſtehenden Grabſteinen wim-
meln, untermiſcht mit Knochenhaufen und Schädeln,
die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen,
ſorglos ausgeſchaufelt wurden. Hier, in einer Fen-
ſterniſche ſitzend, verträumte Johny Stunden auf
Stunden, bis die Sonne über dem majeſtätiſchen
Galtee-Gebürge herabſank, deſſen dunkle Rieſen al-
lein unverändert jedes Jahrhundert und jede Um-
wälzung überlebt hatten.

Eines Abends, wo er ſich mehr bewegt als je ge-
fühlt, ſehnſüchtig in die Vergangenheit und troſtlos
in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht,
daß immer hörbarer die Geiſter der Abgeſchiednen in
ſeiner Nähe gerauſcht — verſank er, die Augen noch
von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen
Schlummer. Wie lange er geſchlafen, wußte er nicht;
ob er nachher geträumt, oder wirklich geſehen was
ihm erſchienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes
Räthſel. Genug, er glaubte mitten in der Nacht
zu erwachen, und jeden Raum der weiten Kirche,
bis in die entfernteſten Winkel, von einem überirdi-
ſchen Lichte erleuchtet zu ſehen, das mit der Klar-
heit des Tages den Silberſchein des Mondes und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0148" n="126"/>
&#x017F;chen Sitte &#x017F;eines Volks gemäß, wird nicht der Platz<lb/>
um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt<lb/>
ihren kaum geduldeten Gottesdien&#x017F;t feiern, gewählt,<lb/>
&#x017F;ondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen<lb/>
und Klö&#x017F;ter vertreten die Stelle zum Begräbniß für<lb/>
hoch und niedrig, daher &#x017F;ieht man hier den Boden<lb/>
auch überall von aufrecht &#x017F;tehenden Grab&#x017F;teinen wim-<lb/>
meln, untermi&#x017F;cht mit Knochenhaufen und Schädeln,<lb/>
die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen,<lb/>
&#x017F;orglos ausge&#x017F;chaufelt wurden. Hier, in einer Fen-<lb/>
&#x017F;terni&#x017F;che &#x017F;itzend, verträumte Johny Stunden auf<lb/>
Stunden, bis die Sonne über dem maje&#x017F;täti&#x017F;chen<lb/>
Galtee-Gebürge herab&#x017F;ank, de&#x017F;&#x017F;en dunkle Rie&#x017F;en al-<lb/>
lein unverändert jedes Jahrhundert und jede Um-<lb/>
wälzung überlebt hatten.</p><lb/>
          <p>Eines Abends, wo er &#x017F;ich mehr bewegt als je ge-<lb/>
fühlt, &#x017F;ehn&#x017F;üchtig in die Vergangenheit und tro&#x017F;tlos<lb/>
in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht,<lb/>
daß immer hörbarer die Gei&#x017F;ter der Abge&#x017F;chiednen in<lb/>
&#x017F;einer Nähe gerau&#x017F;cht &#x2014; ver&#x017F;ank er, die Augen noch<lb/>
von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen<lb/>
Schlummer. Wie lange er ge&#x017F;chlafen, wußte er nicht;<lb/>
ob er nachher geträumt, oder wirklich ge&#x017F;ehen was<lb/>
ihm er&#x017F;chienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes<lb/>
Räth&#x017F;el. Genug, er glaubte mitten in der Nacht<lb/>
zu erwachen, und jeden Raum der weiten Kirche,<lb/>
bis in die entfernte&#x017F;ten Winkel, von einem überirdi-<lb/>
&#x017F;chen Lichte erleuchtet zu &#x017F;ehen, das mit der Klar-<lb/>
heit des Tages den Silber&#x017F;chein des Mondes und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0148] ſchen Sitte ſeines Volks gemäß, wird nicht der Platz um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt ihren kaum geduldeten Gottesdienſt feiern, gewählt, ſondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen und Klöſter vertreten die Stelle zum Begräbniß für hoch und niedrig, daher ſieht man hier den Boden auch überall von aufrecht ſtehenden Grabſteinen wim- meln, untermiſcht mit Knochenhaufen und Schädeln, die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen, ſorglos ausgeſchaufelt wurden. Hier, in einer Fen- ſterniſche ſitzend, verträumte Johny Stunden auf Stunden, bis die Sonne über dem majeſtätiſchen Galtee-Gebürge herabſank, deſſen dunkle Rieſen al- lein unverändert jedes Jahrhundert und jede Um- wälzung überlebt hatten. Eines Abends, wo er ſich mehr bewegt als je ge- fühlt, ſehnſüchtig in die Vergangenheit und troſtlos in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht, daß immer hörbarer die Geiſter der Abgeſchiednen in ſeiner Nähe gerauſcht — verſank er, die Augen noch von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen Schlummer. Wie lange er geſchlafen, wußte er nicht; ob er nachher geträumt, oder wirklich geſehen was ihm erſchienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes Räthſel. Genug, er glaubte mitten in der Nacht zu erwachen, und jeden Raum der weiten Kirche, bis in die entfernteſten Winkel, von einem überirdi- ſchen Lichte erleuchtet zu ſehen, das mit der Klar- heit des Tages den Silberſchein des Mondes und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/148
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/148>, abgerufen am 22.11.2024.