Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

der menschlichen Gesellschaft sind, daher auch die
mächtigsten Hebel in allen Verhältnissen bleiben, und
Kraft zuletzt immer am allermeisten imponirt.
Alexander und Cäsar erscheinen größer in der Ge-
schichte als Hor. Cocles und Regulus, wenn auch
die Geschichte der Letzteren keine Fabel wären. Un-
eigennützigkeit, Freundschaft, Nächstenliebe, Groß-
muth, entwickeln sich in der Regel erst später, und
als seltnere Blumen mit feinerem, und schon raffi-
nirterem Duft, eben so wie für die Spekulation sich
zuletzt die höchste Kraft nur im Ideal des Guten
zeigt, und Aufopferung zuletzt für das Individuum
selbst, höchster Genuß wird. Ein anderer, wie mir
däucht, schlagender Beweis, daß, was wir Moral
nennen, nur aus dem Gesellschaftsleben hervorgehe,
ist meines Erachtens, daß wir noch heute kein sol-
ches Prinzip, in Bezug auf andere Geschöpfe anzu-
erkennen scheinen. Wir würden, wenn wir könnten,
zum Behuf unsrer Wissenschaft, uns unbedenklich ei-
nen Stern zur Inspektion herunterlangen, und
mit einem Engel in unsrer Gewalt nicht viel Um-
stände machen, sobald wir ihn nicht mehr zu fürch-
ten hätten. Daß wir mit den Thieren (zum Theil
auch noch mit den Negern) ganz als Egoisten um-
gehen, und schon ein hoher Grad von Cultur dazu
gehört, um sie nur nicht unnütz zu quälen, oder
leiden zu lassen, liegt am Tage. Ja was noch mehr
ist, Menschen unter sich selbst, heben sofort
das positive Moralprinzip auf, sobald eine, von ih-
nen für competent angesehene Macht, das Gesell-

15*

der menſchlichen Geſellſchaft ſind, daher auch die
mächtigſten Hebel in allen Verhältniſſen bleiben, und
Kraft zuletzt immer am allermeiſten imponirt.
Alexander und Cäſar erſcheinen größer in der Ge-
ſchichte als Hor. Cocles und Regulus, wenn auch
die Geſchichte der Letzteren keine Fabel wären. Un-
eigennützigkeit, Freundſchaft, Nächſtenliebe, Groß-
muth, entwickeln ſich in der Regel erſt ſpäter, und
als ſeltnere Blumen mit feinerem, und ſchon raffi-
nirterem Duft, eben ſo wie für die Spekulation ſich
zuletzt die höchſte Kraft nur im Ideal des Guten
zeigt, und Aufopferung zuletzt für das Individuum
ſelbſt, höchſter Genuß wird. Ein anderer, wie mir
däucht, ſchlagender Beweis, daß, was wir Moral
nennen, nur aus dem Geſellſchaftsleben hervorgehe,
iſt meines Erachtens, daß wir noch heute kein ſol-
ches Prinzip, in Bezug auf andere Geſchöpfe anzu-
erkennen ſcheinen. Wir würden, wenn wir könnten,
zum Behuf unſrer Wiſſenſchaft, uns unbedenklich ei-
nen Stern zur Inſpektion herunterlangen, und
mit einem Engel in unſrer Gewalt nicht viel Um-
ſtände machen, ſobald wir ihn nicht mehr zu fürch-
ten hätten. Daß wir mit den Thieren (zum Theil
auch noch mit den Negern) ganz als Egoiſten um-
gehen, und ſchon ein hoher Grad von Cultur dazu
gehört, um ſie nur nicht unnütz zu quälen, oder
leiden zu laſſen, liegt am Tage. Ja was noch mehr
iſt, Menſchen unter ſich ſelbſt, heben ſofort
das poſitive Moralprinzip auf, ſobald eine, von ih-
nen für competent angeſehene Macht, das Geſell-

