mal zu Stande zu bringen seyn. Wie wurde es also einem fast wilden Volke möglich, solche Massen auf- zurichten, und dreißig Meilen weit (denn näher be- findet sich kein Steinbruch) herzutransportiren? Das Ganze bildet einen unregelmäßigen Kranz, theils noch aufrecht stehender, theils umgeworfner, halb in die Erde wieder versunkner Cromlechs (zwei aufgerichtete Steine, über die ein dritter gelegt ist). Mehrere von diesen bestehen aus einzelnen Massen von fünf und zwanzig Fuß Länge und zehn Fuß Breite, wahre Felsen, so daß Manche behauptet haben, Stonehenge sey nur ein Spiel der Natur, was jedoch keinem Augenzeugen zu glauben einfallen wird. Ich war nicht der einzige Beschauer. Ein einsamer Fremder wurde mehrmals sichtbar, der, ohne von mir Notiz zu nehmen, schon seit einer Viertelstunde beständig zählend unter den Steinen umherging, und sehr un- geduldig etwas zu betrachten schien. Ich nahm mir daher die Freiheit, ihn, als er eben wieder hervortrat, mit einer Frage über sein sonderbares Benehmen zu stören, worauf er mir auch sogleich höflich erwiederte, "man habe ihm gesagt, Niemand könne diese Steine richtig zählen, jedesmal käme eine andere Zahl heraus, und dies sey ein Trick (Schabernack), den Satanas, der Erbauer dieses Werks, den Neugierigen spiele. Er habe nun schon sieben mal, seit zwei Stunden, die Erfahrung bestätigt gefunden, und werde gewiß noch närrisch werden, wenn er sie weiter fortsetze." Ich rieth ihm daher, lieber davon abzustehen, und sich zu Hause zu begeben, da es ohnedem dunkel
mal zu Stande zu bringen ſeyn. Wie wurde es alſo einem faſt wilden Volke möglich, ſolche Maſſen auf- zurichten, und dreißig Meilen weit (denn näher be- findet ſich kein Steinbruch) herzutransportiren? Das Ganze bildet einen unregelmäßigen Kranz, theils noch aufrecht ſtehender, theils umgeworfner, halb in die Erde wieder verſunkner Cromlechs (zwei aufgerichtete Steine, über die ein dritter gelegt iſt). Mehrere von dieſen beſtehen aus einzelnen Maſſen von fünf und zwanzig Fuß Länge und zehn Fuß Breite, wahre Felſen, ſo daß Manche behauptet haben, Stonehenge ſey nur ein Spiel der Natur, was jedoch keinem Augenzeugen zu glauben einfallen wird. Ich war nicht der einzige Beſchauer. Ein einſamer Fremder wurde mehrmals ſichtbar, der, ohne von mir Notiz zu nehmen, ſchon ſeit einer Viertelſtunde beſtändig zählend unter den Steinen umherging, und ſehr un- geduldig etwas zu betrachten ſchien. Ich nahm mir daher die Freiheit, ihn, als er eben wieder hervortrat, mit einer Frage über ſein ſonderbares Benehmen zu ſtören, worauf er mir auch ſogleich höflich erwiederte, „man habe ihm geſagt, Niemand könne dieſe Steine richtig zählen, jedesmal käme eine andere Zahl heraus, und dies ſey ein Trick (Schabernack), den Satanas, der Erbauer dieſes Werks, den Neugierigen ſpiele. Er habe nun ſchon ſieben mal, ſeit zwei Stunden, die Erfahrung beſtätigt gefunden, und werde gewiß noch närriſch werden, wenn er ſie weiter fortſetze.“ Ich rieth ihm daher, lieber davon abzuſtehen, und ſich zu Hauſe zu begeben, da es ohnedem dunkel
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mal zu Stande zu bringen ſeyn. Wie wurde es alſo
einem faſt wilden Volke möglich, ſolche Maſſen auf-
zurichten, und dreißig Meilen weit (denn näher be-
findet ſich kein Steinbruch) herzutransportiren? Das
Ganze bildet einen unregelmäßigen Kranz, theils noch
aufrecht ſtehender, theils umgeworfner, halb in die
Erde wieder verſunkner Cromlechs (zwei aufgerichtete
Steine, über die ein dritter gelegt iſt). Mehrere von
dieſen beſtehen aus einzelnen Maſſen von fünf und
zwanzig Fuß Länge und zehn Fuß Breite, wahre
Felſen, ſo daß Manche behauptet haben, Stonehenge
ſey nur ein Spiel der Natur, was jedoch keinem
Augenzeugen zu glauben einfallen wird. Ich war
nicht der einzige Beſchauer. Ein einſamer Fremder
wurde mehrmals ſichtbar, der, ohne von mir Notiz
zu nehmen, ſchon ſeit einer Viertelſtunde beſtändig
zählend unter den Steinen umherging, und ſehr un-
geduldig etwas zu betrachten ſchien. Ich nahm mir
daher die Freiheit, ihn, als er eben wieder hervortrat,
mit einer Frage über ſein ſonderbares Benehmen zu
ſtören, worauf er mir auch ſogleich höflich erwiederte,
„man habe ihm geſagt, Niemand könne dieſe Steine
richtig zählen, jedesmal käme eine andere Zahl heraus,
und dies ſey ein Trick (Schabernack), den Satanas,
der Erbauer dieſes Werks, den Neugierigen ſpiele.
Er habe nun ſchon ſieben mal, ſeit zwei Stunden,
die Erfahrung beſtätigt gefunden, und werde gewiß
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/313>, abgerufen am 22.11.2024.
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