den Schnitt seines Rockes eine ganze Generation, und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil ein Jeder verzweifelte, sie in der Vollkommenheit der seinigen nachahmen zu können. Als er aber aus wichtigen Gründen endlich Großbritannien den Rücken kehrte, hinterließ er seinem Vaterlande noch, als letztes Geschenk, das unsterbliche Geheimniß der mit Stärke gesteiften Halsbinden, dessen Unergründ- lichkeit vorher die Elegants der Hauptstadt so ge- quält batte, daß, nach der litterary gazette, zwei davon aus Verzweiflung wirklich selbst Hand an sich gelegt haben sollen, und ein junger Herzog vor Kummer darüber an einem "broken heart" jämmer- lich verstarb. Der Anfang dieser Krankheit war je- doch schon früher bei ihm dadurch gelegt worden, daß er, bei einer feierlichen Gelegenheit Br. . . . . schüch- tern um sein Urtheil über den eben anhabenden Rock gebeten; dieser aber, ihn nur flüchtig anblickend, mit Verwunderung gefragt hatte: Do You call this thing a coat? (Nennt Ihr das Ding einen Rock?) Sein Ehrgefühl blieb hierdurch unwiederbringlich verletzt.
Obgleich nun heut zu Tage es die Kleidung nicht mehr ist, womit man in London den Ton angiebt, so ist doch nur das Vehikel, die Sache selbst aber keineswegs geändert. Den Einfluß, welchen Br. . . ., ohne Vermögen und Geburt, ohne eine schöne Gestalt, oder hervorstechenden Geist, blos durch eine edle Dreistigkeit, einige drollige Originalität, Lust
den Schnitt ſeines Rockes eine ganze Generation, und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil ein Jeder verzweifelte, ſie in der Vollkommenheit der ſeinigen nachahmen zu können. Als er aber aus wichtigen Gründen endlich Großbritannien den Rücken kehrte, hinterließ er ſeinem Vaterlande noch, als letztes Geſchenk, das unſterbliche Geheimniß der mit Stärke geſteiften Halsbinden, deſſen Unergründ- lichkeit vorher die Elegants der Hauptſtadt ſo ge- quält batte, daß, nach der litterary gazette, zwei davon aus Verzweiflung wirklich ſelbſt Hand an ſich gelegt haben ſollen, und ein junger Herzog vor Kummer darüber an einem „broken heart“ jämmer- lich verſtarb. Der Anfang dieſer Krankheit war je- doch ſchon früher bei ihm dadurch gelegt worden, daß er, bei einer feierlichen Gelegenheit Br. . . . . ſchüch- tern um ſein Urtheil über den eben anhabenden Rock gebeten; dieſer aber, ihn nur flüchtig anblickend, mit Verwunderung gefragt hatte: Do You call this thing a coat? (Nennt Ihr das Ding einen Rock?) Sein Ehrgefühl blieb hierdurch unwiederbringlich verletzt.
Obgleich nun heut zu Tage es die Kleidung nicht mehr iſt, womit man in London den Ton angiebt, ſo iſt doch nur das Vehikel, die Sache ſelbſt aber keineswegs geändert. Den Einfluß, welchen Br. . . ., ohne Vermögen und Geburt, ohne eine ſchöne Geſtalt, oder hervorſtechenden Geiſt, blos durch eine edle Dreiſtigkeit, einige drollige Originalität, Luſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0336"n="314"/>
den Schnitt ſeines Rockes eine ganze Generation,<lb/>
und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil<lb/>
ein Jeder verzweifelte, ſie in der Vollkommenheit<lb/>
der ſeinigen nachahmen zu können. Als er aber aus<lb/>
wichtigen Gründen endlich Großbritannien den<lb/>
Rücken kehrte, hinterließ er ſeinem Vaterlande noch,<lb/>
als letztes Geſchenk, das unſterbliche Geheimniß der<lb/>
mit Stärke geſteiften Halsbinden, deſſen Unergründ-<lb/>
lichkeit vorher die Elegants der Hauptſtadt ſo ge-<lb/>
quält batte, daß, nach der <hirendition="#aq">litterary gazette,</hi> zwei<lb/>
davon aus Verzweiflung wirklich ſelbſt Hand an ſich<lb/>
gelegt haben ſollen, und ein junger Herzog vor<lb/>
Kummer darüber an einem <hirendition="#aq">„broken heart“</hi> jämmer-<lb/>
lich verſtarb. Der Anfang dieſer Krankheit war je-<lb/>
doch ſchon früher bei ihm dadurch gelegt worden, daß<lb/>
er, bei einer feierlichen Gelegenheit Br. . . . . ſchüch-<lb/>
tern um ſein Urtheil über den eben anhabenden<lb/>
Rock gebeten; dieſer aber, ihn nur flüchtig anblickend,<lb/>
mit Verwunderung gefragt hatte: <hirendition="#aq">Do You call this<lb/>
thing a coat?</hi> (Nennt Ihr das Ding einen Rock?)<lb/>
Sein Ehrgefühl blieb hierdurch unwiederbringlich<lb/>
verletzt.</p><lb/><p>Obgleich nun heut zu Tage es die Kleidung nicht<lb/>
mehr iſt, womit man in London den Ton angiebt,<lb/>ſo iſt doch nur das Vehikel, die Sache ſelbſt aber<lb/>
keineswegs geändert. Den Einfluß, welchen Br. . . .,<lb/><hirendition="#g">ohne</hi> Vermögen und Geburt, <hirendition="#g">ohne</hi> eine ſchöne<lb/>
Geſtalt, oder hervorſtechenden Geiſt, blos durch eine<lb/>
edle Dreiſtigkeit, einige drollige Originalität, Luſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[314/0336]
den Schnitt ſeines Rockes eine ganze Generation,
und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil
ein Jeder verzweifelte, ſie in der Vollkommenheit
der ſeinigen nachahmen zu können. Als er aber aus
wichtigen Gründen endlich Großbritannien den
Rücken kehrte, hinterließ er ſeinem Vaterlande noch,
als letztes Geſchenk, das unſterbliche Geheimniß der
mit Stärke geſteiften Halsbinden, deſſen Unergründ-
lichkeit vorher die Elegants der Hauptſtadt ſo ge-
quält batte, daß, nach der litterary gazette, zwei
davon aus Verzweiflung wirklich ſelbſt Hand an ſich
gelegt haben ſollen, und ein junger Herzog vor
Kummer darüber an einem „broken heart“ jämmer-
lich verſtarb. Der Anfang dieſer Krankheit war je-
doch ſchon früher bei ihm dadurch gelegt worden, daß
er, bei einer feierlichen Gelegenheit Br. . . . . ſchüch-
tern um ſein Urtheil über den eben anhabenden
Rock gebeten; dieſer aber, ihn nur flüchtig anblickend,
mit Verwunderung gefragt hatte: Do You call this
thing a coat? (Nennt Ihr das Ding einen Rock?)
Sein Ehrgefühl blieb hierdurch unwiederbringlich
verletzt.
Obgleich nun heut zu Tage es die Kleidung nicht
mehr iſt, womit man in London den Ton angiebt,
ſo iſt doch nur das Vehikel, die Sache ſelbſt aber
keineswegs geändert. Den Einfluß, welchen Br. . . .,
ohne Vermögen und Geburt, ohne eine ſchöne
Geſtalt, oder hervorſtechenden Geiſt, blos durch eine
edle Dreiſtigkeit, einige drollige Originalität, Luſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/336>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.