Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzigster Brief.

Gute, theure Freundin!

Wenn man so lange ein halb wildes Leben ge-
führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz
sonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim-
weh der Indianer erklären, von denen selbst die Ge-
bildetesten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu-
rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!

Gestern Nachmittag verließ ich Cashel, und nahm
in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit.
So lange es Tag war, sahen wir gewiß an zwanzig
verschiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der
schönsten steht am Fuß eines isolirten Hügels, Kil-
lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf
ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimische
Pflanzen wachsen. Der Grund dieser Fruchtbarkeit
ist, daß Killoughhill einst der Sommeraufenthalt der
Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der


Vierzigſter Brief.

Gute, theure Freundin!

Wenn man ſo lange ein halb wildes Leben ge-
führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz
ſonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim-
weh der Indianer erklären, von denen ſelbſt die Ge-
bildeteſten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu-
rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!

Geſtern Nachmittag verließ ich Caſhel, und nahm
in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit.
So lange es Tag war, ſahen wir gewiß an zwanzig
verſchiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der
ſchönſten ſteht am Fuß eines iſolirten Hügels, Kil-
lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf
ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimiſche
Pflanzen wachſen. Der Grund dieſer Fruchtbarkeit
iſt, daß Killoughhill einſt der Sommeraufenthalt der
Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0166" n="[144]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vierzig&#x017F;ter Brief</hi>.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Dublin, den 24<hi rendition="#sup">&#x017F;ten</hi> October 1828.</hi> </dateline><lb/>
            <salute>Gute, theure Freundin!</salute>
          </opener><lb/>
          <p>Wenn man &#x017F;o lange ein halb wildes Leben ge-<lb/>
führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz<lb/>
&#x017F;onderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim-<lb/>
weh der Indianer erklären, von denen &#x017F;elb&#x017F;t die Ge-<lb/>
bildete&#x017F;ten doch am Ende in ihre <choice><sic>Wa&#x0307;lder</sic><corr>Wälder</corr></choice> wieder zu-<lb/>
rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!</p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Nachmittag verließ ich Ca&#x017F;hel, und nahm<lb/>
in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit.<lb/>
So lange es Tag war, &#x017F;ahen wir gewiß an zwanzig<lb/>
ver&#x017F;chiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der<lb/>
&#x017F;chön&#x017F;ten &#x017F;teht am Fuß eines i&#x017F;olirten Hügels, Kil-<lb/>
lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf<lb/>
ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimi&#x017F;che<lb/>
Pflanzen wach&#x017F;en. Der Grund die&#x017F;er Fruchtbarkeit<lb/>
i&#x017F;t, daß Killoughhill ein&#x017F;t der Sommeraufenthalt der<lb/><choice><sic>Feenko&#x0307;nigin</sic><corr>Feenkönigin</corr></choice> war, deren Gärten hier prangten. Der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[144]/0166] Vierzigſter Brief. Dublin, den 24ſten October 1828. Gute, theure Freundin! Wenn man ſo lange ein halb wildes Leben ge- führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz ſonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim- weh der Indianer erklären, von denen ſelbſt die Ge- bildeteſten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu- rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz! Geſtern Nachmittag verließ ich Caſhel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit. So lange es Tag war, ſahen wir gewiß an zwanzig verſchiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der ſchönſten ſteht am Fuß eines iſolirten Hügels, Kil- lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimiſche Pflanzen wachſen. Der Grund dieſer Fruchtbarkeit iſt, daß Killoughhill einſt der Sommeraufenthalt der Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/166
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. [144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/166>, abgerufen am 22.11.2024.