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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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schaftsverhältniß partiell aufhebt. So wie der Krieg
erklärt ist, mordet der tugendhafteste Soldat seinen
Mitbruder ex officio, wäre es auch nur im gezwun-
genen Dienst eines Despoten, den er im Herzen
für einen Abschaum der Menschheit ansieht. Oder --
der Pabst entbindet, Kraft der Religion der Liebe,
von allen Gefühlen der Treue, des Rechts, und der
Menschlichkeit. Sofort brennt, sengt, mordet,
lügt
der Fromme con amore, und stirbt zufrie-
den
und selig, mitten in der Erfüllung seiner
Pflicht, und zu Gottes Ehre!

Das Thier, welches nur für sich zu leben bestimmt
ist, kennt keine Tugend, und hat daher keine Seele,
sagt man mit Recht, dennoch bemerkt man im Haus-
thiere, ohngeachtet des schwachen Grades seines
Denkvermögens, in Folge seiner Erziehung und der
Art von Geselligkeit, in der es mit dem Men-
schen lebt, auch schon eine sehr sichtliche Spur
von Moralität, und wie nach und nach ein deutli-
ches Gefühl für Recht und Unrecht bei ihm ent-
steht. Man sieht es uneigennützige Liebe fühlen,
ja sogar Opfer, ohne das Motiv der Furcht, brin-
gen. Kurzum, es fängt an ganz denselben Weg,
wie der Mensch, zu gehen, seine Seele beginnt zu
tagen, und hätten die Thiere die Facultät der
Sprache, so wäre es wohl möglich, daß sie eben so
weit wie wir kämen. Da sie uns aber an physischen
Kräften überlegen sind, so würde wahrscheinlich der
erste Gebrauch, den sie von ihrer neu erlangten Seele
machten -- unsre Vernichtung seyn.

ſchaftsverhältniß partiell aufhebt. So wie der Krieg
erklärt iſt, mordet der tugendhafteſte Soldat ſeinen
Mitbruder ex officio, wäre es auch nur im gezwun-
genen Dienſt eines Despoten, den er im Herzen
für einen Abſchaum der Menſchheit anſieht. Oder —
der Pabſt entbindet, Kraft der Religion der Liebe,
von allen Gefühlen der Treue, des Rechts, und der
Menſchlichkeit. Sofort brennt, ſengt, mordet,
lügt
der Fromme con amore, und ſtirbt zufrie-
den
und ſelig, mitten in der Erfüllung ſeiner
Pflicht, und zu Gottes Ehre!

Das Thier, welches nur für ſich zu leben beſtimmt
iſt, kennt keine Tugend, und hat daher keine Seele,
ſagt man mit Recht, dennoch bemerkt man im Haus-
thiere, ohngeachtet des ſchwachen Grades ſeines
Denkvermögens, in Folge ſeiner Erziehung und der
Art von Geſelligkeit, in der es mit dem Men-
ſchen lebt, auch ſchon eine ſehr ſichtliche Spur
von Moralität, und wie nach und nach ein deutli-
ches Gefühl für Recht und Unrecht bei ihm ent-
ſteht. Man ſieht es uneigennützige Liebe fühlen,
ja ſogar Opfer, ohne das Motiv der Furcht, brin-
gen. Kurzum, es fängt an ganz denſelben Weg,
wie der Menſch, zu gehen, ſeine Seele beginnt zu
tagen, und hätten die Thiere die Facultät der
Sprache, ſo wäre es wohl möglich, daß ſie eben ſo
weit wie wir kämen. Da ſie uns aber an phyſiſchen
Kräften überlegen ſind, ſo würde wahrſcheinlich der
erſte Gebrauch, den ſie von ihrer neu erlangten Seele
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[228/0250] ſchaftsverhältniß partiell aufhebt. So wie der Krieg erklärt iſt, mordet der tugendhafteſte Soldat ſeinen Mitbruder ex officio, wäre es auch nur im gezwun- genen Dienſt eines Despoten, den er im Herzen für einen Abſchaum der Menſchheit anſieht. Oder — der Pabſt entbindet, Kraft der Religion der Liebe, von allen Gefühlen der Treue, des Rechts, und der Menſchlichkeit. Sofort brennt, ſengt, mordet, lügt der Fromme con amore, und ſtirbt zufrie- den und ſelig, mitten in der Erfüllung ſeiner Pflicht, und zu Gottes Ehre! Das Thier, welches nur für ſich zu leben beſtimmt iſt, kennt keine Tugend, und hat daher keine Seele, ſagt man mit Recht, dennoch bemerkt man im Haus- thiere, ohngeachtet des ſchwachen Grades ſeines Denkvermögens, in Folge ſeiner Erziehung und der Art von Geſelligkeit, in der es mit dem Men- ſchen lebt, auch ſchon eine ſehr ſichtliche Spur von Moralität, und wie nach und nach ein deutli- ches Gefühl für Recht und Unrecht bei ihm ent- ſteht. Man ſieht es uneigennützige Liebe fühlen, ja ſogar Opfer, ohne das Motiv der Furcht, brin- gen. Kurzum, es fängt an ganz denſelben Weg, wie der Menſch, zu gehen, ſeine Seele beginnt zu tagen, und hätten die Thiere die Facultät der Sprache, ſo wäre es wohl möglich, daß ſie eben ſo weit wie wir kämen. Da ſie uns aber an phyſiſchen Kräften überlegen ſind, ſo würde wahrſcheinlich der erſte Gebrauch, den ſie von ihrer neu erlangten Seele machten — unſre Vernichtung ſeyn.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/250>, abgerufen am 22.11.2024.