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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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den rosigen Schimmer der Abendröthe verband. Vor
ihm aber stand ein weibliches Wesen, in ein schloh-
weißes Gewand, wie eine wallende Wolke, gehüllt,
und zwei Augen funkelten ihm aus der Wolke ent-
gegen, gleich Sternen in einer Decembernacht. Eine
Stimme, deren Ton Johny nie genügend beschreiben
konnte, deren Zaubermelodie aber jede Nerve zu
stärken, jede Furcht zu beschwichtigen, und frohen Le-
bensmuth, wie Feuer, in jede Ader zu strömen
schien, rief ihm freundlich, in sanft verhallenden Tö-
nen zu: Mein Sohn! weißt Du wo Du bist? "Wo
ich bin --" erwiederte Johny, sich die Augen rei-
bend. Gewiß -- in Holycroß. "Weißt Du auch, daß
hier im grauen Alterthume Deine Väter herrschten,
und alles Land, was Deine Augen oft von jenem
Thurme überblickten, einst ihr Eigenthum war?"
Ha! ich ahnete es -- o! warum konnten sie es
nicht besser bewahren, auf daß ihr Enkel nicht heute
in Armuth und Sorge sein saures Brod von frem-
der Gnade betteln müßte. "Johny!" fuhr die Stimme
fort, "laß die Vergangenheit ruhen -- von Dir allein
wird es abhängen, so groß zu werden als unsre
Voreltern waren, wenn Du Muth mit Klugheit ver-
bindest. Dein Glücksstern brachte Dich grade diese
Nacht in die Mauern der Abtey, wo ich, die einst
hier gebot, jetzt alle hundert Jahr nur einmal noch
erscheinen darf. Wisse denn -- daß ein unermeßli-
cher Schatz, unsrer Familie angehörig, hier vergra-
ben liegt, der, wenn du ihn erhebst, dich reicher als
einen König machen wird. Doch John Curtin!

den roſigen Schimmer der Abendröthe verband. Vor
ihm aber ſtand ein weibliches Weſen, in ein ſchloh-
weißes Gewand, wie eine wallende Wolke, gehüllt,
und zwei Augen funkelten ihm aus der Wolke ent-
gegen, gleich Sternen in einer Decembernacht. Eine
Stimme, deren Ton Johny nie genügend beſchreiben
konnte, deren Zaubermelodie aber jede Nerve zu
ſtärken, jede Furcht zu beſchwichtigen, und frohen Le-
bensmuth, wie Feuer, in jede Ader zu ſtrömen
ſchien, rief ihm freundlich, in ſanft verhallenden Tö-
nen zu: Mein Sohn! weißt Du wo Du biſt? „Wo
ich bin —“ erwiederte Johny, ſich die Augen rei-
bend. Gewiß — in Holycroß. „Weißt Du auch, daß
hier im grauen Alterthume Deine Väter herrſchten,
und alles Land, was Deine Augen oft von jenem
Thurme überblickten, einſt ihr Eigenthum war?“
Ha! ich ahnete es — o! warum konnten ſie es
nicht beſſer bewahren, auf daß ihr Enkel nicht heute
in Armuth und Sorge ſein ſaures Brod von frem-
der Gnade betteln müßte. „Johny!“ fuhr die Stimme
fort, „laß die Vergangenheit ruhen — von Dir allein
wird es abhängen, ſo groß zu werden als unſre
Voreltern waren, wenn Du Muth mit Klugheit ver-
bindeſt. Dein Glücksſtern brachte Dich grade dieſe
Nacht in die Mauern der Abtey, wo ich, die einſt
hier gebot, jetzt alle hundert Jahr nur einmal noch
erſcheinen darf. Wiſſe denn — daß ein unermeßli-
cher Schatz, unſrer Familie angehörig, hier vergra-
ben liegt, der, wenn du ihn erhebſt, dich reicher als
einen König machen wird. Doch John Curtin!

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[127/0149] den roſigen Schimmer der Abendröthe verband. Vor ihm aber ſtand ein weibliches Weſen, in ein ſchloh- weißes Gewand, wie eine wallende Wolke, gehüllt, und zwei Augen funkelten ihm aus der Wolke ent- gegen, gleich Sternen in einer Decembernacht. Eine Stimme, deren Ton Johny nie genügend beſchreiben konnte, deren Zaubermelodie aber jede Nerve zu ſtärken, jede Furcht zu beſchwichtigen, und frohen Le- bensmuth, wie Feuer, in jede Ader zu ſtrömen ſchien, rief ihm freundlich, in ſanft verhallenden Tö- nen zu: Mein Sohn! weißt Du wo Du biſt? „Wo ich bin —“ erwiederte Johny, ſich die Augen rei- bend. Gewiß — in Holycroß. „Weißt Du auch, daß hier im grauen Alterthume Deine Väter herrſchten, und alles Land, was Deine Augen oft von jenem Thurme überblickten, einſt ihr Eigenthum war?“ Ha! ich ahnete es — o! warum konnten ſie es nicht beſſer bewahren, auf daß ihr Enkel nicht heute in Armuth und Sorge ſein ſaures Brod von frem- der Gnade betteln müßte. „Johny!“ fuhr die Stimme fort, „laß die Vergangenheit ruhen — von Dir allein wird es abhängen, ſo groß zu werden als unſre Voreltern waren, wenn Du Muth mit Klugheit ver- bindeſt. Dein Glücksſtern brachte Dich grade dieſe Nacht in die Mauern der Abtey, wo ich, die einſt hier gebot, jetzt alle hundert Jahr nur einmal noch erſcheinen darf. Wiſſe denn — daß ein unermeßli- cher Schatz, unſrer Familie angehörig, hier vergra- ben liegt, der, wenn du ihn erhebſt, dich reicher als einen König machen wird. Doch John Curtin!

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/149>, abgerufen am 22.11.2024.