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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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von seiner Arbeit, ein ganz materielles philosophisches
System enthaltend, das aber dennoch manchen guten
Gedanken enthält, und mehr werth ist, als ich dem
Autor eigentlich zugetraut hätte. Die Lektüre des-
selben hat mich heute die halbe Nacht be schäftigt, ich
merkte aber wohl an der Haltlosigkeit des Ganzen,
daß entweder Lady M. ein gutes Theil davon selbst
gemacht, oder wenigstens durch diese unverdauten
Ansichten so irre und ungewiß geworden ist, daß sie
sich einbildete, "der liebe Gott könnte zufällig wohl
böse seyn!" Die berühmten Leute sind auch Men-
schen, das weiß der Himmel! Gelehrte wie Staats-
männder
-- und fast bei jeder neuen Bekanntschaft
dieser Art mahnt es mich an Oxenstjerna, dem sein
noch sehr junger Sohn, da er als Gesandter zum
Congreß nach Münster reisen sollte, Bedenklichkeiten
äußerte, welche Rolle er, so weisen und großen Män-
nern gegenüber, spielen würde? Ach mein Sohn,
sagte der Vater lächelnd, ziehe hin in Frieden und
siehe welche Menschen es sind, die die Welt re-
gieren!



Les catholiques me font la cour ici. Der E . .
B ... ließ mir heute durch eine Dame sagen, daß
ich mich, da ich ihre Kirchenmusik liebe, doch heute
in der Kapelle einfinden möge, wo man das Sänger-

von ſeiner Arbeit, ein ganz materielles philoſophiſches
Syſtem enthaltend, das aber dennoch manchen guten
Gedanken enthält, und mehr werth iſt, als ich dem
Autor eigentlich zugetraut hätte. Die Lektüre deſ-
ſelben hat mich heute die halbe Nacht be ſchäftigt, ich
merkte aber wohl an der Haltloſigkeit des Ganzen,
daß entweder Lady M. ein gutes Theil davon ſelbſt
gemacht, oder wenigſtens durch dieſe unverdauten
Anſichten ſo irre und ungewiß geworden iſt, daß ſie
ſich einbildete, „der liebe Gott könnte zufällig wohl
böſe ſeyn!“ Die berühmten Leute ſind auch Men-
ſchen, das weiß der Himmel! Gelehrte wie Staats-
männder
— und faſt bei jeder neuen Bekanntſchaft
dieſer Art mahnt es mich an Oxenſtjerna, dem ſein
noch ſehr junger Sohn, da er als Geſandter zum
Congreß nach Münſter reiſen ſollte, Bedenklichkeiten
äußerte, welche Rolle er, ſo weiſen und großen Män-
nern gegenüber, ſpielen würde? Ach mein Sohn,
ſagte der Vater lächelnd, ziehe hin in Frieden und
ſiehe welche Menſchen es ſind, die die Welt re-
gieren!



Les catholiques me font la cour ici. Der E . .
B … ließ mir heute durch eine Dame ſagen, daß
ich mich, da ich ihre Kirchenmuſik liebe, doch heute
in der Kapelle einfinden möge, wo man das Sänger-

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[169/0191] von ſeiner Arbeit, ein ganz materielles philoſophiſches Syſtem enthaltend, das aber dennoch manchen guten Gedanken enthält, und mehr werth iſt, als ich dem Autor eigentlich zugetraut hätte. Die Lektüre deſ- ſelben hat mich heute die halbe Nacht be ſchäftigt, ich merkte aber wohl an der Haltloſigkeit des Ganzen, daß entweder Lady M. ein gutes Theil davon ſelbſt gemacht, oder wenigſtens durch dieſe unverdauten Anſichten ſo irre und ungewiß geworden iſt, daß ſie ſich einbildete, „der liebe Gott könnte zufällig wohl böſe ſeyn!“ Die berühmten Leute ſind auch Men- ſchen, das weiß der Himmel! Gelehrte wie Staats- männder — und faſt bei jeder neuen Bekanntſchaft dieſer Art mahnt es mich an Oxenſtjerna, dem ſein noch ſehr junger Sohn, da er als Geſandter zum Congreß nach Münſter reiſen ſollte, Bedenklichkeiten äußerte, welche Rolle er, ſo weiſen und großen Män- nern gegenüber, ſpielen würde? Ach mein Sohn, ſagte der Vater lächelnd, ziehe hin in Frieden und ſiehe welche Menſchen es ſind, die die Welt re- gieren! Den 1ten November. Les catholiques me font la cour ici. Der E . . B … ließ mir heute durch eine Dame ſagen, daß ich mich, da ich ihre Kirchenmuſik liebe, doch heute in der Kapelle einfinden möge, wo man das Sänger-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/191>, abgerufen am 22.11.2024.