Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie schon im Norden, um den giants causoway (der Riesensteg) zu bewundern? "O nein", erwiederte ich lächelnd, "ehe ich Irlands Riesensteg besuche, wünschte ich zuerst Irlands Riesen zu sehen", und damit trank ich ihm und seinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas seines guten Clarets zu.
Daniel O'Connel ist wahrlich kein gemeiner Mann, wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt in Irland ist so groß, daß es in diesem Augenblick unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem Ende der Insel zum andern, die Fahne der Empö- rung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu scharfsich- tig, viel zu sehr seiner Sache auf gefahrlosere Art sicher wäre, um einen solchen Ausgang herbeiführen zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige Weise, im Angesicht der Regierung, und auf gesetzli- chem offenkundigem Wege, geschickt den Moment und die Stimmung der Nation benutzend, sich diese Macht über dieselbe verschafft, welche, ohne Armee und Waf- fen, dennoch der eines Königs gleicht, ja sie gewiß in vielen Dingen noch übertrifft -- denn wie wäre es z. B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich gewesen, vierzig Tausend seiner treuen Irländer drei Tage vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O'Con- nel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu be- werkstelligen gewußt hat. Der Enthusiasmus erreichte dort einen solchen Grad, daß das Volk selbst, unter sich, eine Strafe auf das Betrunkenseyn setzte. Diese
Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie ſchon im Norden, um den giants causoway (der Rieſenſteg) zu bewundern? „O nein“, erwiederte ich lächelnd, „ehe ich Irlands Rieſenſteg beſuche, wünſchte ich zuerſt Irlands Rieſen zu ſehen“, und damit trank ich ihm und ſeinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas ſeines guten Clarets zu.
Daniel O’Connel iſt wahrlich kein gemeiner Mann, wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt in Irland iſt ſo groß, daß es in dieſem Augenblick unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem Ende der Inſel zum andern, die Fahne der Empö- rung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu ſcharfſich- tig, viel zu ſehr ſeiner Sache auf gefahrloſere Art ſicher wäre, um einen ſolchen Ausgang herbeiführen zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige Weiſe, im Angeſicht der Regierung, und auf geſetzli- chem offenkundigem Wege, geſchickt den Moment und die Stimmung der Nation benutzend, ſich dieſe Macht über dieſelbe verſchafft, welche, ohne Armee und Waf- fen, dennoch der eines Königs gleicht, ja ſie gewiß in vielen Dingen noch übertrifft — denn wie wäre es z. B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich geweſen, vierzig Tauſend ſeiner treuen Irländer drei Tage vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O’Con- nel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu be- werkſtelligen gewußt hat. Der Enthuſiasmus erreichte dort einen ſolchen Grad, daß das Volk ſelbſt, unter ſich, eine Strafe auf das Betrunkenſeyn ſetzte. Dieſe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0036"n="14"/>
Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie ſchon im<lb/>
Norden, um den <hirendition="#aq">giants causoway</hi> (der Rieſenſteg)<lb/>
zu bewundern? „O nein“, erwiederte ich lächelnd, „ehe<lb/>
ich Irlands Rieſenſteg beſuche, wünſchte ich zuerſt<lb/>
Irlands <hirendition="#g">Rieſen</hi> zu ſehen“, und damit trank ich ihm<lb/>
und ſeinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas<lb/>ſeines guten Clarets zu.</p><lb/><p>Daniel O’Connel iſt wahrlich kein gemeiner Mann,<lb/>
wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt<lb/>
in Irland iſt ſo groß, daß es in dieſem Augenblick<lb/>
unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem<lb/>
Ende der Inſel zum andern, die Fahne der Empö-<lb/>
rung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu ſcharfſich-<lb/>
tig, viel zu ſehr ſeiner Sache auf gefahrloſere Art<lb/>ſicher wäre, um einen ſolchen Ausgang herbeiführen<lb/>
zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige<lb/>
Weiſe, im Angeſicht der Regierung, und auf geſetzli-<lb/>
chem offenkundigem Wege, geſchickt den Moment und<lb/>
die Stimmung der Nation benutzend, ſich dieſe Macht<lb/>
über dieſelbe verſchafft, welche, ohne Armee und Waf-<lb/>
fen, dennoch der eines Königs gleicht, ja ſie gewiß<lb/>
in vielen Dingen noch übertrifft — denn wie <choice><sic>wȧre</sic><corr>wäre</corr></choice><lb/>
es z. B. je Sr. M. Georg dem <hirendition="#aq">IV.</hi> möglich geweſen,<lb/>
vierzig Tauſend ſeiner treuen <choice><sic>Irlȧnder</sic><corr>Irländer</corr></choice> drei Tage<lb/>
vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O’Con-<lb/>
nel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu be-<lb/>
werkſtelligen gewußt hat. Der Enthuſiasmus erreichte<lb/>
dort einen ſolchen Grad, daß das Volk ſelbſt, unter<lb/>ſich, eine Strafe auf das Betrunkenſeyn ſetzte. Dieſe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[14/0036]
Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie ſchon im
Norden, um den giants causoway (der Rieſenſteg)
zu bewundern? „O nein“, erwiederte ich lächelnd, „ehe
ich Irlands Rieſenſteg beſuche, wünſchte ich zuerſt
Irlands Rieſen zu ſehen“, und damit trank ich ihm
und ſeinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas
ſeines guten Clarets zu.
Daniel O’Connel iſt wahrlich kein gemeiner Mann,
wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt
in Irland iſt ſo groß, daß es in dieſem Augenblick
unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem
Ende der Inſel zum andern, die Fahne der Empö-
rung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu ſcharfſich-
tig, viel zu ſehr ſeiner Sache auf gefahrloſere Art
ſicher wäre, um einen ſolchen Ausgang herbeiführen
zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige
Weiſe, im Angeſicht der Regierung, und auf geſetzli-
chem offenkundigem Wege, geſchickt den Moment und
die Stimmung der Nation benutzend, ſich dieſe Macht
über dieſelbe verſchafft, welche, ohne Armee und Waf-
fen, dennoch der eines Königs gleicht, ja ſie gewiß
in vielen Dingen noch übertrifft — denn wie wäre
es z. B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich geweſen,
vierzig Tauſend ſeiner treuen Irländer drei Tage
vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O’Con-
nel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu be-
werkſtelligen gewußt hat. Der Enthuſiasmus erreichte
dort einen ſolchen Grad, daß das Volk ſelbſt, unter
ſich, eine Strafe auf das Betrunkenſeyn ſetzte. Dieſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/36>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.