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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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vor sich stehen, die er beständig füllt, während wir
nur eins erhalten; solche Bevortheilung wollen wir
aber nicht länger dulden!

Seitdem ist es in ganz Irland zum Sprüchwort
geworden, wenn einer mehr als alle Andern thut,
oder doppelten Vortheil aus einer Sache zieht, zu
sagen: Er nimmt sich ein Beispiel an Sergeant
Scully.

Als man keine Anekdoten mehr zu erzählen wußte,
wurden allerlei Kunststücke und tours de force ge-
macht, worunter ich Eins noch nie gesehen hatte.
Es ist nur ein Experiment mit einem Hahn, das
jeder nachmachen kann, aber doch ziemlich sonderbar.
Das wildeste und böseste Thier dieser Art wird näm-
lich sogleich bewegungslos, und vermocht, so lange
man will, in todtenähnlicher Ruhe auf dem Tische
liegen zu bleiben, den Schnabel vor sich hingestreckt
und die Augen keinen Augenblick von einer weißen
Linie verwendend, die vor ihm hingezeichnet ist. Man
thut weiter nichts, als diese grade Linie vorher auf
dem Tische mit Kreide zu zeichnen, den Hahn dann
mit beiden Händen zu fassen und mit dem Schnabel
auf der Linie fortzuschieben. Dann drückt man ihn
auf den Tisch auf, und er wird so lange liegen blei-
ben, ohne sich zu rühren, bis man ihn wieder weg-
nimmt. Das Experiment kann jedoch nur bei Licht
gemacht werden.

Voila de grandes bagatelles, mais a la goerre
comme a la goerre.


vor ſich ſtehen, die er beſtändig füllt, während wir
nur eins erhalten; ſolche Bevortheilung wollen wir
aber nicht länger dulden!

Seitdem iſt es in ganz Irland zum Sprüchwort
geworden, wenn einer mehr als alle Andern thut,
oder doppelten Vortheil aus einer Sache zieht, zu
ſagen: Er nimmt ſich ein Beiſpiel an Sergeant
Scully.

Als man keine Anekdoten mehr zu erzählen wußte,
wurden allerlei Kunſtſtücke und tours de force ge-
macht, worunter ich Eins noch nie geſehen hatte.
Es iſt nur ein Experiment mit einem Hahn, das
jeder nachmachen kann, aber doch ziemlich ſonderbar.
Das wildeſte und böſeſte Thier dieſer Art wird näm-
lich ſogleich bewegungslos, und vermocht, ſo lange
man will, in todtenähnlicher Ruhe auf dem Tiſche
liegen zu bleiben, den Schnabel vor ſich hingeſtreckt
und die Augen keinen Augenblick von einer weißen
Linie verwendend, die vor ihm hingezeichnet iſt. Man
thut weiter nichts, als dieſe grade Linie vorher auf
dem Tiſche mit Kreide zu zeichnen, den Hahn dann
mit beiden Händen zu faſſen und mit dem Schnabel
auf der Linie fortzuſchieben. Dann drückt man ihn
auf den Tiſch auf, und er wird ſo lange liegen blei-
ben, ohne ſich zu rühren, bis man ihn wieder weg-
nimmt. Das Experiment kann jedoch nur bei Licht
gemacht werden.

Voilà de grandes bagatelles, mais à la gôerre
comme à la gôerre.


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[140/0162] vor ſich ſtehen, die er beſtändig füllt, während wir nur eins erhalten; ſolche Bevortheilung wollen wir aber nicht länger dulden! Seitdem iſt es in ganz Irland zum Sprüchwort geworden, wenn einer mehr als alle Andern thut, oder doppelten Vortheil aus einer Sache zieht, zu ſagen: Er nimmt ſich ein Beiſpiel an Sergeant Scully. Als man keine Anekdoten mehr zu erzählen wußte, wurden allerlei Kunſtſtücke und tours de force ge- macht, worunter ich Eins noch nie geſehen hatte. Es iſt nur ein Experiment mit einem Hahn, das jeder nachmachen kann, aber doch ziemlich ſonderbar. Das wildeſte und böſeſte Thier dieſer Art wird näm- lich ſogleich bewegungslos, und vermocht, ſo lange man will, in todtenähnlicher Ruhe auf dem Tiſche liegen zu bleiben, den Schnabel vor ſich hingeſtreckt und die Augen keinen Augenblick von einer weißen Linie verwendend, die vor ihm hingezeichnet iſt. Man thut weiter nichts, als dieſe grade Linie vorher auf dem Tiſche mit Kreide zu zeichnen, den Hahn dann mit beiden Händen zu faſſen und mit dem Schnabel auf der Linie fortzuſchieben. Dann drückt man ihn auf den Tiſch auf, und er wird ſo lange liegen blei- ben, ohne ſich zu rühren, bis man ihn wieder weg- nimmt. Das Experiment kann jedoch nur bei Licht gemacht werden. Voilà de grandes bagatelles, mais à la gôerre comme à la gôerre.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/162>, abgerufen am 22.11.2024.