Wenn man so lange ein halb wildes Leben ge- führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz sonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim- weh der Indianer erklären, von denen selbst die Ge- bildetesten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu- rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!
Gestern Nachmittag verließ ich Cashel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit. So lange es Tag war, sahen wir gewiß an zwanzig verschiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der schönsten steht am Fuß eines isolirten Hügels, Kil- lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimische Pflanzen wachsen. Der Grund dieser Fruchtbarkeit ist, daß Killoughhill einst der Sommeraufenthalt der Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der
Vierzigſter Brief.
Dublin, den 24ſten October 1828.
Gute, theure Freundin!
Wenn man ſo lange ein halb wildes Leben ge- führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz ſonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim- weh der Indianer erklären, von denen ſelbſt die Ge- bildeteſten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu- rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!
Geſtern Nachmittag verließ ich Caſhel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit. So lange es Tag war, ſahen wir gewiß an zwanzig verſchiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der ſchönſten ſteht am Fuß eines iſolirten Hügels, Kil- lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimiſche Pflanzen wachſen. Der Grund dieſer Fruchtbarkeit iſt, daß Killoughhill einſt der Sommeraufenthalt der Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der
<TEI><text><body><pbfacs="#f0166"n="[144]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Vierzigſter Brief</hi>.</hi></head><lb/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Dublin, den 24<hirendition="#sup">ſten</hi> October 1828.</hi></dateline><lb/><salute>Gute, theure Freundin!</salute></opener><lb/><p>Wenn man ſo lange ein halb wildes Leben ge-<lb/>
führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz<lb/>ſonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim-<lb/>
weh der Indianer erklären, von denen ſelbſt die Ge-<lb/>
bildeteſten doch am Ende in ihre <choice><sic>Wȧlder</sic><corr>Wälder</corr></choice> wieder zu-<lb/>
rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!</p><lb/><p>Geſtern Nachmittag verließ ich Caſhel, und nahm<lb/>
in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit.<lb/>
So lange es Tag war, ſahen wir gewiß an zwanzig<lb/>
verſchiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der<lb/>ſchönſten ſteht am Fuß eines iſolirten Hügels, Kil-<lb/>
lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf<lb/>
ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimiſche<lb/>
Pflanzen wachſen. Der Grund dieſer Fruchtbarkeit<lb/>
iſt, daß Killoughhill einſt der Sommeraufenthalt der<lb/><choice><sic>Feenkȯnigin</sic><corr>Feenkönigin</corr></choice> war, deren Gärten hier prangten. Der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[144]/0166]
Vierzigſter Brief.
Dublin, den 24ſten October 1828.
Gute, theure Freundin!
Wenn man ſo lange ein halb wildes Leben ge-
führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz
ſonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim-
weh der Indianer erklären, von denen ſelbſt die Ge-
bildeteſten doch am Ende in ihre Wälder wieder zu-
rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!
Geſtern Nachmittag verließ ich Caſhel, und nahm
in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit.
So lange es Tag war, ſahen wir gewiß an zwanzig
verſchiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der
ſchönſten ſteht am Fuß eines iſolirten Hügels, Kil-
lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf
ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimiſche
Pflanzen wachſen. Der Grund dieſer Fruchtbarkeit
iſt, daß Killoughhill einſt der Sommeraufenthalt der
Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. [144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/166>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.