schaft einen ewigen Krieg erklären. Da wir indessen, von Hause aus, uns selbst immer ein wenig näher stehen als der Gesellschaft, (weil zu unsrem Bestehen das Naturgesetz der Selbsterhaltung das stärkste seyn muß) so sind Egoisten häufiger als Humane, mehr Sünder wie Tugendhafte. Die Ersteren sind die wahrhaft Rohen, die zweiten nur, die Gebilde- ten (beiläufig eine Lehre für alle Regierungen, die im Dunkel herrschen wollen). Da aber auch bei dem Gebildetesten immer noch eine rohe Unterlage blei- ben muß, gleich wie der bestpolirteste Marmor, wenn er unter der Politur abgebrochen wird, wieder gro- bes Korn zeigt, so kann auch die Humanität selbst nicht verläugnen, daß sie aus Egoismus hervorge- wachsen, ja eigentlich nichts ist, als ein auf die ganze Menschheit ausgedehnter Egoismus. Wo sich dieser Letztere daher, selbst einseitig, d. h. in Bezug auf den Nutzen des Individuums allein, auf eine sehr großartige Weise ausbildet, erzwingen solche Sterbliche, große Männer und Eroberer genannt, die Bewunderung selbst derjenigen, die ihr Verfahren mißbilligen; ja die Erfahrung lehrt uns, daß sie, deren Nichtachtung des Wohles Anderer eine unge- heure Zahl von irdischen Leiden ihren Mitbrüdern aufbürdete, dennoch, weil sie dabei eine sehr große und überwiegende, vom Glück begünstigte, herr- schende Kraft an den Tag legten, stets hoch von der durch sie leidenden Menschheit verehrt wurden. Hier zeigt sich also wieder, was ich früher sagte, daß Nothwendigkeit und Furcht die ersten Keime in
ſchaft einen ewigen Krieg erklären. Da wir indeſſen, von Hauſe aus, uns ſelbſt immer ein wenig näher ſtehen als der Geſellſchaft, (weil zu unſrem Beſtehen das Naturgeſetz der Selbſterhaltung das ſtärkſte ſeyn muß) ſo ſind Egoiſten häufiger als Humane, mehr Sünder wie Tugendhafte. Die Erſteren ſind die wahrhaft Rohen, die zweiten nur, die Gebilde- ten (beiläufig eine Lehre für alle Regierungen, die im Dunkel herrſchen wollen). Da aber auch bei dem Gebildeteſten immer noch eine rohe Unterlage blei- ben muß, gleich wie der beſtpolirteſte Marmor, wenn er unter der Politur abgebrochen wird, wieder gro- bes Korn zeigt, ſo kann auch die Humanität ſelbſt nicht verläugnen, daß ſie aus Egoismus hervorge- wachſen, ja eigentlich nichts iſt, als ein auf die ganze Menſchheit ausgedehnter Egoismus. Wo ſich dieſer Letztere daher, ſelbſt einſeitig, d. h. in Bezug auf den Nutzen des Individuums allein, auf eine ſehr großartige Weiſe ausbildet, erzwingen ſolche Sterbliche, große Männer und Eroberer genannt, die Bewunderung ſelbſt derjenigen, die ihr Verfahren mißbilligen; ja die Erfahrung lehrt uns, daß ſie, deren Nichtachtung des Wohles Anderer eine unge- heure Zahl von irdiſchen Leiden ihren Mitbrüdern aufbürdete, dennoch, weil ſie dabei eine ſehr große und überwiegende, vom Glück begünſtigte, herr- ſchende Kraft an den Tag legten, ſtets hoch von der durch ſie leidenden Menſchheit verehrt wurden. Hier zeigt ſich alſo wieder, was ich früher ſagte, daß Nothwendigkeit und Furcht die erſten Keime in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0248"n="226"/>ſchaft einen ewigen Krieg erklären. Da wir indeſſen,<lb/>
von Hauſe aus, uns <hirendition="#g">ſelbſt</hi> immer ein wenig näher<lb/>ſtehen als der Geſellſchaft, (weil zu unſrem Beſtehen<lb/>