15*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="227"/>
der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ind, daher auch die<lb/><choice><sic>ma&#x0307;chtig&#x017F;ten</sic><corr>mächtig&#x017F;ten</corr></choice> Hebel in allen Verhältni&#x017F;&#x017F;en bleiben, und<lb/><hi rendition="#g">Kraft</hi> zuletzt immer am allermei&#x017F;ten imponirt.<lb/>
Alexander und <choice><sic>Ca&#x0307;&#x017F;ar</sic><corr>&#x017F;ar</corr></choice> er&#x017F;cheinen größer in der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte als Hor. Cocles und Regulus, wenn auch<lb/>
die Ge&#x017F;chichte der Letzteren keine Fabel <choice><sic>wa&#x0307;ren</sic><corr>wären</corr></choice>. Un-<lb/>
eigennützigkeit, Freund&#x017F;chaft, Näch&#x017F;tenliebe, Groß-<lb/>
muth, entwickeln &#x017F;ich in der Regel er&#x017F;t <choice><sic>&#x017F;pa&#x0307;ter</sic><corr>&#x017F;päter</corr></choice>, und<lb/>
als &#x017F;eltnere Blumen mit feinerem, und &#x017F;chon raffi-<lb/>
nirterem Duft, eben &#x017F;o wie für die Spekulation &#x017F;ich<lb/>
zuletzt die höch&#x017F;te Kraft nur im Ideal des Guten<lb/>
zeigt, und Aufopferung zuletzt für das Individuum<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, höch&#x017F;ter Genuß wird. Ein anderer, wie mir<lb/>
däucht, &#x017F;chlagender Beweis, daß, was wir Moral<lb/>
nennen, nur aus dem Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsleben hervorgehe,<lb/>
i&#x017F;t meines Erachtens, daß wir noch heute kein &#x017F;ol-<lb/>
ches Prinzip, in Bezug auf andere Ge&#x017F;chöpfe anzu-<lb/>
erkennen &#x017F;cheinen. Wir würden, wenn wir könnten,<lb/>
zum Behuf un&#x017F;rer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, uns unbedenklich ei-<lb/>
nen <hi rendition="#g">Stern</hi> zur In&#x017F;pektion herunterlangen, und<lb/>
mit einem <hi rendition="#g">Engel</hi> in un&#x017F;rer Gewalt nicht viel Um-<lb/>
&#x017F;tände machen, &#x017F;obald wir ihn nicht mehr zu fürch-<lb/>
ten hätten. Daß wir mit den Thieren (zum Theil<lb/>
auch noch mit den Negern) ganz als Egoi&#x017F;ten um-<lb/>
gehen, und &#x017F;chon ein hoher Grad von Cultur dazu<lb/>
gehört, um &#x017F;ie nur nicht <hi rendition="#g">unnütz</hi> zu quälen, oder<lb/>
leiden zu la&#x017F;&#x017F;en, liegt am Tage. Ja was noch mehr<lb/>
i&#x017F;t, <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen unter &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, heben &#x017F;ofort<lb/>
das po&#x017F;itive Moralprinzip auf, &#x017F;obald eine, von ih-<lb/>
nen für competent ange&#x017F;ehene <hi rendition="#g">Macht</hi>, das Ge&#x017F;ell-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0249] der menſchlichen Geſellſchaft ſind, daher auch die mächtigſten Hebel in allen Verhältniſſen bleiben, und Kraft zuletzt immer am allermeiſten imponirt. Alexander und Cäſar erſcheinen größer in der Ge- ſchichte als Hor. Cocles und Regulus, wenn auch die Geſchichte der Letzteren keine Fabel wären. Un- eigennützigkeit, Freundſchaft, Nächſtenliebe, Groß- muth, entwickeln ſich in der Regel erſt ſpäter, und als ſeltnere Blumen mit feinerem, und ſchon raffi- nirterem Duft, eben ſo wie für die Spekulation ſich zuletzt die höchſte Kraft nur im Ideal des Guten zeigt, und Aufopferung zuletzt für das Individuum ſelbſt, höchſter Genuß wird. Ein anderer, wie mir däucht, ſchlagender Beweis, daß, was wir Moral nennen, nur aus dem Geſellſchaftsleben hervorgehe, iſt meines Erachtens, daß wir noch heute kein ſol- ches Prinzip, in Bezug auf andere Geſchöpfe anzu- erkennen ſcheinen. Wir würden, wenn wir könnten, zum Behuf unſrer Wiſſenſchaft, uns unbedenklich ei- nen Stern zur Inſpektion herunterlangen, und mit einem Engel in unſrer Gewalt nicht viel Um- ſtände machen, ſobald wir ihn nicht mehr zu fürch- ten hätten. Daß wir mit den Thieren (zum Theil auch noch mit den Negern) ganz als Egoiſten um- gehen, und ſchon ein hoher Grad von Cultur dazu gehört, um ſie nur nicht unnütz zu quälen, oder leiden zu laſſen, liegt am Tage. Ja was noch mehr iſt, Menſchen unter ſich ſelbſt, heben ſofort das poſitive Moralprinzip auf, ſobald eine, von ih- nen für competent angeſehene Macht, das Geſell- 15*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/249
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/249>, abgerufen am 22.11.2024.