felsenfest vor uns steht. Wir aber, von Grausen überwältigt, flohen insgesammt, so schnell uns unsre Beine tragen wollten. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht zurückblieb. Ich war indeß unter altes Gemäuer gerathen, die Angst machte meine Gebeine zu Blei. Jetzt erblickte ich eine Sei- tenthüre, und will eben hindurch, als eine gellende Stimme mir dicht in's Ohr schreit: half past seven! (halb acht Uhr.) Vor Schreck bin ich im Begriff zu Boden zu sinken, eine starke Hand erfaßt mich -- ich schlage betäubt die Augen auf, und -- mein irländi- scher Bedienter steht vor mir -- blos um zu melden, daß, wenn ich nicht bald aufstünde, das Dampfboot ohnfehlbar ohne mich absegeln werde. Du siehst, Julie, so wie ich mich auf die Reise begebe, stellen sich auch wieder kleine Abentheuer ein, wäre es auch nur im Schlafe.
Auf dem Schiff fand ich die Leute noch beschäftigt, einen schönen, und fast noch mit mehr Ueberflüßig- keiten und Bequemlichkeiten bepackten Wagen, als ich mit mir führe, wenn ich auf diese Art reise, ein- zuschiffen. Der Kammerdiener und Bediente waren emsig und respektvoll dabei beschäftigt, während ein kleiner Mensch mit einem blonden sorgfältig gekräu- selten Lockenkopf, ganz schwarz, aber sehr elegant ge- kleidet, und ohngefähr zwanzig Jahre alt, mit aller Indolenz eines englischen fashionable, auf dem Ver- deck hin und her schlenkerte, ohne von seinem Eigen- thum, und der Mühe seiner Leute die geringste Notiz
felſenfeſt vor uns ſteht. Wir aber, von Grauſen überwältigt, flohen insgeſammt, ſo ſchnell uns unſre Beine tragen wollten. Ich muß zu meiner Schande geſtehen, daß ich nicht zurückblieb. Ich war indeß unter altes Gemäuer gerathen, die Angſt machte meine Gebeine zu Blei. Jetzt erblickte ich eine Sei- tenthüre, und will eben hindurch, als eine gellende Stimme mir dicht in’s Ohr ſchreit: half past seven! (halb acht Uhr.) Vor Schreck bin ich im Begriff zu Boden zu ſinken, eine ſtarke Hand erfaßt mich — ich ſchlage betäubt die Augen auf, und — mein irländi- ſcher Bedienter ſteht vor mir — blos um zu melden, daß, wenn ich nicht bald aufſtünde, das Dampfboot ohnfehlbar ohne mich abſegeln werde. Du ſiehſt, Julie, ſo wie ich mich auf die Reiſe begebe, ſtellen ſich auch wieder kleine Abentheuer ein, wäre es auch nur im Schlafe.
Auf dem Schiff fand ich die Leute noch beſchäftigt, einen ſchönen, und faſt noch mit mehr Ueberflüßig- keiten und Bequemlichkeiten bepackten Wagen, als ich mit mir führe, wenn ich auf dieſe Art reiſe, ein- zuſchiffen. Der Kammerdiener und Bediente waren emſig und reſpektvoll dabei beſchäftigt, während ein kleiner Menſch mit einem blonden ſorgfältig gekräu- ſelten Lockenkopf, ganz ſchwarz, aber ſehr elegant ge- kleidet, und ohngefähr zwanzig Jahre alt, mit aller Indolenz eines engliſchen fashionable, auf dem Ver- deck hin und her ſchlenkerte, ohne von ſeinem Eigen- thum, und der Mühe ſeiner Leute die geringſte Notiz
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felſenfeſt vor uns ſteht. Wir aber, von Grauſen
überwältigt, flohen insgeſammt, ſo ſchnell uns unſre
Beine tragen wollten. Ich muß zu meiner Schande
geſtehen, daß ich nicht zurückblieb. Ich war indeß
unter altes Gemäuer gerathen, die Angſt machte
meine Gebeine zu Blei. Jetzt erblickte ich eine Sei-
tenthüre, und will eben hindurch, als eine gellende
Stimme mir dicht in’s Ohr ſchreit: half past seven!
(halb acht Uhr.) Vor Schreck bin ich im Begriff zu
Boden zu ſinken, eine ſtarke Hand erfaßt mich — ich
ſchlage betäubt die Augen auf, und — mein irländi-
ſcher Bedienter ſteht vor mir — blos um zu melden,
daß, wenn ich nicht bald aufſtünde, das Dampfboot
ohnfehlbar ohne mich abſegeln werde. Du ſiehſt,
Julie, ſo wie ich mich auf die Reiſe begebe, ſtellen
ſich auch wieder kleine Abentheuer ein, wäre es auch
nur im Schlafe.
Auf dem Schiff fand ich die Leute noch beſchäftigt,
einen ſchönen, und faſt noch mit mehr Ueberflüßig-
keiten und Bequemlichkeiten bepackten Wagen, als
ich mit mir führe, wenn ich auf dieſe Art reiſe, ein-
zuſchiffen. Der Kammerdiener und Bediente waren
emſig und reſpektvoll dabei beſchäftigt, während ein
kleiner Menſch mit einem blonden ſorgfältig gekräu-
ſelten Lockenkopf, ganz ſchwarz, aber ſehr elegant ge-
kleidet, und ohngefähr zwanzig Jahre alt, mit aller
Indolenz eines engliſchen fashionable, auf dem Ver-
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thum, und der Mühe ſeiner Leute die geringſte Notiz
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/262>, abgerufen am 22.11.2024.
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