das Naturgeſetz der Selbſterhaltung das ſtärkſte ſeyn<lb/>
muß) ſo ſind Egoiſten häufiger als Humane, mehr<lb/>
Sünder wie Tugendhafte. Die Erſteren ſind die<lb/>
wahrhaft <hirendition="#g">Rohen</hi>, die zweiten nur, die <hirendition="#g">Gebilde-<lb/>
ten</hi> (beiläufig eine Lehre für alle Regierungen, die<lb/>
im Dunkel herrſchen wollen). Da aber auch bei dem<lb/>
Gebildeteſten immer noch eine rohe Unterlage blei-<lb/>
ben muß, gleich wie der beſtpolirteſte Marmor, wenn<lb/>
er unter der Politur abgebrochen wird, wieder gro-<lb/>
bes Korn zeigt, ſo kann auch die Humanität ſelbſt<lb/>
nicht verläugnen, daß ſie aus Egoismus hervorge-<lb/>
wachſen, ja eigentlich nichts iſt, als ein auf die<lb/>
ganze Menſchheit ausgedehnter Egoismus. Wo ſich<lb/>
dieſer Letztere daher, ſelbſt einſeitig, d. h. in Bezug<lb/>
auf den Nutzen des Individuums allein, auf eine<lb/>ſehr <hirendition="#g">großartige</hi> Weiſe ausbildet, erzwingen ſolche<lb/>
Sterbliche, große Männer und Eroberer genannt,<lb/>
die Bewunderung ſelbſt derjenigen, die ihr Verfahren<lb/>
mißbilligen; ja die Erfahrung lehrt uns, daß <hirendition="#g">ſie</hi>,<lb/>
deren Nichtachtung des Wohles Anderer eine unge-<lb/>
heure Zahl von irdiſchen Leiden ihren Mitbrüdern<lb/>
aufbürdete, dennoch, weil ſie dabei eine ſehr große<lb/>
und überwiegende, vom Glück begünſtigte, herr-<lb/>ſchende <hirendition="#g">Kraft</hi> an den Tag legten, ſtets hoch von<lb/>
der durch ſie leidenden Menſchheit verehrt wurden.<lb/>
Hier zeigt ſich alſo wieder, was ich früher ſagte,<lb/>
daß Nothwendigkeit und Furcht die erſten Keime in<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[226/0248]
ſchaft einen ewigen Krieg erklären. Da wir indeſſen,
von Hauſe aus, uns ſelbſt immer ein wenig näher
ſtehen als der Geſellſchaft, (weil zu unſrem Beſtehen
das Naturgeſetz der Selbſterhaltung das ſtärkſte ſeyn
muß) ſo ſind Egoiſten häufiger als Humane, mehr
Sünder wie Tugendhafte. Die Erſteren ſind die
wahrhaft Rohen, die zweiten nur, die Gebilde-
ten (beiläufig eine Lehre für alle Regierungen, die
im Dunkel herrſchen wollen). Da aber auch bei dem
Gebildeteſten immer noch eine rohe Unterlage blei-
ben muß, gleich wie der beſtpolirteſte Marmor, wenn
er unter der Politur abgebrochen wird, wieder gro-
bes Korn zeigt, ſo kann auch die Humanität ſelbſt
nicht verläugnen, daß ſie aus Egoismus hervorge-
wachſen, ja eigentlich nichts iſt, als ein auf die
ganze Menſchheit ausgedehnter Egoismus. Wo ſich
dieſer Letztere daher, ſelbſt einſeitig, d. h. in Bezug
auf den Nutzen des Individuums allein, auf eine
ſehr großartige Weiſe ausbildet, erzwingen ſolche
Sterbliche, große Männer und Eroberer genannt,
die Bewunderung ſelbſt derjenigen, die ihr Verfahren
mißbilligen; ja die Erfahrung lehrt uns, daß ſie,
deren Nichtachtung des Wohles Anderer eine unge-
heure Zahl von irdiſchen Leiden ihren Mitbrüdern
aufbürdete, dennoch, weil ſie dabei eine ſehr große
und überwiegende, vom Glück begünſtigte, herr-
ſchende Kraft an den Tag legten, ſtets hoch von
der durch ſie leidenden Menſchheit verehrt wurden.
Hier zeigt ſich alſo wieder, was ich früher ſagte,
daß Nothwendigkeit und Furcht die erſten Keime in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/248>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.