ihres Vaters Haus, wie sie eben zum Brunnen ging, zwei Wasserkannen über die Schultern gehangen, und sie mit beiden Händen haltend, wie es hier die Land- mädchen zu thun pflegen. Eine Weile mit ihr scher- zend und allerlei zärtliche Possen treibend, benutzte er plötzlich ihre vertheidigungslose Stellung und -- enfin, es gelang ihm, halb wenigstens gewiß mit Gewalt, alles von ihr zu erlangen, was sie geben konnte. Von den englischen Gesetzen wird so etwas nicht nach der Kaiserin Catharine oder Königin Eli- sabeth Prinzip beurtheilt, sondern als criminelle Gewaltthätigkeit angesehen, und der Delinquent, wenn er durch Zeugen überführt ist, ohne Weiteres gehangen. M. R ..... 's Schreck war also nicht gering, als er, noch das weinende Mädchen tröstend, sich aufrichtete, und ihre jüngere Schwester hinter derselben stehen sah, die in der gleichen Absicht Was- ser zu holen hergekommen war, und das Ganze mit angesehen zu haben schien. "Oh for shame!" (O der Schande!) rief sie entrüstet, muß ich das von dir er- leben, Schwester! gleich sollen Vater und Mutter al- les erfahren!" Die arme Maria war bei dieser Dro- hung mehr todt als lebendig, ihr Liebhaber jedoch wußte, mit seltner Fassung und seltner Thatkraft, der Sache eine ganz unerwartete Wendung zu geben. Scheinbar wüthend zog er sein Messer, und stürzte auf die jüngere Schwester zu, als wolle er ihr augen- blicklich den Mund für immer versiegeln. Halb ohn- mächtig vor Schreck sank diese, um Erbarmen flehend, kraftlos zu seinen Füßen hin. -- Hier ward ihr das-
ihres Vaters Haus, wie ſie eben zum Brunnen ging, zwei Waſſerkannen über die Schultern gehangen, und ſie mit beiden Händen haltend, wie es hier die Land- mädchen zu thun pflegen. Eine Weile mit ihr ſcher- zend und allerlei zärtliche Poſſen treibend, benutzte er plötzlich ihre vertheidigungsloſe Stellung und — enfin, es gelang ihm, halb wenigſtens gewiß mit Gewalt, alles von ihr zu erlangen, was ſie geben konnte. Von den engliſchen Geſetzen wird ſo etwas nicht nach der Kaiſerin Catharine oder Königin Eli- ſabeth Prinzip beurtheilt, ſondern als criminelle Gewaltthätigkeit angeſehen, und der Delinquent, wenn er durch Zeugen überführt iſt, ohne Weiteres gehangen. M. R ..... ’s Schreck war alſo nicht gering, als er, noch das weinende Mädchen tröſtend, ſich aufrichtete, und ihre jüngere Schweſter hinter derſelben ſtehen ſah, die in der gleichen Abſicht Waſ- ſer zu holen hergekommen war, und das Ganze mit angeſehen zu haben ſchien. „Oh for shame!“ (O der Schande!) rief ſie entrüſtet, muß ich das von dir er- leben, Schweſter! gleich ſollen Vater und Mutter al- les erfahren!“ Die arme Maria war bei dieſer Dro- hung mehr todt als lebendig, ihr Liebhaber jedoch wußte, mit ſeltner Faſſung und ſeltner Thatkraft, der Sache eine ganz unerwartete Wendung zu geben. Scheinbar wüthend zog er ſein Meſſer, und ſtürzte auf die jüngere Schweſter zu, als wolle er ihr augen- blicklich den Mund für immer verſiegeln. Halb ohn- mächtig vor Schreck ſank dieſe, um Erbarmen flehend, kraftlos zu ſeinen Füßen hin. — Hier ward ihr das-
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ihres Vaters Haus, wie ſie eben zum Brunnen ging,
zwei Waſſerkannen über die Schultern gehangen, und
ſie mit beiden Händen haltend, wie es hier die Land-
mädchen zu thun pflegen. Eine Weile mit ihr ſcher-
zend und allerlei zärtliche Poſſen treibend, benutzte
er plötzlich ihre vertheidigungsloſe Stellung und —
enfin, es gelang ihm, halb wenigſtens gewiß mit
Gewalt, alles von ihr zu erlangen, was ſie geben
konnte. Von den engliſchen Geſetzen wird ſo etwas
nicht nach der Kaiſerin Catharine oder Königin Eli-
ſabeth Prinzip beurtheilt, ſondern als criminelle
Gewaltthätigkeit angeſehen, und der Delinquent,
wenn er durch Zeugen überführt iſt, ohne Weiteres
gehangen. M. R ..... ’s Schreck war alſo nicht
gering, als er, noch das weinende Mädchen tröſtend,
ſich aufrichtete, und ihre jüngere Schweſter hinter
derſelben ſtehen ſah, die in der gleichen Abſicht Waſ-
ſer zu holen hergekommen war, und das Ganze mit
angeſehen zu haben ſchien. „Oh for shame!“ (O der
Schande!) rief ſie entrüſtet, muß ich das von dir er-
leben, Schweſter! gleich ſollen Vater und Mutter al-
les erfahren!“ Die arme Maria war bei dieſer Dro-
hung mehr todt als lebendig, ihr Liebhaber jedoch
wußte, mit ſeltner Faſſung und ſeltner Thatkraft,
der Sache eine ganz unerwartete Wendung zu geben.
Scheinbar wüthend zog er ſein Meſſer, und ſtürzte
auf die jüngere Schweſter zu, als wolle er ihr augen-
blicklich den Mund für immer verſiegeln. Halb ohn-
mächtig vor Schreck ſank dieſe, um Erbarmen flehend,
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/159>, abgerufen am 25.11.2024.
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