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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Das Beste für uns wäre, dahin zu kommen, uns
zu sehen wie wir sind, und warum wir so sind --
ohne Hypothesen und Ueberschwenglichkeiten -- dies
ist das einzige Mittel zu wahrer und dauernder Auf-
klärung, und folglich zum wahren Glück. Hat die
deutsche Philosophie nicht einen etwas zu poetischen
Weg gewählt, und gleicht sie nicht, statt einem
wohlthätig erleuchtenden und erwärmenden Feuer,
mehr einer Girandole, die prachtvoll in tausend Glüh-
funken bis zum Himmel emporsteigt, sich den Ster-
nen zu assimiliren scheint, bald aber unter ihnen in
Nichts verschwindet. Wieviel excentrische Systeme
dieser Art haben, seit Kant bis Hegel, einen Augen-
blick dort geglänzt, und sind dann entweder schnell
verstorben, oder leben in Stücke geschnitten, wie
der Regenwurm, einzeln fortwuchernd weiter. Es
ist sehr problematisch, ob sie der Gesellschaft so viel
praktischen Nutzen gewährt haben, als die jetzt so
sehr geringgeschätzten französischen Philosophen, die
sich ans Nächste hielten, und mit ihrem scharfen
Operationsmesser für's Erste der positiv existirenden
Boa des kirchlichen Aberglaubens den Hauptnerv
so ausschnitten, daß sie seitdem nur noch entkräftet
umher schleichen kann. Ja, auch der Philosoph
soll durch seine Lehren ins Leben eingreifen (der
Größte von allen Weisen war eben so praktisch als
allgemein verständlich) und Männer, welche auf diese
Weise aufklären, stehen gewiß in der Geschichte hö-
her
, als die wunderbarsten der erwähnten Feuer-
werker.

Das Beſte für uns wäre, dahin zu kommen, uns
zu ſehen wie wir ſind, und warum wir ſo ſind —
ohne Hypotheſen und Ueberſchwenglichkeiten — dies
iſt das einzige Mittel zu wahrer und dauernder Auf-
klärung, und folglich zum wahren Glück. Hat die
deutſche Philoſophie nicht einen etwas zu poetiſchen
Weg gewählt, und gleicht ſie nicht, ſtatt einem
wohlthätig erleuchtenden und erwärmenden Feuer,
mehr einer Girandole, die prachtvoll in tauſend Glüh-
funken bis zum Himmel emporſteigt, ſich den Ster-
nen zu aſſimiliren ſcheint, bald aber unter ihnen in
Nichts verſchwindet. Wieviel excentriſche Syſteme
dieſer Art haben, ſeit Kant bis Hegel, einen Augen-
blick dort geglänzt, und ſind dann entweder ſchnell
verſtorben, oder leben in Stücke geſchnitten, wie
der Regenwurm, einzeln fortwuchernd weiter. Es
iſt ſehr problematiſch, ob ſie der Geſellſchaft ſo viel
praktiſchen Nutzen gewährt haben, als die jetzt ſo
ſehr geringgeſchätzten franzöſiſchen Philoſophen, die
ſich ans Nächſte hielten, und mit ihrem ſcharfen
Operationsmeſſer für’s Erſte der poſitiv exiſtirenden
Boa des kirchlichen Aberglaubens den Hauptnerv
ſo ausſchnitten, daß ſie ſeitdem nur noch entkräftet
umher ſchleichen kann. Ja, auch der Philoſoph
ſoll durch ſeine Lehren ins Leben eingreifen (der
Größte von allen Weiſen war eben ſo praktiſch als
allgemein verſtändlich) und Männer, welche auf dieſe
Weiſe aufklären, ſtehen gewiß in der Geſchichte hö-
her
, als die wunderbarſten der erwähnten Feuer-
werker.

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[229/0251] Das Beſte für uns wäre, dahin zu kommen, uns zu ſehen wie wir ſind, und warum wir ſo ſind — ohne Hypotheſen und Ueberſchwenglichkeiten — dies iſt das einzige Mittel zu wahrer und dauernder Auf- klärung, und folglich zum wahren Glück. Hat die deutſche Philoſophie nicht einen etwas zu poetiſchen Weg gewählt, und gleicht ſie nicht, ſtatt einem wohlthätig erleuchtenden und erwärmenden Feuer, mehr einer Girandole, die prachtvoll in tauſend Glüh- funken bis zum Himmel emporſteigt, ſich den Ster- nen zu aſſimiliren ſcheint, bald aber unter ihnen in Nichts verſchwindet. Wieviel excentriſche Syſteme dieſer Art haben, ſeit Kant bis Hegel, einen Augen- blick dort geglänzt, und ſind dann entweder ſchnell verſtorben, oder leben in Stücke geſchnitten, wie der Regenwurm, einzeln fortwuchernd weiter. Es iſt ſehr problematiſch, ob ſie der Geſellſchaft ſo viel praktiſchen Nutzen gewährt haben, als die jetzt ſo ſehr geringgeſchätzten franzöſiſchen Philoſophen, die ſich ans Nächſte hielten, und mit ihrem ſcharfen Operationsmeſſer für’s Erſte der poſitiv exiſtirenden Boa des kirchlichen Aberglaubens den Hauptnerv ſo ausſchnitten, daß ſie ſeitdem nur noch entkräftet umher ſchleichen kann. Ja, auch der Philoſoph ſoll durch ſeine Lehren ins Leben eingreifen (der Größte von allen Weiſen war eben ſo praktiſch als allgemein verſtändlich) und Männer, welche auf dieſe Weiſe aufklären, ſtehen gewiß in der Geſchichte hö- her, als die wunderbarſten der erwähnten Feuer- werker.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/251>, abgerufen am 22.11.2024.